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Tanz den neuen Menschen

Das Bauhaus vermag auch heute noch zu bewegen, und das ist wörtlich gemeint. Das Eröffnungsfestival in der Berliner Akademie der Künste zum 100. Geburtstag der 1919 in Weimar gegründeten Kunstschule legt den Fokus auf die Experimente der Bauhaus-Bühne, auf Theater und Tanz. Und es will zeigen, wie Künstler von heute – Musiker wie Michael Wollny, Choreografen wie Richard Siegal – die damals revolutionären Ideen weiterentwickelt haben.

Die Tradition der Bauhaus-Bühne riss hierzulande in den 30er Jahren ab, mit der Schließung der Schule in der NS-Zeit. Anders als bei den vergleichsweise manifesten Bildenden Künsten, bei Malerei, Skulptur, Architektur und Design, geriet sie weitgehend in Vergessenheit – nicht zuletzt wegen der Flüchtigkeit der Bühnenkunst. Sie war schlicht nicht mehr sichtbar. Dennoch zeitigt das Bauhaus auch hier Wirkung, subkutan, bis heute.

Kurzer Rückblick: Die Arbeit der Bühnenwerkstatt wurde ab 1921 Teil des Lehrprogramms in Weimar. Ihr Leiter Lothar Schreyer wollte zunächst die expressionistische Sprechtheater-Tradition der „Sturm“-Bühne fortsetzen. Zwei Jahre später löste Oskar Schlemmer ihn ab und baute die Bühnenabteilung bis 1929 zu einem Theaterlaboratorium aus. „Ich bin zu modern, um Bilder zu malen“, notierte er 1925 in seinem Tagebuch.

„Schlemmer hat das radikal umgesetzt auf einer Bühne, die sich nur mit Bewegung und Raum auseinandersetzt“, erläutert Bettina Wagner-Bergelt, die künstlerische Leiterin des Festivals. „Aber er hatte immer einen Blick für die einzelnen Elemente des Bühnengeschehens: Wie wirken sie miteinander und aufeinander, wie sind sie voneinander abhängig? Da war er sich einig mit László MoholyNagy, der das im Bereich des Lichts untersucht hat, noch wissenschaftlicher als Schlemmer.“

Die Bauhaus-Bewegung war eng mit der Utopie eines „Neuen Menschen“ verknüpft. Und dieser Mensch „sollte tanzen können, ein Tänzermensch sein“, postulierte Schlemmer. Der vielseitige Künstler war stark vom Tanz beeinflusst, obwohl er ja von der Malerei kam. Und er trat auch selbst als Tänzer auf.

Seinen Tänzermenschen entwickelte Oskar Schlemmer durch den Einsatz von Kostümen weiter zur Kunstfigur, vor allem in seinem legendären, 1922 uraufgeführten „Triadischen Ballett“. „Das Besondere des Balletts ist das farbig-formale raumplastische Kostüm, der mit elementar-mathematischen Formgebilden umkleidete menschliche Körper, und dessen entsprechende Bewegung im Raum“, schreibt Schlemmer. Es war der Gegenentwurf zum Ausdruckstanz, der gerade groß in Mode war.

Maschinentänzer? Bei Oskar Schlemmer blieb der Mensch im Mittelpunkt

Gerhard Bohner hat 1977 eine Rekonstruktion des „Triadischen Balletts“ erarbeitet, dessen Wiedereinstudierung durch die Junior Company des Bayerischen Staatsballetts beim Festival gezeigt wird. Nicht zuletzt deshalb, weil es sich um einen der großen Mythen des Bauhauses handelt. „Jeder weiß davon, gesehen haben es nur wenige“, sagt Wagner-Bergelt. Dabei sind es nicht nur die Kostüme, die zum Faszinosum taugen, entscheidend ist Schlemmers Erweiterung des Tanzbegriffs. „Er hat den Tanz aus der Virtuosität befreit“, erklärt die Kuratorin, „experimentierte mit Schreiten, Laufen, Gehen. An Pirouetten war er nicht interessiert,“ – schon weil er sie selber nicht hätte bewerkstelligen können. Aber obwohl er sich sich auf bestimmte geometrische Körperformen konzentrierte, sah er die Performer nicht als „Maschinentänzer“.

Der Mensch blieb im Mittelpunkt – übrigens auch bei den extravaganten, von Schlemmer inszenierten Bauhaus-Festen. Beim „Metallischen Fest“ 1929 wurden die Gäste aufgefordert, sich in Blech zu hüllen. Folgerichtig gehört zum Festival auch eine Clubnacht zwischen Party und Performance. Eingeladen sind zudem weitere Rekonstruktionen; der „Stäbetanz“ und der „Reifentanz“, beide 1928 entstanden, werden von dem katalanischen Choreografen Cesc Gelabert interpretiert.

Mensch -Maschine: Darüber machte sich Schlemmer schon damals Gedanken

Die Wiederbelebung lohnt sich, als Reflexion der Tanzgeschichte, als Spurensuche zu den Wurzeln der Moderne. Der erweiterte Tanzbegriff der freien Szene, die Performancekunst mit ihren interdisziplinären Facetten speist sich nicht zuletzt aus der Quelle der Bauhaus-Bühne. Vom Verhältnis Mensch – Maschine zu schweigen: Oskar Schlemmer machte sich lange vor dem Beginn des digitalen Zeitalters darüber seine Gedanken.

Dem Choreografen Richard Siegal war die BauhausiIdee in die Wiege gelegt

Das Bauhaus ging bekanntlich nach Amerika ins Exil, wo etliche US-Künstler mit den Konzepten der in den 30er Jahren emigrierten Bauhaus-Mitglieder in Kontakt kamen. Dem Choreografen Richard Siegal wurde die Bauhausidee auf diese Weise in die Wiege gelegt. Sein Vater war Maler, „er wuchs in Chicago auf und wurde gerade erwachsen, als das ,New Bauhaus’ unter der Leitung von Moholy-Nagy gegründet wurde“, erinnert sich Siegal. „Unser Haus wurde ein Ausstellungsraum für modernes Design.“

Richard Siegal, einer der aufregendsten Choreografen der deutschen Tanzszene, ist mit zwei Projekten in der Akademie der Künste vertreten. Die Virtual-Reality-Installation „Das Totale Tanz Theater“, inspiriert von Oskar Schlemmers Bühnenexperimenten und Walter Gropius’ Thesen zum Totaltheater, verlängert die künstlerische Erkundung von Mensch und Maschine bis ins digitale Zeitalter. Mittels VR-Brillen tauchen die Zuschauer in eine virtuelle Bühnenwelt ein; die Tänzer treten ihnen als eine Art Avatare entgegen, reagieren auf die Bewegungen der Betrachter. Und bei den Kostümen lehnt sich Siegal an Schlemmers Typologie an, von der „wandelnden Architektur“ bis zur „Gliederpuppe“.

“Das totale Tanz Theater” ist eine Virtual-Reality-Installation, ab 16.1. in der Berliner Akademie der Künste.Foto: Interactive Media Foundation

Das Stück „TXTORRENT“ wiederum hat der Choreograf gemeinsam mit der Schauspielerin Sandra Hüller und dem Musiker Alva Noto erarbeitet. „Ich ging von der Beobachtung aus, dass Sprache und Musik eine untergeordnete Rolle am historischen Bauhaus spielten“, erzählt Siegal. Aber er stieß auf einen Essay von Schlemmer, demzufolge vor Wort und Sprache „vorsichtig Halt gemacht“ wurde in der Bühnenwerkstatt. „Nicht um es zu negieren, sondern um es, seiner Bedeutung wohl bewusst, langsam zu erobern.“

Robert Wilson tritt im Beckett-Stück persönlich auf

Festivalleiterin Wagner-Bergelt hat auch Künstler eingeladen, die sich weniger explizit als implizit auf das Bauhaus beziehen. Robert Wilson zum Beispiel. Er sah das „Triadische Ballett“ 1985 in den USA, beruft sich nicht direkt darauf und ist mit seinen statuarisch choreografierten Inszenierungen dennoch ein Erbe der Bauhausbühne. Auch mit der Synthese der Künste: In Becketts Theaterstück „Krapp’s Last Tape“ spielen Text, Bewegung, Licht und Klang ineinander – Wilson wirkt selbst mit.

Tanz das Bauhaus. Die Schule hat sich immer als Plattform für das Experimentieren mit Ideen und Ästhetiken, Formen und Bewegung verstanden. Der Zuschauer wird da schnell zum Akteur. Wer will, kann sich mit Kostümteilen selbst als „Bauhaus-Tänzer“ ausstatten (am 20. Januar), oder bei der Bauhaus-Gymnastik mitmachen. Und sich fit machen für den Bauhaus-Jubiläums-Marathon, der noch das ganze Jahr über währt, bundesweit.

Mehr Infos zum Eröffnungsfestival: www.bauhausfestival.de, Tickets auch unter www.adk.de. Das ganze Jubiläumsprogramm findet sich etwas unübersichtlich unter www.bauhaus100.de, einschließlich der Eröffnung der neuen Bauhaus-Museen in Weimar am 6./7.4. und in Dessau am 8.9.

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