Zehn Minuten in einer Schulpause, so viel Zeit hat Liam Zergdjenah, Landesvorsitzender und Bundesdelegierter der SchülerInnenkammer Hamburg, für ein Gespräch über die Zensuren, die Senator Ties Rabe vor kurzem von den Schülervertreterinnen und -vertretern der Stadt bekommen hat. Doch diese zehn Minuten sind genug für Zergdjenah, um seine wichtigsten Forderungen rüberzubringen.
ZEIT ONLINE: Sie haben dem Schulsenator am Ende des Jahres Zeugnisse überreicht. Wollten sich Hamburgs Schüler damit im Gegenzug einmal an ihrem obersten Lehrer rächen?
Liam Zergdjenah: Genau, wir wollten einmal den Spieß umdrehen. Das war die Vollversammlung der Schülervertreter, ein einzigartiges Format, das wir dazu nutzen wollten, um zu fragen, wie die Schüler Hamburgs Bildungswesen sehen. Die 160 Schülersprecher haben Zeugnisse ausgefüllt und auf diese Weise Herrn Rabe bewertet. Dabei sind ganz interessante Zahlen rausgekommen, aber auch Forderungen. Die Grunderkenntnis war: Hamburgs Bildungspolitik ist nicht so toll, wie die Schulbehörde das immer darstellt.
ZEIT ONLINE: Das ist jetzt aber nicht wirklich überraschend.
Zergdjenah: Herr Rabe sieht das anders. Er war selbst eine Stunde dabei und hat sich den Fragen der Schülervertreter gestellt. Seine Behörde weicht ja gern aus und stellt sich im Vergleich mit anderen Bundesländern immer ganz toll dar. Da kommt dann als Standardargumentation, dass Hamburg ganz weit vorne ist bei der Digitalisierung, dass die Klassen nicht überfüllt sind, wir keinen Lehrermangel haben und alles besser ist als in anderen Bundesländern. Die Zeugnisse haben jedoch gezeigt, dass die Schüler hier noch Verbesserungspotenzial sehen.
ZEIT ONLINE: Sie haben Schulsenator Rabe im Fach “Vorbereitung aufs Leben” eine 3,5 gegeben. Ist das nicht ein bisschen hart?
Zergdjenah: Aber es stimmt! Der Spruch “Wofür brauche ich das eigentlich?” fiel nicht nur in der Vollversammlung, sondern der fällt auch mal im Unterricht, und zwar nicht nur in Hamburg. Senator Rabe hat darauf sinngemäß geantwortet, dass irgendwann jeder sagt: “Das habe ich dann doch gebraucht.” In Wirklichkeit traut sich die Schulbehörde nicht an die Curricula ran. Es scheint jedenfalls so. Stattdessen wird die Zahl der Klassenarbeiten erhöht und die qualitative Beschulung im Punkt “Vorbereitung aufs Leben” außen vorgelassen.
ZEIT ONLINE: Was sollte denn am dringendsten in die Lehrpläne, und was kann weg?
Zergdjenah: Es geht als erstes nicht darum, direkt etwas zu streichen oder einzusetzen. Hamburg hatte schlechte Ergebnisse in der Rechtschreibkompetenz zu beklagen. In solch einem Fall kann es nicht die Lösung sein, mehr Klassenarbeiten zu schreiben. Hier fehlt eindeutig die qualitative Ausrichtung, vor allem wenn es darum geht zu hinterfragen, ob für uns Schüler schon eine nachhaltige Bildung besteht. Wenn wir von der Vorbereitung auf das Leben sprechen, dann muss gewährleistet sein, dass der Lernstoff eben nicht nur für die Klausur oder den Text abgerufen werden kann. In die Zusammenarbeit bei solch vitalen Themen wie bei der Frage: “Wie lerne ich am besten?” werden wir als Schüler leider nicht genug eingebunden.
ZEIT ONLINE: Was sind Ihre Forderungen? Förderunterricht? Nachsitzen?
Zergdjenah: Als erstes wollen wir eine hamburgweite Versorgung mit Wasserspendern. Und es braucht IT-Administratoren an jeder Schule. Wir können keine gute technische Ausstattung gewährleisten, wenn wir keine Lehrkräfte haben, die sich darum kümmern. Sollte es den Digitalpakt nicht geben, muss Hamburg doch dafür sorgen können, dass die Digitalisierung trotzdem in irgendeiner Form die Schulen erreicht. Lehrer und Schüler benutzen mittlerweile natürlich auch ihre Handys und Laptops, wenn dies zum Unterrichtsthema passt, wir leben ja schließlich im Jahr 2019. Aber ich finde es schlecht, wenn die Behörde immer argumentiert, dass alle Schulen selbst dafür verantwortlich sind. Dabei muss sie mehr Rückhalt in Sachen Digitalisierung geben. Gerade von der Behörde müssen mehr Impulse kommen.
ZEIT ONLINE: Haben die Schulsprecher der Behörde deshalb eine 3,1 im Fach “Digitalisierung” gegeben?
Zergdjenah: Wir haben in Hamburg noch nicht einmal den Wlan-Ausbau geschafft. Da gab es Versprechungen ohne Ende. Dabei war ich schon immer dafür, eine zentrale Cloud einzuführen, aus der man sich Lerninhalte runterladen kann. Aber dafür muss das Handy natürlich kompatibel sein, und da muss im Notfall der Staat für die Kosten aufkommen bei Schülern, die kein mobiles Endgerät haben.
ZEIT ONLINE: Sie haben die “Kommunikation der Schule” ebenfalls mit 3,5 benotet. Was läuft da so schlecht?
Zergdjenah: Die Kommunikation in der Schule ist unerlässlich für eine Teilhabe aller Beteiligten. Unter dem Konzept der selbstverantworteten Schule werden die Schulen allein gelassen und bekommen keine Stärkung, wenn es darum geht, die Meinungen der wichtigsten Akteure, der Schüler, einzufangen. Das machen wir bereits bei den Vollversammlungen der Schülersprecher deutlich. Ich appelliere an Schüler, Eltern und die Lehrkräfte, gemeinsam für eine Schule zu sorgen, an der jeder seine Ideen einbringen kann. Autoritäre Verhältnisse zwischen Schulleitung und Schülersprechern helfen uns wirklich nicht weiter.
ZEIT ONLINE: Hat Senator Rabe schon reagiert? Er hatte ja jetzt auch Ferien.
Zergdjenah: Nein. Es gab mehrere Anfragen, aber die Schulbehörde wollte sich dazu noch nicht äußern. Wir werden noch versuchen, in einem direkten Gespräch auf ihn zuzugehen und deutlich zu machen, dass wir Schüler die wichtigsten Stimmen für eine erfolgreiche Bildung sind. Ganz nach unserem Leitspruch: Weil Schüler Schule am besten verstehen.
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