Silvio Heinevetter hat kürzlich einen Einblick in die Fernsehvorlieben der Handball-Nationalmannschaft und die Gestaltung des Abendprogramms bei der WM geliefert. Konkret richtete sich sein Blick auf den Freitagabend. „Die Hälfte der Mannschaft schaut Brasilien gegen Frankreich“, berichtete Torhüter Heinevetter und grinste, „die andere Hälfte Dschungelcamp“.
Wie es um die Glaubwürdigkeit dieser Aussage bestellt ist, sei einmal dahingestellt. Wahrscheinlich wird der Großteil des Kaders doch eher den Auftritt des kommenden Gegners beäugt haben als die Ekelprüfungen aus dem australischen Niemandsland. Am Samstagabend jedenfalls präsentierte sich die Mannschaft von Bundestrainer Christian Prokop bestens vorbereitet und wild entschlossen.
Andreas Wolff parierte vier der ersten fünf Würfe
Im zweiten von insgesamt fünf Gruppenspielen bei der Handball-Weltmeisterschaft im eigenen Land setzte sich der Gastgeber vor 13.500 Zuschauern in der ausverkauften Arena am Berliner Ostbahnhof mit 34:21 (15:8) gegen Brasilien durch. Nach dem Auftakterfolg gegen das vereinte Team aus Korea erledigten die Spieler damit auch die Pflichtaufgabe gegen die Südamerikaner souverän, die sich keine 24 Stunden zuvor teuer gegen Frankreich verkauft und dem Rekordweltmeister und Titelverteidiger trotz einer knapper 22:24-Niederlage alles abverlangt hatte.
„Das war ein furioses Spiel von uns. Wir haben einen Gegner mit 14 Toren überrollt, der gegen Frankreich 60 Minuten mitgehalten hat“, sagte Andreas Wolff. Dass es tatsächlich nur 13 Treffer Vorsprung waren – geschenkt. Für den Nationaltorhüter bedeutete der Erfolg zugleich eine gelungene Revanche für die – letztlich unbedeutende – Niederlage der Deutschen bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro. „Das mussten wir den Brasilianern einfach heimzahlen.“ Christian Prokop sah das Ganze naturgemäß nüchterner und zurückhaltender. „Ich hoffe, dass uns dieses Spiel Sicherheit für die nächsten Tage und Wochen gibt“, sagte er.
Wenn sich der Bundestrainer einen Spielfilm für den Verlauf der ersten Halbzeit hätte wünschen können – er hätte genauso ausgesehen wie das, was seine Formation auf das Parkett brachte. Wolff parierte vier der ersten fünf Würfe und ließ sich mit handelsüblichen Macho-Gesten vom Berliner Publikum dafür feiern. Offensiv kämpften die Deutschen ebenfalls um jeden Zentimeter: Kreisläufer Hendrik Pekeler warf sich ohne Rücksicht auf Verluste in einen Abpraller, die Bank bejubelte jede gelungene Aktion. Mit diesen kleinen Gesten brachten die Nationalspieler auch die Halle hinter sich: Nach 20 Minuten und dem Treffer des starken Kapitäns Uwe Gensheimer zum zwischenzeitlichen 12:5 herrschte bereits Partystimmung beim Publikum. Dieses Polster verteidigten die Deutschen bis zur Pause.
Den Brasilianern ging die Puste aus
Dass die Partie mit der Halbzeitsirene noch längst nicht erledigt war, merkte man den Spielern und Verantwortlichen im Stab des Gastgebers aber ebenfalls an. Der Teammanager Oliver Roggisch schaute zur Pause sicherheitshalber beim Hallensprecher vorbei, klatschte mit ihm ab und signalisierte mit unzweideutigen Gesten: Weiter so! Bring die Arena zum Ausrasten!
Im Grunde musste er das gar nicht, die Zuschauer gingen auch so mit – weil sie weiterhin einen konzentrierten Auftritt des deutschen Teams sahen. Darüber hinaus ging den Brasilianern mit fortwährendem Verlauf immer mehr die Puste aus. Das Auftaktspiel gegen Frankreich hatte offenbar deutlich mehr Kraft gekostet, als sie später einräumen wollten. Nationaltrainer Washington Nunes wollte diesen Umstand jedenfalls nicht als Entschuldigung gelten lassen. Vielmehr lobte er den Gegner, der einen wirklich starken Eindruck hinterlassen hatte.
So geriet die Schlussphase zu einem Schaulaufen vor begeistertem Publikum. Abgesehen von den Torhütern Wolff und Heinevetter trugen sich alle Spieler in die Torschützenliste ein, am häufigsten wie gewohnt Kapitän Uwe Gensheimer: der 32 Jahre alte Linksaußen steuerte zehn Tore zum Sieg bei.
Nach einem spielfreien Tag geht es für den Gastgeber am Montag mit dem dritten Vorrundenspiel in Berlin weiter. Dann bekommen es die Deutschen mit Russland zu tun, tags darauf folgt die nach allgemeinem Dafürhalten schwerste Aufgabe: Rekordweltmeister und Titelverteidiger Frankreich.
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