In Frankreich ist Sidonie-Gabrielle Colette so etwas
wie ein Nationalheiligtum. Die Schriftstellerin gehört zu den wenigen Frauen, nach
denen in Paris nicht nur eine Straße, sondern der Platz direkt vor der Comédie-Française benannt wurde. Colette ist auch jene Frau, die Simone de Beauvoir in Le deuxième sexe (Das andere Geschlecht) am häufigsten zitierte und die erste, die in
Frankreich ein Staatsbegräbnis bekam.
Als sie im August 1954 starb, strömten die
Menschen zu ihrem Sarg im Hof des Palais Royal, um sich von ihr zu
verabschieden. Weil sie so wichtig für sie gewesen war. Für die Frauen, weil
sie ihnen eine neue Stimme und ein neues Selbstbewusstsein gegeben hatte, aber eben
auch für alle anderen. Für alle, die anders waren und durch die Lektüre ihrer
Romane vermittelt bekamen, dass es okay war, anders zu sein.
Colette war selbst ganz anders als die meisten Frauen und auch
die meisten Männer ihrer Zeit. Sie hatte sich zu Beginn des vergangenen
Jahrhunderts Freiheiten herausgenommen, die sich sonst nur wenige herausnahmen.
Sie schrieb Dinge und Gedanken auf, die sich Frauen bis dahin höchstens ganz
leise beim Nasepudern zugeflüstert hatten. Und brach damit Türen auf, die man danach nicht
mehr so einfach zuschlagen konnte. Sie schrieb Romane, die man in Frankreich als
junges Mädchen liest, deren frivoles Genie man aber erst viel später versteht.
Der Film Colette von
Wash Westmoreland (Z – The Beginning of
Everything,
Still Alice – Mein
Leben ohne gestern),
der nun in Deutschland anläuft, kann all dies kaum vermitteln. Zwar wird
mehrmals gezeigt, wie Keira Knightley als Colette ganz wild inspiriert
irgendwas in ihr Heftchen schreibt. Auch wird immer wieder der erste Satz aus Claudine in der Schule zitiert: “Mein
Name ist Claudine, ich lebe in Montigny; ich wurde 1884 dort geboren; hier werde ich aller Voraussicht nach nicht sterben.” Darüber hinaus lernt man über Colettes künstlerisches
Werk: nichts. Wenn man vorher nichts von ihr gelesen hat, wird man auch nach
diesem Film nicht wissen, weshalb ihre Claudine-Bücher
im Paris des Jahres 1900 für solche Begeisterung sorgten; wird nicht verstehen,
weshalb in den Folgejahren eine regelrechte Claudine-Hysterie
ausbrach.
Zwar legt man ihrer Liebhaberin Missy in den Mund, Colette habe ein “neues Frauengenre” erfunden, nur bedeutet das in diesem Film nicht viel mehr als dass Frauen ihre Haare nun als Bob tragen und alte Herren in Schulmädchenkleidung verführen. Warum Colette vielen jungen Frauen ein Vorbild war, nämlich weil ihre Sprache frech und mutig, aber auch naiv und verträumt und vor allem vollkommen ungekünstelt war, das erklärt der Film nicht. Dem Genie und besonders dem Witz dieser Frau kommt Westmoreland nicht auf die
Spur. Denn dafür geht es, wie in fast allen Biopics über Frauen, zu sehr um etwas
ganz anderes: nämlich die Liebe.
Nichts gegen die Liebe, Liebe ist toll
und natürlich spielt sie im Leben jeder Frau wie auch eines jeden Mannes eine
große Rolle, nur erzählt man die Lebens- und Schaffensgeschichten von Männern
ja auch nicht um deren Ehefrauen herum. Man zeigt, was sie gemacht und was sie
gedacht haben, man zeigt sie als Helden ihrer Zeit und ihrer Zunft. Ganz anders
verhält es sich hingegen bei den Biopics über berühmte Frauen. Es scheint fast so,
als interessiere man sich, vor allem in letzter Zeit, wo das Genre geradezu explodiert,
weniger für die einzelne Frau als für ihre Beispielhaftigkeit. Die Frau wird
zum Symbol der Emanzipation. Dass die Person, die Frau hinter dieser Ambition meist
vollkommen verblasst, ist offensichtlich egal.
Bei Colette hat sich der Regisseur und Drehbuchautor Westmoreland die bekannteste und wichtigste Beziehung in Colettes Leben, die zu ihrem ersten Ehemann Willy, herausgepickt. An ihr, so muss er sich gedacht haben, lässt sich die Entwicklung vom naiven, gutmütigen Mädchen zur Frau, die sich nimmt was ihr gehört, am besten erzählen, schließlich betrog Willy sie bekanntlich schon kurz nach der Hochzeit und veröffentlichte Colettes Debüts, die Claudine-Reihe, (mit ihrem Einverständnis) unter seinem eigenen Namen.
Dass Colette die Affären ihres Ehemannes im wahren Leben viel cooler nahm als es
eine Eifersuchtsszene im Film zeigt und sich sogar mit ihren
Konkurrentinnen anfreundete, vor allem aber, dass in Paris jeder wusste,
dass sie die wahre Autorin der Claudine-Bücher war, weil
Willy daraus gar keinen Hehl machte und sie sich nicht erst mit ihrer Geliebten selbst behauptete, das erklärt die Verfilmung nicht. Es würde die Geschichte, die den Weg von “Unterdrückung” zu “Freiheit” ganz sauber und linear abzeichnen möchte, wohl unnötig
komplex machen. Und komplex darf es in Frauen-Geschichten nicht sein.
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