Das Empörungspotenzial ist enorm: Die Abgeordneten der Hamburgischen Bürgerschaft sollen 1.000 Euro mehr bekommen im Monat, rund ein Drittel mehr als bisher. Ist das nicht Raffgier?
Von wegen. Ausgerechnet die stolze Stadt Hamburg entlohnt ihre Parlamentarier so schlecht wie kein anderes Bundesland. 2.907 Euro bekommen die Mitglieder der Bürgerschaft derzeit – steuerpflichtig. In Berlin, beim zweitgeizigsten Parlament, sind es 3.840 Euro. So viel soll auch Hamburg künftig bezahlen, empfiehlt jetzt eine unabhängige Kommission der Stadt. Damit die Situation für die Hamburger Parlamentarier nicht noch prekärer wird.
Denn die Belastung der Hamburger Abgeordneten hat eine Grenze erreicht, die schädlich für die Stadt und die Demokratie ist. Bis heute ist die Bürgerschaft ein Teilzeitparlament. Die 121 Mitglieder sollen die Arbeitszeit in ihrem Beruf verkürzen, um nebenbei im Parlament die Geschicke der Stadt mitzugestalten. Doch so ganz nebenbei geht das schon lange nicht mehr. Zumindest wenn man seine Aufgabe ernst nimmt. Laut einer Studie beträgt die Arbeitszeit der Engagierten 60 bis 80 Stunden pro Woche, Tendenz steigend. In den vergangenen Jahren ist alles mehr geworden: mehr Fraktionen, mehr Ausschüsse, doppelt so viele Drucksachen. Und vor allem: mehr Geschwindigkeit.
Hamburg hat die unabhängigsten Politiker der Republik
Für die Abgeordneten bedeutet das: Entweder sie erledigen die politische Arbeit schnell und oberflächlich – oder sie zerreißen sich auf Kosten ihres Berufs- und Familienlebens. Beides kann nicht im Sinne der Stadt sein.
Die Folgen sind bedenklich: Nach jeder Wahl scheidet rund die Hälfte der Abgeordneten aus der Bürgerschaft aus, viele davon, weil sie die dreifache Belastung durch Politik, Beruf und Familie nicht länger aushalten. Die Grüne Stefanie von Berg gab deswegen im Oktober ihr Mandat sogar mitten in der Legislaturperiode ab. Und Abgeordnete verschiedener Parteien haben bereits intern angekündigt, bei der Wahl in einem Jahr nicht mehr anzutreten. Das ist ein enormer Verlust an Wissen und Erfahrung. Und eine Gefahr: Schließlich sollen die Abgeordneten den Senat mit all seinen gut ausgestatteten Behörden kontrollieren.
Also 1.000 Euro mehr, wie es die unabhängige Diätenkommission jetzt vorgeschlagen hat und worüber das Parlament in den nächsten Wochen beraten wird? Das Geld wäre gut investiert. Es würde keineswegs dazu führen, dass die Mitglieder der Bürgerschaft künftig in Saus und Braus leben. Aber es würde den Engagierten unter ihnen erlauben, ihre Arbeitszeit im Hauptberuf noch ein wenig stärker zu reduzieren. Oder eine Haushaltshilfe oder eine Kinderbetreuung einzustellen.
Ein Vollzeitparlament muss man deshalb übrigens nicht zwangsläufig einführen, wie es vor allem die Grünen und Linken in Hamburg fordern. Es stimmt natürlich, dass sich die Abgeordneten dann voll auf die Politik konzentrieren könnten. Doch es hat auch große Vorteile, wenn sie weiterhin im Arbeitsleben stehen und jederzeit ganz in ihren Beruf zurückkehren können: Hamburg hat die unabhängigsten Politiker der Republik.
Und die am schlechtesten bezahlten. Hoffentlich nicht mehr lange.
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