/Migration und Bildung: Die Hauptschule hat mich stark gemacht

Migration und Bildung: Die Hauptschule hat mich stark gemacht

Es war Herr Clemens, der mich ermutigte. In der neunten Klasse setzte er mich neben Jan, der schlecht las und manchmal zehn Minuten auf einen Absatz starrte. Und plötzlich war ich seine Lesepatin. Bald schon schrieb ich einer neuen Klassenkameradin die Aufsätze, die mir dafür Brote schmierte und Buntstifte kaufte. Herr Clemens las diese Aufsätze vor der Klasse vor. Dabei hatte ich noch bis vor Kurzem gedacht, ich sei eine Versagerin.

Herr Clemens war mein Klassenlehrer an der Hauptschule. Man sagt, Hauptschulen produzierten nur Verlierer, der Hauptschulabschluss tauge nichts. Aber bei mir war das anders. Diese Schule war mein Glück, denn dort hatte ich Herrn Clemens.

An der Hauptschule fiel aller Druck von mir ab. Hier lernte ich, über mich selbst zu bestimmen und bekam eine Struktur. Die Schule wurde für mich zu einem Ort, an dem ich mich sicher fühlte. Das war nicht immer so gewesen.

Alle 30 Tage zum Amt

Ich war ein Flüchtlingskind und ich war traumatisiert. Vor dem Krieg in Bosnien und Herzegowina war ich im Alter von sechs Jahren mit meiner Familie geflohen. In Deutschland lebten wir lange nur mit einer Duldung. Regelmäßig kamen Briefe, die wir nicht verstanden, alle 30 Tage mussten wir zum Amt. Das größte Glück meiner Eltern war eine Sondergenehmigung, mit der sie arbeiten durften. Mein Vater, ein gelernter Kfz-Meister, sammelte Schrott auf einem Schrottplatz. Geh zurück in dein Land, sagten ihm seine Kollegen, wenn er morgens zur Arbeit kam. Ihr Land gibt es nicht mehr, sagte man ihm auf der Ausländerbehörde. Beim Mittagessen saß er allein. Meine Mutter putzte jeden Tag zehn Stunden in einem Hotel.

Wir wohnten selbst in diesem Hotel, die Besitzer hatten uns aufgenommen. Wir schliefen hinter der Waschküche im Keller zu viert in einem Doppelbett. Die großen Industriewaschmaschinen dröhnten im Nebenraum, es roch modrig und ich hatte Kopfschmerzen. Ich hatte keine Bücher, ich hatte keinen Schreibtisch. Ein Jahr später fanden wir eine kleine Zweizimmerwohnung in einem grauen Plattenbau. Dort schliefen meine Eltern auf der Couch, damit meine Schwester und ich uns ein Zimmer teilen konnten.

Aber gegen meine Erschöpfung kam die neue Ruhe nicht an. Mich quälten Atemnot, Albträume und Herzrasen. Mein erster Gedanke morgens war: Heute breche ich zusammen. Zähneputzen war anstrengend, Anziehen war anstrengend.

Dass ich traumatisiert bin, wusste ich nicht. Ich wusste nicht, warum ich ständig unruhig war und nicht einschlafen konnte. Meine Welt war durch den Krieg erschüttert worden und das versetzte mich auch Jahre später in ständige Alarmbereitschaft. Meine Eltern hatten keine Kraft, mir zu helfen. “Wir müssen einfach durchhalten”, sagte meine Mutter, wenn ich morgens das Haus mit Tränen in den Augen verließ.

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