Vielleicht sofort die ganz offensichtliche Frage stellen: Warum machen nicht viel mehr Leute auf Hufschmied? Scheint doch ein ganz lässiger Job zu sein, im Einklang mit dem Tier, der Natur, sich selbst womöglich, und die Marktlage, meine Güte, krisenfester geht es ja kaum: 100.000 Pferde allein im Großraum Hamburg, der damit pferdereichste Region des Landes ist, hätte man nicht gedacht. Und Pferde gab es immer. Und Pferde wird es, davon gehen wir einfach mal aus, immer geben. Pro Pferd vier Hufe, jeder Huf siebenwöchig besohlbar, das macht – genug Aufträge, genug Geld, aber auch glücklich? Hallo, du, Torsten, jetzt sag doch mal!
Ist der beste Job der Welt, sagt Torsten Becker jetzt doch mal, ist aber auch ein Knochenjob. Steht dort, gekrümmt am Hinterfuß von Amigo, und schabt mit dem Innenmesser das Horn plan. Amigo hält still, Amigo, das bedeutet Freund, aber Becker traut diesem Freund nicht, auch wenn sie sich seit über einem Jahr kennen. Der Hof Römsmoor, hinter Stapelfeld, hier sieht Hamburg schon wie Schleswig-Holstein aus. Hierher wurde Hufschmied Torsten Becker bestellt. Es regnet natürlich. Becker trägt kurze Hose. Seine Vokale, nur lose in die Sätze gehängt, werden davongeweht, zu den Weiden hin, auf denen der Morgennebel grast.
Becker muss aufpassen, dass er nicht zu tief schabt, nicht in den Strahl hinein, den Lebendbereich, sonst blutet Amigo. Zwei Zentimeter hobelt er ab, Maniküre im Scheinwerferlicht, die sein muss, sonst wächst sich der Huf aus. Wie sind sie denn so, die Hamburger Pferdehalter – penibel, eitel, bonzig, nett, freundlich, locker? Becker muss das wissen. Nur zwei Hufschmiede, die auch in der Innung gemeldet sind, bearbeiten den Hamburger Raum, er ist einer davon. Kommt herum. 15.000 gefahrene Kilometer im Jahr, und das seit 25 Jahren.
Nee, Becker schüttelt den Kopf, Amigo den Hals klopfend, das ist ihm jetzt zu pauschal. Gibt solche und solche. Die, die ihre Box klinisch rein halten, und die Nachlässigen, altes Stroh, Dreck am Boden. Die Nachlässigen rufen kurzfristig an, ihr Gaul habe da plötzlich was, ob er nicht mal eben schnell? Macht er nicht, auch als Mahnung: Kümmert euch früher, kümmert euch besser! Die Liebe zum Pferd, findet Becker, sollte doch über allem stehen.
Becker kann großartig mahnen, hochgezogene Brauen, erhobener Finger, direkt ins Gewissen hinein. Vielleicht auch biografisch bedingt, schließlich bekam er das erste Pferd – im Galopp nun durch die Hufschmiedvita – mit elf Jahren. Toni hieß der Hengst, vom Onkel gegen die Carrerabahn getauscht. Becker war wohl ein bisschen anders als andere. Toni starb später, alt und krank, in Beckers Armen. Das vergisst du nie, ruft der Junge, heute ein Mann. Gab kein Zurück mehr, soll das heißen, Becker war Pferdenarr. Langstreckenreiter auch, 1.000-Kilometer-Rennen, über mehrere Tage, und seine Tiere beschlug er selbst. Als ihm ein Tierarzt beschied, mein Bester, die Hufe, die du machst, alle Achtung, sagte sich Becker, damals noch bei Lufthansa in Lohn, ich mach das richtig. Darum Kündigung, Lehre und, ruhig, Amigo, ganz ruhig, haben den Lebenslauf doch schon durchritten – Selbstständigkeit. Sind jetzt wieder bei dir, Amigo. Kriegst deine Eisen gleich.
Lernt endlich, verdammtnochmal, Preise zu kalkulieren, sagt Becker seinen Kollegen
Becker steigt in seinen Sprinter, der auch Werkstatt ist, feuert den Blacksmith-Ofen an, 1.200 Grad. Schöner Moment: wie er sich da wärmt am eigenen Beruf. Legt Amigos alte Eisen hinein, weil die noch gut sind, kaum abgetrabt, und erzählt dabei, dass er bald in Frührente wolle. Becker ist erst 53 Jahre alt. Wenn ich andere sehe, wie die sich mit 70 Jahren noch auf die Weide schleppen, gebückt und müde, nee, das mag ich nicht, sagt er.
Was er mag: dass es den Kollegen gut geht, auch noch, wenn die Auftragslage mal nicht mehr so rosig ist. Becker muss deshalb wieder mahnen. Ruft jetzt, was er auch ruft, wenn er bei Vorträgen auftritt, für die sie ihn, den Routinier, buchen: Macht euch modern! Erkennt die Trends! Und lernt endlich, verdammtnochmal, Preise zu kalkulieren! Gibt ja einige in der Branche, die 120 pro Beschlag rechnen, weil ihr Meister einst auch 120 pro Beschlag gerechnet hat. Becker fast wütend, versteht er nicht. Das ist Mittelalter, ruft er laut. Holt dann die Eisen mit der Krokodilszange aus dem Ofen, biegt und schlägt sie auf dem mächtigen Amboss in Form, kühlt sie im Wassereimer ab.
Zurück zu Amigo, der aus dunklen Augen beobachtet, wie ihm geschieht. Vorbei an Boxen, die so akkurat beschildert sind, dass man die gleiche Fürsorge für sich selbst möchte: Kein Cortison heute! Vorsicht, Medikamentenallergie! Fliegendecke nach der Weide abnehmen! Erst mittags raus! Gar nicht raus! Heute nur Rauhfutter! Das Ausrufezeichen als verbale Peitsche der Pferdehalter, aber Becker, total fokussiert, sieht das gar nicht.
Legt vorsichtig das glühende Eisen auf, es qualmt durch die Stallungen. Große Show, die vernebelt, wie mikroskopisch die Arbeit ist. Die Zone, die Becker benageln muss, misst nur zwei Millimeter. Nagelt er zu weit innen, kann Amigo nicht mehr laufen. Nagelt er zu weit außen, platzt der Huf ab. Amigo leckt dem gebückten Becker den Schweiß aus dem Nacken, einer Liebesbekundung gleich: Mach nur, ich traue dir. Was gut ist, im ungleichen Duell, Becker 75 Kilo, Amigo 600. Becker hämmert, hört, wie der Nagel einschießt in den Huf, schlägt jetzt auch nach Ohr.
Jeder Huf sei anders, ruft es aus dem Nebel. Sechs bis acht Nägel pro Eisen, manchmal auch nur vier, da gilt: so viel wie nötig, so wenig wie möglich, weil jede Perforierung, ruft es weiter, ein Fremdkörper ist. Minuten später ist das Werk vollbracht. Becker führt Amigo am Halfter den Stallgang entlang, der Hengst läuft rund. Becker atmet durch. Wenn ich morgens aufstehe, merke ich meine Hüfte, meine Knie, meinen Rücken, sagt er.
Man hat mitgeschwitzt mit dem Schmied, wie schön, dass es geschafft ist. Becker hält abrupt inne, guckt, die Augenbrauen oben: Was ist geschafft? Drei Pferde warten noch. Es graupelt weiter. Der Tag ist lang. Aber er hat gespart, hat zurückgelegt.
Man kann ihn jetzt doch ein bisschen verstehen mit seiner Frührente.
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