Guten Morgen,
ich bin auf dem Land aufgewachsen, mein
Heimatdorf schrumpft seit vielen Jahren, Schulen und Geschäfte in der Gegend
werden geschlossen, der Bus fährt nur noch einmal am Tag. Wer als älterer
Mensch nicht mehr Auto fahren kann, wird sehr einsam. Ganz anders stellt sich
die Situation in Hamburg dar: Jedes Jahr ziehen 30.000 Menschen in die Stadt,
das hat der Senat gestern bekannt gegeben. Er geht davon aus, dass im Jahr 2030
mehr als zwei Millionen Menschen hier leben werden. Eins haben mein Heimatdorf
und Hamburg allerdings gemein: Die Bevölkerung wird älter. Jeder fünfte
Hamburger wird Prognosen zufolge in gut zehn Jahren über 65 Jahre alt sein, gut
60.000 Menschen werden dann wohl gepflegt werden müssen. Deutlich mehr als
heute. Trotzdem treffen uns hier viele Probleme einer alternden Gesellschaft
weniger als anderswo. Warum? Weil vor allem jüngere Menschen in die Stadt
ziehen, darunter viele Flüchtlinge. Hamburg ist deswegen das jüngste aller
Bundesländer. Wachstum ist eben die beste Strategie gegen Überalterung. Sagt
der Junge vom Dorf.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!
Ihr Oliver Hollenstein
Wollen Sie uns Ihre Meinung sagen,
wissen Sie etwas, über das wir berichten sollten? Dann schreiben Sie uns: hamburg@zeit.de.
Aktuelles
“Dann dachte ich, ich bin
tot”
Vor zehn Jahren
wurde Johannes M. auf dem Schanzenfest niedergeschlagen. Seither ist der heute
45-Jährige berufsunfähig, leidet unter Konzentrationsstörungen und Tinnitus und
hat ständig Schmerzen. Gestern begann sein Prozess gegen die Stadt Hamburg,
denn M. ist überzeugt, dass es ein Polizist war, der ihn grundlos attackiert
hat, genauer gesagt ein Beamter der 2. Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit
(BFE) Blumberg. Diese Sondereinheit ist nahe Potsdam stationiert und soll
lokale Polizeikräfte bei Großveranstaltungen unterstützen – wie eben beim
Schanzenfest, bei dem es gern einmal zu Ausschreitungen kommt. Johannes M.
klagt auf mindestens 230.000 Euro Schmerzensgeld. Unsere Redakteurin Sigrid Neudecker hat den Prozess besucht und erzählt hier,
auf welche Weise M. zu gewinnen hofft.
Kammerrebellen wollen nicht Chef werden
Wenn man mit
Unternehmern derzeit über die Handelskammer redet, sieht man: Kopfschütteln.
Hört man: Verzweiflung. Statt die Interessen der Wirtschaft zu vertreten, macht
die Kammer vor allem mit Interna von sich reden. Seit der einst als
Kammerrebell gestartete Unternehmensberater Tobias Bergmann im Dezember als
Präses zurückgetreten ist, weil seine eigenen Leute ihn nicht mehr
unterstützten, ist nun auch noch der Chefposten vakant. Heute will die Kammer
bekannt geben, wer für die Wahl am 24. Januar kandidiert. Nach Informationen
der ZEIT will keiner der Rebellen den Job mit Intrigengarantie antreten.
Stattdessen bewerben sich zwei, die wohl als Einzige genug Zeit, Geld und
Chuzpe haben, um neuer Präses zu werden: der Hafenunternehmer Johann Killinger
und der ehemalige Vorstandschef von Lloyds Fonds, Torsten Teichert.
Sie haben den
Überblick über das Wirrwarr in der Kammer verloren? Unsere
Wirtschaftsredakteurin Hanna Grabbe beantwortet hier
die wichtigsten Fragen.
Stadt will Demografie von
Nachbarschaften beobachten
Wie alt ist
Ihre Nachbarschaft? Das werden Sie bald einfach herausfinden können. Die Stadt
will künftig für alle Nachbarschaften in Hamburg einmal im Jahr erheben, wie
sich die Bevölkerung verändert. Dafür hat sie die Stadt in 940 Quartiere
eingeteilt. Weil sich die einzelnen Stadtteile so unterschiedlich entwickeln,
will sie damit genauer erkennen können, wo eher eine Kita und wo eher eine
Seniorenwohnanlage gebaut werden soll. In einzelnen Quartieren soll zudem bald
ausprobiert werden, wie lebendige Nachbarschaften Senioren helfen können, in
ihren Wohnungen zu bleiben. Das sind die wesentlichen Neuerungen des
Demografie-Konzepts, das Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD)
gestern vorgestellt hat. Darüber hinaus finden sich im Bericht viele bekannte
Maßnahmen des Senats wie der Schul- und Wohnungsbau sowie die Kita-Förderung.
Der Eindruck: Der Senat hat das Problem der Demografie erkannt, ob die
bisherigen Maßnahmen dem Problem gerecht werden, darf man jedoch bezweifeln.
In einem Satz
Im Kaifu-Bad
ist durch ein defektes Ventil Chlorgas ausgetreten, die Feuerwehr musste mit
Spezialkräften anrücken +++ Die Wasserschutzpolizei hat im Hafen gestohlene
Geländewagen im Wert von 150.000 Euro sichergestellt
Was heute auf der Agenda steht
Justizsenator
Till Steffen (Grüne) und Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos)
stellen ihre Pläne vor, wie Schiffe künftig digital registriert werden sollen
+++ Das VW-Tochterunternehmen Moia will erklären, wie es künftig mit
taxiähnlichen Shuttlebussen die Mobilität in der Stadt verbessern will
Was Sie interessieren könnte
Alltagsreporter: Die Schulsekretärin
“Ein kleines
Grüppchen Drittklässler unterhält sich darüber, was Ausländer sind.
Kind A: Das
sind Menschen, die nicht aus Deutschland, sondern aus einem anderen Land
kommen.
Kind B: Ich
komme aus Syrien, aber ich wohne seit drei Jahren in Deutschland. Bin ich auch
Ausländer?
Kind C: Nee,
ich glaube nicht. Wenn du in Deutschland wohnst, dann bist du ja Deutschländer.
Oder?
Schweigendes Nachdenken.
Kind A: Stimmt,
wenn man in Deutschland wohnt, dann ist man kein Ausländer. Das sind nur die,
die woanders wohnen und hier zu Besuch sind. Urlauber zum Beispiel!”
An dieser Stelle finden Sie nun täglich
unsere Alltagsreporter. Hier schreiben Hamburger, die wir gebeten haben, uns
regelmäßig zu berichten, was sie in ihren Jobs erleben. Sie bleiben anonym,
damit ihnen beruflich keine Konsequenzen drohen.
Lesertipps zum Entsorgen von
Weihnachtsbäumen
Wie bekomme ich
den Weihnachtsbaum möglichst dreck- und unfallfrei aus der Wohnung zur
Sammelstelle? Diese Frage hat gestern offenbar nicht nur uns, sondern auch
viele Leser beschäftigt. Elisabeth Ohlendorf schrieb: “Ich habe alles
ausprobiert und durchlitten, bis zur Abmahnung, weil ich völlig entnervt
vergaß, die Nadeln aus dem Treppenhaus zu saugen.” Was also tun? Zwei Methoden
erschienen unserer redaktionsinternen Jury am vielversprechendsten:
Methode Gartenschere: Der Tannenbaum wird im Wohnzimmer mit
Handschuhen und Gartenschere fachmännisch zerlegt. Zunächst die Zweige am Stamm
abtrennen, in einen blauen Müllsack geben, dann den Stamm zersägen und in die
braune Tonne, schreibt Birgit Freynhagen. Diese Methode, darauf weist Sophie Lenschow zurecht hin, ist allerdings nichts für alle, die das Märchen “Der
Tannenbaum” von Hans Christian Andersen kennen und/oder zu viel Empathie mit
Bäumen haben.
Methode Bettlaken: Dem Tannenbaum wird einfach ein
Bettbezug übergestülpt, zugebunden, fertig. Es scheint dabei zwei Schulen zu
geben: Die eine stellt den Baum auf den Bettbezug und bindet oben zu. Die
andere macht es andersherum. Wie ein solch eingepackter Baum aussieht, hat
Doreen S. für uns fotografiert. Besonders beeindruckt hat uns der Tipp von
Svante Fink: Sie ist im Besitz einer Decke mit einem Loch in der Mitte, auf die
sie den Weihnachtsbaum schon vor dem Aufbauen stellt. Zur Entsorgung wird die
einfach nach oben gezogen, fertig!
“Wir sind aus allen Wolken gefallen”
Über 100
Hamburger Bands sind seit Ende November heimatlos. Sie dürfen nicht mehr im
“Otzenbunker” auf St. Pauli proben. Wie konnte es so weit kommen – und wie geht
es jetzt weiter? Unser Reporter Christoph Twickel hat mit Niels Boeing
gesprochen, Schlagzeuger der Band “Die Handlung”.
Elbvertiefung: Seit den Achtzigerjahren proben im
Otzenbunker Bands, darunter auch Größen wie Tocotronic oder Blumfeld. Jetzt ist
damit erst mal Schluss – wie kann das sein?
Niels Boeing: Das ist für uns auch sehr
undurchsichtig. Der frühere Eigentümer hatte offensichtlich von der Stadt nur
die Genehmigung, den Bunker als Lager zu nutzen. Angeblich hätte er schon seit
zehn Jahren die Lüftungsanlage sanieren müssen. Wir haben die Luftschlitze in
den Mauern immer mit Sandsäcken abgedeckt, das hat den Schall einigermaßen
abgehalten. Und es ist auch noch keiner umgekippt, weil die Luft so schlecht
gewesen wäre. Dafür hat der Eigentümer ordentlich Miete kassiert, aber nie was
gemacht. Wir hatten permanent Wasserschäden, eine uralte Lüftung – im Prinzip befand
sich der Bunker noch im Nachkriegszustand.
EV: Die Schließung kam also auch für Sie überraschend?
Boeing: Allerdings, wir sind aus allen Wolken
gefallen! Vor einem Jahr gab es einen Eigentümerwechsel, zu diesem Zeitpunkt
lieferte sich der vorherige Vermieter schon zehn Jahre lang einen Rechtsstreit
mit der Stadt. Doch Genaues wussten wir nicht. Die neuen Eigentümer haben zwar
noch versucht, per einstweiligem Verfügungsantrag die Proberaumnutzung
genehmigt zu bekommen. Doch das Bezirksamt wies den Antrag ab.
EV: Wie geht es jetzt für die Bands weiter?
Boeing: Die Mietverträge ruhen, unsere
Instrumente stehen immer noch im Bunker rum. Viele Bands haben sich natürlich
umgeschaut, was es überhaupt noch zu mieten gibt in Hamburg. Und es stellt sich
heraus, dass in der erweiterten Innenstadt kaum noch was zu haben ist. Das geht
erst in Stellingen und Hamm los.
Welche Rolle
die Anwohner bei der Schließung des Bunkers spielten, lesen Sie in dem
vollständigen Interview
auf ZEIT-Online
Was macht Hamburg zu Ihrer Heimat, Peter
Tschentscher?
“Das Gefühl, hier zu Hause zu sein, in
einer Stadt am Wasser mit vertrauten Orten, an denen ich vieles erlebt habe.
Die Stadt ist groß, aber nicht anonym, denn die Menschen interessieren sich
füreinander, sind tolerant und stolz auf die Vielfalt und Weltoffenheit ihrer
Hansestadt. Dadurch entsteht ein Wir-Gefühl, das alle einschließt, die hier
leben. Neben dem großen Hafen, der Alster und den bekannten Gebäuden gibt es
viele individuelle Stadtteile und Quartiere, in denen sich die Leute auch
persönlich kennen und miteinander reden.”
Peter Tschentscher kam 1966 in Bremen zur Welt. Seit März
vergangenen Jahres ist er Hamburgs Erster Bürgermeister
Wer wir sind
Ich bin Annika Lasarzik, 30, Redakteurin im
Hamburg-Ressort und stellvertretende Elbvertiefungs-Chefin vom Dienst.
Aufgewachsen bin ich im tiefsten Ostwestfalen, in einer Stadt, in der ein
“großer Stein” noch eine echte Attraktion ist. Spannend, aber ich wollte dann
doch lieber weg. So bin ich zunächst in Paris und schließlich in Hamburg
gelandet, wo ich Politik und Journalistik studiert und vor allem viel
geschrieben habe: als Reporterin für die “taz”, als Online-Redakteurin beim
“stern” und frei für den NDR, ZEIT ONLINE, Arte und “Hamburg Mittendrin”. Mich
interessieren sozial- und gesellschaftspolitische Themen, die großen und
kleinen Konflikte des urbanen Zusammenlebens, und überhaupt: Menschen! Ich lebe
im schönen Wilhelmsburg, gehe gern auf Konzerte, ins Kino und beglücke meine
Sitznachbarn dort mit unnützem Filmwissen. An Hamburg mag ich die Weite, das
Wasser, den Wind – und die Musik.
Was Sie heute erleben können
Mittagstisch
Spitzen-Küche
Essen in der Spitze des Chilehauses – das hat schon Flair. Im Dezember 2018 hat genau dort das Restaurant The Brick eröffnet, wo in angenehmem Lounge-Ambiente zu moderaten Preisen in erster Linie persische Küche angeboten wird, zur Mittagszeit auch querbeet mit orientalischer Salatbeilage. Bis 16 Uhr erhält man neben dem afghanischen Nationalgericht Qabuli zwei Burger (mit und ohne Fleisch), Frikadellen mit Kartoffelklößen, gegrillten Lachs sowie einen mediterranen Hähnchenspieß. Die Preise bewegen sich zwischen 7,20 und 7,90 Euro. Günstiger ist nur Qabuli: Es kostet nur 5,90 und besteht aus einem Berg leider zu lasch gewürztem Reis, durchmischt mit zu wenig Karottenstreifen und Rosinen. Wäre nicht die leckere Beilage (Spinat und Auberginen) sowie die für zwei Euro dazubestellten ebenfalls leckeren Hackbällchen in Tomatensauce, das Gericht wäre deutlich zu eintönig ausgefallen. Aber bei der exponierten Lage drückt man gern auch mal ein Auge zu.
The Brick; Altstadt,
Burchardstraße 13c, Mittagstisch Mo–Fr 11.30–16 Uhr
Thomas Worthmann
Was geht
Die Physikerin: Lise Meitner war
neben Marie Curie die bedeutendste Physikerin des 20. Jahrhunderts. Sie gilt
nicht nur als Pionierin ihres Fachs, sondern mit Durchsetzungskraft und
Zielstrebigkeit auch als Vorreiterin starker Frauen. “Deine Lise – Hör-Briefe aus dem Exil”.
Zentralbibliothek,
Großer Veranstaltungsraum, Ebene 1, Hühnerposten 1, 17.30–18.30 Uhr, Eintritt
frei
Revolution im Hörsaal: Hamburgs
Novemberrevolution von 1918/19 war ein epochales Drama. Handfeste Pläne und Illusionen flossen ineinander,
konstruktive Versuche, festgefahrene Vorstellungen. Das Revolutionsgeschehen
prägte die Stadt bis hinein in die Weimarer Republik. Öffentliche Vorlesung von
Ortwin Pelc (Museum für Hamburgische Geschichte): “Die Revolution im
Großraum Hamburg”.
Museum
für Hamburgische Geschichte, großer Hörsaal,
Holstenwall 24, 18.15–19.45 Uhr
Folk-Brüder: Zwei Gitarren, zwei
Stimmen. “The Ocelots” aus Irland brauchen nicht mehr, um Säle mit
Harmonien zu füllen, vor dem geistigen Auge Felsen in der Brandung und Wiesen
im Vollmond zu beschwören.
Singer-Songwriter-Folk mit den Zwillingen Brandon und Ashley Watson.
Kulturcafé Komm du, Buxtehuder Straße 13, 20–22 Uhr, Eintritt
frei
Hamburger Schnack
Vor Kurzem in der U-Bahn: Eine Frau tippt auf ihr schwarzes Smartphone-Display. Ihr Nachbar: “Das ist wohl kaputt.” Sie: “Nein, ich bin blind.” Er: “Oh, das tut mir leid.” Sie: “Macht nichts, das spart viel Strom.”
Gehört von Theo Christiansen
Meine Stadt
Die heutige Ausgabe zum vertieften Lesen
Hits: 170