/Markus Söder braucht vor allem Ruhe

Markus Söder braucht vor allem Ruhe

Offiziell sagt so gut wie keiner etwas zum – nennen wir es mal den „Fall Friedrich Merz“. Bloß Horst Seehofer hat zum Auftakt der letzten CSU-Landesgruppenklausur, die er als CSU-Chef eröffnen darf, eine kurze Nebenbemerkung gemacht darüber, dass Nachbetrachtungen zum CDU-Vorsitzendenwettbewerb jetzt auch nichts mehr nützten. Aber inoffiziell sind sie ziemlich genervt in den Räumen des alten Kloster Seeon: Kaum beschwört die CSU mal Frieden und Sacharbeit, bricht die große Schwester CDU eine Personaldebatte darüber vom Zaun, ob die gerade erst frisch gewählte Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer zur Kanzlerkandidatin tauge.

Tatsächlich passt die Debatte, die vor allem die Anhänger des unterlegenen Kandidaten Merz betreiben, so überhaupt nicht in das „Wir haben verstanden“-Konzept, mit dem die Christsozialen auf die bitteren Wahlniederlagen des letzten Jahres reagiert – und die nächsten Niederlagen zu verhindern hofft. Die Europawahl im Mai gilt als besonders kritisches Datum. Der CSU-Spitzenmann in Brüssel, Manfred Weber, greift als Kandidat der Europäischen Volkspartei nach der Nachfolge Jean-Claude Junckers als EU-Kommissionspräsident. Die letzte Europawahl war für die Partei ein Desaster. Es blieb nur deshalb ohne Folgen, weil niemand den Urnengang wichtig nahm. Diesmal stehen die Christsozialen im Zentrum. Ein Scheitern Webers oder auch nur schlechtes Abschneiden im eigenen Stammland ließe sich nicht wegdrücken.

Horst Seehofer ist schon wieder abgereist

Alles, was auf dem Weg bis dahin stört, stört also. Der Hacker-Großangriff auf Politiker könnte sehr stören. Aber am Freitag ist zunächst noch zu wenig darüber bekannt. „Erst mal sehen, ob ich überhaupt betroffen bin“, sagt ein Abgeordneter. Auch Landesgruppenchef Alexander Dobrindt verweist auf laufende Prüfungen. Den zuständigen Bundesinnenminister kann er nicht direkt fragen. Horst Seehofer ist ebenso wie Söder am Vorabend schon wieder abgereist.

Ganz sicher stört jedenfalls, dass Merz- Freunde wie der scheidende EU-Kommissar Günther Oettinger und sogar Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble versuchen, ihrem Favoriten einen Weg ins Kanzleramt offen zu halten. „Wir brauchen überhaupt keine personellen Debatten bis zur Europawahl“, schimpft ein CSU-Abgeordneter. „Überflüssig wie ein Kropf“, ärgert sich ein anderer.

In den Beratungen der Landesgruppe wurde das Thema nur kurz angesprochen, Tenor bis hin zum Ministerpräsidenten Markus Söder: Wir werden den Teufel tun, uns dazu zu äußern. Dass der Landtagsfraktionschef Thomas Kreuzer sich schon zu der Bemerkung hat verlocken lassen, bei Kanzlerkandidaten der Union rede die CSU mit, macht ihm hier keine Freunde. Zumal die Feststellung zwar formal richtig ist, aber konkret sinnlos, weil es gar keinen CSU-Alternativkandidaten gibt.

Er braucht Zeit – und Ruhe in Berlin

Außerdem gilt es in der CSU derzeit schon als frivol, auch nur mit dem Gedanken an eine nächste Bundestagswahl zu spielen. Söder wird in gut vier Wochen auch Seehofers Erbe als Parteichef antreten und damit endgültig zum neuen starken Mann der CSU. Sein kurzer Auftritt in Seeon lässt erahnen, dass er das umfassend ernst zu nehmen gedenkt. Wer zum Beispiel geglaubt hatte, der Franke werde sich aus der für ihn fremden Bundespolitik heraushalten, erfuhr gleich am ersten Tag, dass Söder sich quasi im Vorgriff auf seine Wahl schon mal mit Kramp-Karrenbauer und der SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles auf Zusammenarbeit in der Koalition verschworen hat.

Der Bayer hat kein Interesse an der Neuauflage des Asyl-Sommertheaters. Er braucht Zeit und eine ruhig arbeitende große Koalition in Berlin, um die Defizite aufzuarbeiten, die sie in der CSU als tiefere Ursache des schlechten Landtagswahlergebnisses ausmachen. „Wir haben das Lebensgefühl größerer Teile unserer Wählerschaft nicht mehr erreicht“, hat neulich einer der Führenden festgestellt, vor allem mit Blick auf die Verluste an die Grünen. Jünger müsse die CSU werden, sagt Söder, weiblicher, „sympathischer“. Und, noch einmal für den Mann, der neben ihm im Schnee steht: „konstruktiv“.

Pferde im Schnee . Polizisten der Reiterstaffel Rosenheim sind bei der CSU-Winterklausur im Einsatz.Foto: Matthias Balk/dpa

Der Mann verzieht möglichst keine Miene. An Alexander Dobrindt lassen sich die neuen Verhältnisse in der CSU in Person illustrieren. Er war der Regieassistent, wenn nicht der Regisseur des Sommertheaters um „Zurückweisungen“ an der Grenze. Die Inszenierung floppte, die Spätfolgen sind massiv: Seehofer verliert beim Sonderparteitag am 19. Februar sein Parteiamt, Dobrindt seinen Mentor. Zwischenzeitlich war er völlig abgetaucht. Bei den wenigen unvermeidlichen Presseterminen in Berlin verbreitete er schlechte Laune und gewagte Theorien darüber, warum seine Anti- AfD-Strategie in Bayern irgendwie doch noch aufgegangen sei.

Um so verblüffter waren seine regelmäßigen Zuhörer, als Dobrindt in der Debatte um den UN-Migrationspakt nicht Bedenken aufgriff, sondern das Vorhaben massiv gegen alle Kritik à la AfD verteidigte. Er schrieb sogar maßgeblich die Bundestagsresolution für das Vertragswerk mit.

“Chancenparteien” gegen “Angstparteien”

Seither war klar: Die alte Theorie vom Kampf um AfD-Wähler durch verständnisvolle Annäherung hatte stillschweigend ausgedient. Sie passte nicht mehr in eine CSU-Landschaft, in der bis auf Weiteres Söder als sanfter Landesvater den Ton angibt. Inzwischen hat der studierte Soziologe Dobrindt dazu passend eine neue Theorie ausbaldowert. Sie besagt, dass die politische Welt zweigeteilt sei in – vernünftige, sachorientierte, um Lösungen für das ganze Volk bemühte – „Chancenparteien“ wie zum Beispiel CSU, CDU oder SPD und in „Angstparteien“, die nur aus den Sorgen der Menschen Profit schlagen wollten.

Es erfordert zwar einige grobe Verkürzungen grüner Programmatik, dass er neben AfD und Linken auch die Grünen diesen Angstparteien zurechnet. Auch lässt sich nicht recht erkennen, wie Dobrindt Grünen-Wähler zurückgewinnen will, indem er deren neue Favoriten beschimpft. Aber diese Theorie hat einen unbestreitbaren Vorteil: Sie stört keinen.

Die Zukunft soll im Mittelpunkt stehen

Das ist wichtig in der Übergangsphase zwischen alter und neuer CSU, in der alte Machtstrukturen bröckeln und neue noch nicht etabliert sind. Söder und Dobrindt sind von Natur aus keine Freunde. Für beide steckt im Übergang viel Unsicherheit. Das erklärt übrigens zum guten Teil auch die ausgesuchte Freundlichkeit gegenüber der Schwesterpartei. Dobrindt hat Kramp-Karrenbauer nach ihrem Sieg beim CDU-Parteitag nach Seeon eingeladen – eine seltene Geste, die durch den Zank um Merz’ Zukunft im Nachhinein noch stärker wie ein symbolischer Akt wird: Mögen in der CDU welche nachkarten, wir besprechen gemeinsam die Zukunft.

Auch inhaltlich fallen freundliche Worte über AKK, noch bevor sie am späten Abend zum Kamingespräch kommen soll: Sympathisch, in Grundsatzfragen wie dem Schutz des Ungeborenen standfest, engagierte Sozialpolitikerin, große Erfahrung im Bund-Länder-Spiel. Das alles ist der Regionalpartei mit dem Christlich-Sozialen im Namen näher als Merz’ wirtschaftsliberale Begeisterung für Volksvermögensbildung durch Aktienerwerb. Und außerdem, sagt ein Jüngerer, gehöre der Ex-Fraktionschef ja doch zu jener Generation, die sich an Merkel die Zähne ausgebissen habe. Nicht zur Generation Aufbruch.

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