Bei
der Genderfrage muss es um Gleichberechtigung, also
Chancengleichheit, und nicht um Gleichstellung, also gleiche
Resultate, gehen – so die Kritik an meinen beiden letzten Kolumnen bei
ZEIT ONLINE (hier und hier). Man solle also Frauen nicht zu etwas
zwingen, was sie nicht wollten, und Männer nicht benachteiligen. Und
die Gesetze in Deutschland stellten nun mal sicher, dass alle
Menschen in unserem Land die gleiche Wahlfreiheit haben.
Aber stimmt
das? Gibt es Gleichberechtigung in unserer Gesellschaft? Und muss
Gleichstellung nicht auch ein zentrales Ziel der Politik sein?
Im
Jahr 2009 beauftragte das Bundesfamilienministerium mehrere
Forschungsinstitute (darunter auch das DIW Berlin) damit, die
familienpolitischen Leistungen zu bewerten mit Bezug auf fünf
konkrete Ziele, darunter das Wohl des Kindes, aber auch die
Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Kurz vor Abgabe des Gutachtens
im Jahr 2013 änderte die neue Bundesfamilienministerin Kristina Schröder kurzerhand die Zielvorgabe, womöglich, weil sie sich über ein kritisches Votum
des Gutachtens sorgte: Es sollten nur noch die familienpolitischen Leistungen dahingehend bewertet werden, ob sie die “Wahlfreiheit”
von Familien und Eltern verbesserten.
Wer
ist schon gegen Freiheit? Letztlich geht es in unserer liberalen
Demokratie gerade darum, was der Staat tun und lassen soll, um jedem
Menschen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Freiheit ist
jedoch viel mehr als Gleichheit von Menschen vor dem Gesetz. Der
britische Philosoph Isaiah Berlin unterschied zwischen positiver
Freiheit und negativer Freiheit. So bedeutet “frei sein” nicht
nur die Gleichstellung vor dem Gesetz, sondern auch die Befähigung,
Chancen nutzen zu können und keine unüberwindbaren Hürden im Weg
zu haben. Natürlich ist dies eine idealtypische Vorstellung von
Freiheit, die in der Realität nie und für niemanden erreicht werden
kann. Aber Aufgabe des Staates in einer liberalen Demokratie ist es,
allen Menschen unabhängig von deren Geschlecht, Religion,
sexueller Orientierung, Hautfarbe, Alter und Herkunft in ähnlicher
Weise eine solche Freiheit zu ermöglichen.
Wenn es also wieder und wieder
heißt, es könne nur um Gleichberechtigung bei der Genderfrage
gehen, dann ist das häufig nur ein scheinheiliges Argument, um eine
mangelhafte Chancengleichheit zu leugnen. Denn wie genau will man
Gleichberechtigung messen, wenn nicht durch konkrete Maße der
Gleichstellung? Ein Beispiel: Acht Prozent der Vorstände der 40
Dax-Unternehmen sind Frauen, 92 Prozent sind Männer. Mancher
behauptet, dies sei nicht auf die Diskriminierung von Frauen, sondern
auf deren “freie Wahl” zurückzuführen. Wirklich? Wieso haben
dann nordische Länder oder Großbritannien einen doppelt oder
dreimal so hohen Anteil an Frauen in Führungspositionen? Ein anderes
Beispiel: In kaum einem anderen europäischen Land ist der Gender Pay
Gap, also die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern, so hoch wie in
Deutschland. Werden Frauen für die gleiche Arbeit schlechter
bezahlt, weil sie dies wollen oder schlecht verhandeln, oder liegt es
vielmehr daran, dass es bei der Frage der Bezahlung auch
Diskriminierung gibt?
Gleichstellung und Gleichberechtigung bedingen sich
In
anderen Worten, Indikatoren der Gleichstellung sind häufig die
bestverfügbaren Maße für Gleichberechtigung – gerade wenn sie in
internationalen Vergleichen verwendet werden. Dabei bedeutet
Gleichstellung keinesfalls in jedem Fall Gleichheit, also
beispielsweise, dass Gleichberechtigung in der beruflichen Karriere nur
dann vorhanden ist, wenn in allen Unternehmen die Hälfte der
Führungskräfte Frauen sind.
Gleichstellung
und Gleichberechtigung sind nicht nur zwei Seiten der gleichen Medaille.
Eine Verbesserung der Gleichstellung kann in manchen Fällen dazu
führen, dass sich die Gleichberechtigung, also die
Chancengleichheit, für Frauen verbessert. So wissen wir, dass
Vorbilder und Rollenmodelle enorm wichtig sind. Im Sinne des
Freiheitsbegriffs von Isaiah Berlin bedeutet dies, dass es essenziell
für Mädchen und junge Frauen ist, gezeigt zu bekommen, dass Frauen
in unserer Gesellschaft, genauso wie Männer, jede Rolle einnehmen
können.
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