Sommer 1989, Adam und Evelyn fahren aus der ländlichen DDR-Provinzidylle in den Urlaub an den Balaton. Er ist eigentlich ganz zufrieden mit seinem Leben als Damenschneider, sie träumt vom Studium im Westen. Dann werden sie von den Radiomeldungen überrascht, dass Ungarn die Grenzen zu Österreich öffnet. Das ist die Geschichte, die Ingo Schulze 2008 in seinem Roman erzählt. Andreas Goldstein und Jakobine Motz haben sie jetzt verfilmt. Ganz ohne Wende-Aufgeregtheit und erhobenen Zeigefinger verzahnen sie die private Beziehungskrise mit der politischen Staatskrise. Es ist der erste Roman von Ingo Schulze, der verfilmt wird.
ZEIT ONLINE: Das ist die erste Verfilmung eines Ihrer Bücher. Wie fühlt es sich denn an, wenn sich die Figuren vom Papier lösen und vom Autor emanzipieren?
Ingo Schulze: In dem Fall ist es eine uneingeschränkt schöne Erfahrung. Obwohl ich am Drehbuch so gut wie nicht beteiligt war, gab es einen sehr engen Kontakt mit Andreas Goldstein und Jakobina Motz. Ich habe ihnen bei ihrer Briefwagenarbeit am Text zugeschaut und bin mit dem Endergebnis sehr glücklich.
ZEIT ONLINE: Wie wichtig war es Ihnen, dass der Roman von Filmemachern mit Ostsozialisation verfilmt wurde?
Schulze: Von einem Buch oder Film will ich etwas erfahren, was nur diese Autorin, dieser Autor mir so erzählen kann. Alles andere ist Konfektionsware und zugleich anmaßend. Leider ist die DDR ein beliebtes Sujet für diese Anmaßungen. Ich käme nie auf die Idee, etwas über die Bundesrepublik vor ’89 zu erzählen. Wenn ich etwas Historisches schreiben würde, müsste ich schon sehr genau wissen, warum ich mich etwa mit den Bauernkriegen beschäftigen will, aus welcher Fragestellung heraus, sodass es dann eben doch wieder etwas ganz Ureigenes hat. Falsch wäre es, so zu tun, als könnte ich darüber schreiben, oder einen Film machen, wie jemand, der das erlebt hat. In der Kunst muss ja immer alles möglich sein. Aber ich hätte sie oder ihn gefragt, warum er oder sie das machen will. Man könnte das natürlich auch aus der Sicht von Michael erzählen, dem Freund aus dem Westen, das wäre interessant. Aber zum Glück gibt’s jetzt diesen Film.
ZEIT ONLINE: Sind Sie ein Autor, der leicht loslassen kann? Oder wachen Sie eifersüchtig über Ihre Sätze?
Schulze: Das müssen die beiden beurteilen, aber wenn ein so großes Vertrauen besteht, dann gibt es da letztlich keine Probleme, und selbst wenn, hätte ich mich wohl eher rausgehalten. Andreas Goldstein hatte mich sehr früh angeschrieben, doch damals waren die Rechte bereits an die Constantin vergeben. Als diese Fristen abliefen, hat er alles in Bewegung gesetzt. Wir waren also sehr lange im Kontakt, ich wusste sehr früh, wie er über das Buch denkt, was ihm daran wichtig ist. Sich mit ihm auszutauschen war so anregend, dass allein das schon ein Gewinn war, unabhängig von der tatsächlichen Verfilmung.
ZEIT ONLINE: Hätte es Sie gereizt, das Drehbuch zu schreiben?
Schulze: Vor meinem inneren Auge laufen ganz andere Bilder ab. Ich bin mir gar nicht sicher, ob es möglich oder gut wäre, diesen inneren Autorenfilm auf die Leinwand zu bekommen. Der Film ist jetzt anders geworden, ohne das Buch in irgendeiner Weise zu verraten.
ZEIT ONLINE: Was sind für Sie die gravierendsten Unterschiede?
Schulze: Das Buch besteht fast ausschließlich aus Dialogen, im Film gibt es viel weniger Text, da ist sehr viel reduziert worden, das ist unspektakulärer und langsamer, gerade auch bei den dramatischen Auseinandersetzungen, von denen man vermuten würde, dass sich Filmleute darauf stürzen. Auf dieses langsamere Tempo muss man sich einlassen, kann es dann aber auch sehr genießen. Die Akzente der Figuren sind andere. Im Buch ist Adam auf den ersten Blick politischer, auch widerständiger. Im Film wird er es auf eine andere Art, ich würde sogar sagen, auf eine grundsätzlichere Art. Da gibt es für mich noch einiges zu entdecken.
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