/Freundschaftsdienst des Berliner Innensenators

Freundschaftsdienst des Berliner Innensenators

Ältere Menschen werden in Berlin immer häufiger Opfer von Kriminellen, die sich als Polizisten ausgeben. Die Schadenssummen sind hoch. 2016 gab es 800 Anzeigen, im Jahr darauf schon fast 1900. Das Landeskriminalamt hat deshalb im Sommer eine Ermittlungsgruppe eingerichtet, auch weil der Ruf der Polizei selbst auf dem Spiel steht. Es geht um erwerbsmäßige Bandenkriminalität.

Nun schlägt innerhalb der Polizei ein Fall aus Karlshorst hohe Wellen. Intern wird kritisiert, dass Innensenator Andreas Geisel (SPD) vor Ort zugunsten einer befreundeten Familie in die Polizeiarbeit eingegriffen haben soll. Das sei ein Unding und völlig unüblich, sagen Beamte. Der Senator hingegen sieht es als Hilfe für enge Nachbarn, die Opfer einer schweren Straftat geworden sind.

Der Fall stellt sich nach den internen Meldungen der Polizei, nach Rückfrage bei Beamten und in der Senatsinnenverwaltung folgendermaßen dar: Eine 90-Jährige soll nach unterschiedlichen internen Angaben der Polizei am späten Donnerstagnachmittag einen Anruf von einem Mann bekommen haben, der sich als Polizeibeamter – als „Kriminaloberkommissar Berger“ – vorgestellt hat. Zu dieser Zeit seien die anderen Familienmitglieder nicht im Haus gewesen.

Bargeld in Höhe von 94.000 Euro

Etwa 30 Minuten lang sei die Frau in ein Gespräch verwickelt und von dem falschen Polizisten ausgefragt worden: zu ihren Lebensverhältnissen und ihrem Vermögen. Zudem habe „Kriminaloberkommissar Berger“ vorgegeben, dass bei der Frau eingebrochen werden soll. Um sich bestätigen zu lassen, dass der Mann wirklich Polizist ist, habe die Frau während des laufenden Telefonats den Notruf 110 wählen sollen. Eine Frau habe dann am anderen Ende der Leitung bestätigt, dass es diesen Beamten, besagten Kriminaloberkommissar, gäbe und aktuell ein Einsatz laufe.

Der falsche Polizist habe die Frau dann angewiesen, Wertgegenstände und das Bargeld zur Sicherheit zu verpacken und vor das Haus unter das Fenster zur Straßenseite zu legen. Dabei sollte sie aber weiter am Telefon bleiben und die Rollläden und Fenster geschlossen halten. Ein Verwandter der Frau werde das Geld dann abholen.

Ein weiterer Täter, der sich als ihr Neffe ausgab, hat dann per Telefon bestätigt, dass der Polizeieinsatz echt sei. Die Frau folgte den Anweisungen. Nach dem Gespräch ging die 90-Jährige in den Keller. Dort holte sie aus einem Tresor Bargeld in Höhe von 94.000 Euro und eine mit Diamanten bestückte Brosche. Die 90-Jährige steckte alles in eine Tüte und warf diese aus dem Fenster ihrer Wohnung. Die Täter holten sich dann schließlich den Beutel.

Der Neffe informierte die Polizei – und Andreas Geisel

Wenig später rief die Frau bei ihrem richtigen Verwandten an, der gleich in der Nähe wohne und ihr Neffe sei. Bei ihm fragte sie nach, ob das Geld angekommen sei. Dem Verwandten wurde sofort klar, dass die Frau Opfer einer Straftat geworden war. Schließlich informierte er die richtige Polizei – und Andreas Geisel. In der ersten internen Meldung der Polizei war sogar von einem Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Opfer und Geisel die Rede. Das ließ sich aber nicht überprüfen und wurde von Geisel auch dementiert.

Die Polizei kam zunächst mit einem Streifenwagen vorbei. Auch der Kriminaldauerdienst der Direktion 6, zuständig für Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick, wurde angefragt. Der macht den ersten Einsatz am Tatort bei schweren Straftaten wie Raub, Einbruch und Autodiebstahl, um Spuren zu sichern und Zeugen zu vernehmen. Doch der Kriminaldauerdienst lehnte zunächst ab, weil zu wenige Teams im Einsatz waren und diese auch noch mit schwereren Fällen zu tun gehabt haben sollen. So war von einem Raub und Einbrüchen die Rede. Der Kriminaldauerdienst arbeitet die Fälle nach Priorität ab – die schwersten Straftaten zuerst.

Geisel ist gleich selbst bei der Familie erschienen und hat dann vor Ort persönlich bei den Beamten und beim Lagedienst interveniert, damit die Kriminalpolizei doch noch kommt. Das zeigte Wirkung, schließlich eilten Kripobeamte zum Tatort. Sie sollen auch Spuren der Täter gefunden haben.

Die Polizei ist streng hierarchisch organisiert, Anweisungen von oben sollen nur durch die jeweils direkten Vorgesetzten nach unten weitergereicht werden. Eine direkte Einflussnahme auf Beamte im Einsatz durch hohe Beamte, die keine direkten Vorgesetzten sind, und auch durch die Politik soll damit verhindert werden.

Der Sprecher der Senatsinnenverwaltung bestätigte und verteidigte Geisels Vorgehen. Es handle sich um einen Fall in der engen und funktionierenden Nachbarschaft in Karlshorst. Die befreundete Familie des Opfers habe ihn deshalb informiert. Geisel habe versucht, die Familie, die Opfer einer schweren Straftat geworden sei, zu beruhigen und ihr beizustehen. Dem Senator sei durchaus bewusst, dass die Personallage bei der Polizei angespannt sein kann. Es gehe aber darum, dass sich die Polizei umfassend um die Opfer schwerer Straftaten kümmert und diese ernst nimmt – unabhängig davon, ob es Nachbarn des Innensenators seien.

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