/Sicherheitspersonal: Flugreisende müssen mit Chaos rechnen

Sicherheitspersonal: Flugreisende müssen mit Chaos rechnen

Oliver Hollenstein

Oliver Hollenstein
© Maria Feck

Liebe Leserin, lieber Leser,

waren Sie an den G20-Tagen im Juli 2017 in Hamburg? Dann ist es
nicht unwahrscheinlich, dass die Polizei ziemlich genau rekonstruieren kann,
wann Sie sich damals wo aufgehalten haben und was Sie dort taten. Erstmals in
Deutschland setzten die Ermittler eine Software ein, die auf Tausenden Fotos
und Videos Gesichter wiedererkennt. So entsteht eine Datei, in der biometrische
Daten von Hunderttausenden gespeichert sind. Hamburgs Datenschutzbeauftragter
Johannes Caspar findet das besorgniserregend und hat die Löschung der Software
angeordnet – doch Innensenator Andy Grote (SPD) und die Polizei nutzen sie
weiter. Auch wenn ich mich nicht erinnern kann, während des Gipfels etwas
Illegales getan zu haben, hinterlässt diese Art der staatlichen Überwachung bei
mir ein ungutes Gefühl. Wie geht es Ihnen damit? Ich habe Johannes Caspar zum
Interview getroffen und ihn gefragt, was ihn besorgt. Das Ergebnis lesen Sie
weiter unten.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!

Ihr Oliver Hollenstein

Wollen Sie uns Ihre Meinung sagen, wissen Sie etwas, über das wir
berichten sollten? Dann schreiben Sie uns: hamburg@zeit.de

Aktuelles


© Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen

Hamburg bleibt eine
geteilte Stadt

Im Westen und Norden wohlhabend, im Osten und Süden teilweise
sozial schwach, so sieht die Hamburg-Karte weiterhin aus, wenn man sich
anschaut, wie der Wohlstand in der Stadt verteilt ist. Das hat die
Stadtentwicklungsbehörde in ihrem gestern veröffentlichten Sozialmonitoring
getan. Sie teilt die Stadt – wie in der Karte oben zu sehen – in Bereiche mit
hohem (grün), mittlerem (blau), niedrigem (orange) und sehr niedrigem (rot) Sozialstatus
ein. Den berechnete sie mithilfe verschiedener Indikatoren, wie etwa dem Anteil
der Arbeitslosen und Hartz-IV-Empfänger. Wichtigstes Ergebnis: Es gibt immer
noch sehr große soziale Unterschiede zwischen den Stadtteilen, aber immerhin,
so die Interpretation des Senats, würden die Unterschiede nicht größer. Die
Fraktion der Linken deutet die Ergebnisse anders. Die Verfestigung der Armut
sei schon schlimm genug, die fehlende Verbesserung in vielen Stadtteilen zeige,
dass der Senat nicht genug gegen Armut tue.

Mehr Platz für große
Ambitionen

Braucht es das wirklich? Noch eine
Multifunktionshalle, in der Sportveranstaltungen, Konzerte und Events
stattfinden können? Es gibt das Mehr!-Theater am Großmarkt, die Edel-optics
Arena in Wilhelmsburg, die Sporthalle Wandsbek und die Barclaycard Arena in
Stellingen. Ja, es braucht noch eine Multifunktionsarena, findet Tomislav Karajica. Der Projektentwickler will eine Arena in einem aufgeschütteten
Hafenbecken an den Elbbrücken bauen lassen. 7000 bis 8000 Zuschauer soll der
Elbdome fassen und insgesamt 150 Millionen Euro kosten – ohne einen Cent
Steuergelder. Die Stadtentwicklungsbehörde gab sich zunächst zurückhaltend. Was
unser Sportredakteur Kilian Trotier von den Plänen hält, lesen Sie hier.

Mindestens zwei Drittel
aller Flüge fallen aus

Der am Sonntag angekündigte
Warnstreik wird heute den Flughafen voraussichtlich weitgehend lahmlegen. Fast
zwei Drittel aller Abflüge wurden bereits am Montag gestrichen, mit weiteren
Ausfällen sei zu rechnen, hieß es gestern vom Hamburg Airport. Neben Flugausfällen
sollten sich Passagiere auf lange Wartezeiten einstellen, bevorzugte
Sicherheitskontrollen werde es nicht geben. Die Gewerkschaft ver.di ruft zum
Warnstreik des Sicherheitspersonals auf. Sie fordert eine Erhöhung des
Stundenlohns für Mitarbeiter der Sicherheitskontrolle auf 20 Euro brutto. Das
betrifft in Hamburg rund 1000 Beschäftigte. Laut Flughafen hätten am Dienstag
etwa 20.000 Passagiere Tickets für Flüge aus Hamburg.

In einem Satz

Der HSV hat sein erstes
Testspiel im Trainingslager gegen den Schweizer Erstligisten FC St. Gallen mit
0:3 verloren +++ Passanten haben neben der Schleuse am Rathaus eine
Wasserleiche entdeckt, vermutlich handelt es sich um einen 26-jährigen Mann aus
Afghanistan +++ In Langenhorn hat ein 63-Jähriger am Steuer einen Herzinfarkt
erlitten, ist mit seinem Transporter gegen einen Container gefahren und
gestorben

Was heute auf der Agenda
steht

Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) stellt die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie für die neue
U-Bahn-Linie 5 vor +++ Im Literaturhaus wird der  Mara-Cassens-Preis für
den besten deutschsprachigen Romanerstling an die Schriftstellerin Anja Kampmann verliehen

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Alltagsreporter: Der
pensionierte Pastor

“Ich
war vor ein paar Tagen bei einer Beerdigung. M. ist Turniertänzer gewesen und
im Auto verunglückt. Die Trauerfeier in einer Kirche. Viele da, auch seine
Tanzleute. Wir zünden Kerzen an und stecken sie in eine Schale mit Sand. Die
Musik kommt von einer Drei-Mann-Kapelle mit Akkordeon, Bass und Geige. Eine
Pastorin erzählt von M.s Leben. Zum Schluss bittet sie, die Stühle an die Seite
zu stellen. In der Mitte eine leere Fläche, vorn der Sarg. Die Kapelle spielt
Walzer. M.s Freunde fangen an zu tanzen. Dann andere. Ich sitze und gucke:
Walzer am Sarg. Die Kerzen flackern. Und M.?, denke ich. M. sagt nichts, aber
ich denke, er findet das gut.”

An
dieser Stelle finden Sie täglich unsere Alltagsreporter. Hier schreiben
Hamburger, die wir gebeten haben, uns regelmäßig zu berichten, was sie erleben.
Sie bleiben anonym, damit ihnen keine Konsequenzen drohen.

Nie da gewesene Kontrollmacht für staatliche Stellen

Hamburgs Datenschutzbeauftragter Johannes Caspar

Hamburgs Datenschutzbeauftragter Johannes Caspar
© Maja Hitij/dpa

Nach
den schweren Ausschreitungen am Rande des G20-Gipfels im Juli 2017 hatte die
Hamburger Polizei ein Problem: Nur wenige der Randalierer hatte sie noch
während des Gipfels fassen können. In der Aufklärung setzen die Behörden
deswegen auf die Unterstützung von Computern. Mit einer Software werden
Tausende Videos und Fotos des Gipfels automatisch ausgewertet. Hamburgs
Datenschutzbeauftragter Johannes Caspar hat massive Bedenken und die Löschung
der Datenbank angeordnet.

Elbvertiefung:
Herr
Caspar, Sie haben den Innensenator von Hamburg angewiesen, die Datenbank zu
löschen, mit deren Hilfe gerade viele G20-Straftäter überführt werden. Warum?

Johannes
Caspar:

Die Polizei nutzt eine Software zur automatisierten Gesichtserkennung, um aus
einer Masse von Bildern und Videos Straftäter zu identifizieren. Hierzu werden
zunächst Video- und Bildaufnahmen von Personen erhoben. In einem zweiten
Schritt werden aus dem gesammelten Material über die eingesetzte Software
maschinenlesbare und abgleichbare Modelle von menschlichen Gesichtern aller
darauf abgebildeten Personen erzeugt. Dieser zweite Schritt ist das Problem.
Durch die Erzeugung von Gesichts-IDs jeder Person entsteht eine biometrische
Datenbank bei der Polizei. Sie enthält Passanten, S-Bahn-Nutzer, Teilnehmer an
Demonstrationen, also völlig unbeteiligte Personen, gegen die
strafrechtlich nie etwas vorlag. Wir wissen nicht, wie viele Personen betroffen
sind, aber wir vermuten, dass es in die Hunderttausende gehen könnte. Eine
Rechtsgrundlage für die Herstellung beziehungsweise Sicherstellung von Video-
und Bildmaterial existiert, das ist bekannte Polizeiarbeit. Anders ist die
Situation bei der Erstellung einer biometrischen Massendatenbank. Hier
überschreitet die Polizei in Hamburg ihre rechtlichen Kompetenzen, dafür gibt
es keine Ermächtigungsgrundlage.

Elbvertiefung: Die Software erkennt also
automatisch, wann ich an welcher Überwachungskamera vorbeigelaufen bin, und
erstellt ein Bewegungsprofil, auch wenn ich an diesen Tagen nur normal zur
Arbeit gegangen bin?

Caspar: Man kann mit der hier
eingesetzten Software aus dem Datenpool herausfiltern, wer wann mit wem wo war.
Beispielsweise wer wann an einer Demonstration teilgenommen hat, aber auch, wer
mit wem in eine Kneipe gegangen ist. Das revolutioniert die Polizeiarbeit bei
der Fahndung nach Straftätern im öffentlichen Raum. Gleichzeitig eröffnet die
automatisierte Gesichtserkennung eine nie da gewesene Kontrollmacht für
staatliche Stellen, die im Besitz von Bildern sind. Selbst US-Konzerne wie
Microsoft und Google haben dies erkannt und jüngst vor den Folgen des Einsatzes
gewarnt.

Elbvertiefung: Theoretisch ließen sich dann
Echtzeitbewegungsdaten von allen Bürgern anfertigen. Bisher werden aber nur
Daten von Bildern beim G20-Gipfel ausgewertet, richtig?

Caspar: Das kann ich nicht sagen. Die
Polizei hat ja bereits vor einiger Zeit angekündigt, das Verfahren der
automatisierten Gesichtserkennung auch in anderen Bereichen einzusetzen. Es
bestehen uns gegenüber keine Anzeige- oder Meldepflichten. Auch mit Blick auf
das Datenmaterial, das im Zuge von G20 ausgewertet wurde, lassen sich
eindeutige Zuordnungen des Bildmaterials häufig nicht treffen. Neben den
polizeieigenen Aufnahmen von Ausschreitungen und Versammlungen stammen die
Aufnahmen aus öffentlichen Verkehrsmitteln und aus den Medien, es gibt aber
auch privat aufgenommene Videos, die auf einen Server des BKA hochgeladen
werden konnten. Eine Prüfung, ob die privaten hochgeladenen Bilder etwas mit
G20 zu tun hatten, erfolgte nur insoweit, als offenkundig irrelevante
Aufnahmen, wie Pornos oder Katzenvideos, aussortiert wurden.

Antworten
auf die Fragen, ob es nicht praktisch ist, wenn man mithilfe der Software
Taschendiebe überführen kann, und wie es nun weitergeht im Streit mit
Innensenator Andy Grote, lesen Sie auf ZEIT ONLINE.

Herrmanns Helden:

Horst
Radek entsorgt Sperrmüll


© Julius Schrank für DIE ZEIT

105 Männer arbeiten bei
der Sperrmüllabfuhr, keine Frauen. Sie wissen eine Menge über die Trends
unserer Zeit: Früher haben die Leute ihre Möbel länger behalten. Heute ist mehr
Wegwerfgesellschaft, die ganze Wohnung in Ikea und alles finanzierbar, sagt
Horst Radek, 55, seit 1990 bei der Stadtreinigung. Unser Reporter Moritz Herrmann hat ihn einen Tag begleitet. Seinen Text lesen Sie hier.

WER WIR
SIND


© Maria Feck für DIE ZEIT

Ich bin Moritz Herrmann, 31, freier Reporter im
Hamburg-Team der ZEIT – und tatsächlich auch Hamburger. Ich schreibe über
Kultur und Gesellschaft, gerne in Porträts, gerne in längeren Reportagen. Über
besondere Menschen seit einigen Monaten in meiner Kolumne “Herrmanns Helden”. Mich
treibt dabei die Frage: Wie tickt eigentlich diese Stadt, von der ich annehmen
müsste, ich hätte sie längst verstanden? Was hält sie im Kern zusammen? Und was
macht sie anders als Berlin, Frankfurt, München? Ich habe die
Henri-Nannen-Journalistenschule absolviert, davor zwei Jahre in Indien als
Reporter gearbeitet und davor Geschichte studiert. Aufgewachsen bin ich in
Winterhude. Seit 1996 stehe ich mit Dauerkarte am Millerntor. Den Hamburger
Regen finde ich übrigens sehr schön.

WAS SIE HEUTE ERLEBEN KÖNNEN

Mittagstisch:

Was das auch ist, es schmeckt vorzüglich

Betreten drei Chinesen mittags zielsicher ein Restaurant, sollte man ihnen folgen. Das Spicy ist von außen nicht gleich als Restaurant erkennbar, erst einige Meter weiter drinnen und einige Stufen tiefer erstreckt sich der große holzgetäfelte Saal mit prächtigem Lüster und schweren Stühlen. An glänzenden schwarzen Tischen, die auch als Warmhalteplatte für den abends angebotenen Hotpot dienen, werden Leckereien der Hunan-Küche serviert. Sind erste Sprachschwierigkeiten überwunden, mundet die gedämpfte Teigtasche Baozi mit pikanter Schweinefleischfüllung für günstige 1,90 Euro ausgezeichnet. Direkt am Eingang bereitet ein Koch eine Art gefüllten Crêpe für 7,50 Euro zu, der unbedingt empfehlenswert ist. Sojasoße, gut gewürztes Entenfleisch, Salatblätter sowie weitere Zutaten, die laut Bedienung “schwer zu erklären” sind (darunter vermutlich ausgebackene Maismehlfladen), sowie Chili ergeben ein durchaus sättigendes und sehr gutes Gericht.

Innenstadt, Chinarestaurant Spicy, Zippelhaus 3, Mittagstisch Mo–Fr 12–15 Uhr

Christiane Paula Behrend

Was
geht

Surreal
genial:

Sie waren künstlerische Seelenverwandte, gelten als zwei der berühmtesten
Surrealisten – mit Meret Oppenheim meets
Man Ray

zeigt
die Galerie Levy noch diese Woche Werke der Ikonen. Dazu zählen Zeichnungen,
Objekte und Fotografien wie Man Rays “Erotique voilée” aus dem
Jahr 1933.

Galerie Levy, Osterfeldstraße
6, Di–Fr, 10–18 Uhr, Ausstellung bis zum 23.1., Eintritt frei

Reich
mit Indie:
LeRiche aus Neufundland klingt tatsächlich reich; an Melodien und
Lyrik. Der Alternative-Indie-Musiker gewann beim “NL Battle of the Bands” und
vertrat seine Heimat beim “Global Village” in Katar. Jetzt macht er mit
seinem  Debütalbum “X-Dreamer” Halt in
Hamburg.

Freundlich + Kompetent, Hamburger Straße 13, 20 Uhr

Reich
mit Bach:

Vor über 30 Jahren spielte Mischa Maisky die sechs Solo-Suiten für Violoncello
von Johann Sebastian Bach ein – eine legendäre Aufnahme. Nun kehrt der
gebürtige Lette zu den Solowerken zurück, wirft einen neuen Blick auf ein
Repertoire, das ihm wie kein zweites am Herzen liegt. Mischa Maisky: Bach-Suiten I.

Elbphilharmonie, Platz der
Deutschen Einheit 1, 20 Uhr, Restkarten ab 86 Euro

Hamburger Schnack

In der S-Bahn sitzt ein Vater mit fünfjähriger Tochter und siebenjährigem Sohn.

Sagt der Sohn: »Früher sah die S-Bahn anders aus.«

Darauf seine Schwester: »Früher warst du noch gar nicht geboren!«

 

Gehört von Antje Vorbeck

Meine Stadt


© Maria Feck für DIE ZEIT

 Die
heutige Ausgabe zum vertieften Lesen

Was unser Sportredakteur Kilian
Trotier von den Plänen für einen Elbdome hält

Wie
aus Sicht von Datenschützer Johannes Caspar der Streit mit Innensenator Andy
Grote nun weitergeht

Moritz Herrmann unterwegs mit den
Männern von der Sperrmüllabfuhr

 

 

 

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