/Datenschutz: “Nie da gewesene Kontrollmacht für staatliche Stellen”

Datenschutz: “Nie da gewesene Kontrollmacht für staatliche Stellen”

Nach den schweren Ausschreitungen am Rande des G20-Gipfels im Juli 2017 hatte die Hamburger Polizei ein Problem: Nur wenige der Randalierer hatte sie noch beim Gipfel fassen können. In der Aufklärung setzen die Behörden deswegen nun auf Computerunterstützung. Mit einer Software werden Tausende Videos und Fotos des Gipfels automatisch ausgewertet. Hamburgs Datenschutzbeauftragter Johannes Caspar hat massive Bedenken – und die Löschung der Datenbank angeordnet. Doch die Polizei macht trotzdem weiter. Was nun?

ZEIT
ONLINE:
Herr Professor Caspar, Sie haben den Innensenator von Hamburg angewiesen, die
Datenbank zu löschen, mit deren Hilfe gerade viele G20-Straftäter überführt
werden. Warum?

Johannes Caspar: Die Polizei nutzt eine Software zur automatisierten Gesichtserkennung,
um aus einer Masse von Bildern und Videos Straftäter zu identifizieren. Hierzu
werden zunächst Video- und Bildaufnahmen von Personen erhoben. In einem zweiten
Schritt werden aus dem gesammelten Material über die eingesetzte Software
maschinenlesbare und abgleichbare Modelle von menschlichen Gesichtern
unterschiedslos aller darauf abgebildeten Personen erzeugt. Dieser zweite
Schritt ist das Problem. Durch die Erzeugung von Gesichts-IDs jeder Person
entsteht eine polizeiliche biometrische Datenbank. Sie enthält Passanten,
S-Bahn-Nutzer, Teilnehmer an Demonstrationen, also völlig unbeteiligte
Personen, gegen die strafrechtlich nie etwas vorlag. Wir wissen nicht, wie
viele Personen betroffen sind, aber wir vermuten, dass es in die
Hunderttausende gehen könnte. Eine Rechtsgrundlage für die Herstellung beziehungsweise
Sicherstellung von Video- und Bildmaterial existiert, das ist bekannte
Polizeiarbeit. Anders für den zweiten wesentlich eingriffsintensiveren
Schritt, die Erstellung einer biometrischen Massendatenbank. Hier überschreitet
die Polizei in Hamburg ihre rechtlichen Kompetenzen, da eine
Ermächtigungsgrundlage hierfür nicht besteht.

ZEIT ONLINE:
Die Software erkennt also automatisch, wann ich an welcher Überwachungskamera
vorbeigelaufen bin, und erstellt ein Bewegungsprofil, auch wenn ich an diesen
Tagen nur normal zur Arbeit gegangen bin?

Caspar:
Man kann mit der hier eingesetzten Software aus dem Datenpool herausfiltern, wer
wann mit wem wo war. Beispielsweise, wer wann an einer Demonstration
teilgenommen hat, aber auch, wer mit wem in eine Kneipe gegangen ist. Das
revolutioniert die Polizeiarbeit bei der Fahndung nach Straftätern im
öffentlichen Raum. Gleichzeitig eröffnet die automatisierte Gesichtserkennung
eine nie da gewesene Kontrollmacht für staatliche Stellen, die im Besitz von
Bildern sind. Selbst US-Konzerne wie Microsoft und Google haben dies erkannt
und jüngst vor den Folgen des Einsatzes gewarnt.

ZEIT
ONLINE:
Theoretisch ließen sich dann Echtzeitbewegungsdaten von allen Bürgern
anfertigen. Bisher werden aber nur Daten von Bildern beim G20-Gipfel
ausgewertet, richtig?

Caspar:
Das kann ich nicht sagen. Die Polizei hat ja bereits vor einiger Zeit
angekündigt, das Verfahren der automatisierten Gesichtserkennung auch in
anderen Bereichen einzusetzen. Es bestehen uns gegenüber keine Anzeige- oder
Meldepflichten. Auch mit Blick auf das Datenmaterial, das im Zuge von G20
ausgewertet wurde, lassen sich eindeutige Zuordnungen des Bildmaterials häufig
nicht treffen. Neben den polizeieigenen Aufnahmen von Ausschreitungen und
Versammlungen stammen die Aufnahmen aus öffentlichen Verkehrsmitteln und aus
den Medien, aber auch von privat aufgenommenen Videos, die auf einen Server des
BKA hochgeladen werden konnten. Eine Prüfung, ob die privaten hochgeladenen
Bilder mit G20 etwas zu tun hatten, erfolgte nur insoweit, als offenkundig
irrelevante Aufnahmen, wie Pornos oder Katzenvideos, aussortiert wurden.

ZEIT
ONLINE:
Von wie vielen Bildern und Videos reden wir eigentlich?

Caspar:
Die Polizei hat 100 Terabyte zur Auswertung gesichert, davon sind bislang Stand
August 2018 17 Terabyte biometrisch verarbeitet worden – unseres Wissens
circa 32.000 Video- und Fotodateien. Die Polizei selbst sagt, sie hätte ohne
automatisierte Auswertung 60 Jahre gebraucht, um das Material überhaupt zu
sichten.

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