Das Meer ist weit, der Weg nach Europa für manche Migrantinnen und Migranten aber noch viel weiter. Auch bei fallenden Temperaturen versuchen einige noch die Flucht über das Mittelmeer, mindestens 2.119 von ihnen haben es laut Statistiken der Flüchtlingswerke UNHCR und IOM dieses Jahr nicht geschafft: Sie sind ertrunken oder werden vermisst. Die Zahl steigt nahezu täglich an. In Zukunft können sie jedoch wieder darauf hoffen, von einem zivilgesellschaftlich betriebenen Schiff gefunden und versorgt zu werden. Immer mehr Hilfsorganisationen schicken wieder Schiffe auf das Mittelmeer oder schließen Verhandlungen über neue Schiffe ab.
Damit endet ihre monatelange Zwangspause. Im Spätsommer, wenn erfahrungsgemäß besonders viele Menschen die Überfahrt antreten, fuhr zeitweise kein einziges ziviles
Rettungsschiff: Italien und Malta hatten mehrere Schiffe beschlagnahmt (Iuventa, Open Arms, Lifeline) oder ohne konkrete Gründe festgesetzt (Sea-Watch 3, Seefuchs). Andere Schiffe gerieten in Flaggenstreitigkeiten und warten auf Klärung (Aquarius 2) oder haben inzwischen einen Maschinenschaden (Sea-Eye).
NGO-Schiffe auf dem Mittelmeer
Für Bootsflüchtlinge bedeutete dies, dass sie insbesondere vor Libyen entweder von der libyschen Küstenwache aufgegriffen und zurückgebracht wurden oder mehr oder weniger auf sich allein gestellt waren. Handelsschiffe zogen vorüber, Fischkutter zogen vorüber, und auch EU-Schiffe zogen vorüber. Recherchen von BuzzFeed News zufolge haben EU-Schiffe der Mittelmeermission Sophia, die Flüchtlingsboote ausfindig machen soll,
im Juni keinen einzigen Menschen aus dem Mittelmeer gerettet, im Juli
lediglich 106. Im Vorjahr waren es in den Monaten jeweils mehr
als 1.500 Personen. Zwar ging schätzungsweise auch die Zahl der Bootsflüchtlinge zurück, der Rückgang steht aber in keinem Verhältnis zum Rückgang der Rettungen. Auch in Zukunft ist kein besonderes Engagement der Sophia absehbar: Zum Jahresende soll die Mission enden.
Deutsche Flagge für mehr diplomatischen Schutz
Dass nun zivile Rettungsschiffe auf das Mittelmeer zurückkehren, hat zum Teil mit diplomatischen Anstrengungen, zum Teil mit einem Strategiewechsel der Organisationen zu tun.
Am 24. November startete das Schiff Professor Albrecht Penck von Sea-Eye seine erste Mission. Es wird das erste zivile Seenotrettungsschiff mit deutscher Flagge und deutscher Zulassung auf dem Mittelmeer sein. Bislang hatten deutsche NGOs ihre Schiffe in ausländischen Schiffsregistern eingetragen, weil diese eine Registrierung als Sport- oder Freizeitboot ermöglichen. Dies ist deutlich günstiger und weniger aufwendig, führte aber wiederholt zu Problemen. Von der deutschen Flagge verspreche sich Sea-Eye “den größtmöglichen Schutz für unsere Besatzungsmitglieder und für gerettete Menschen”, sagte Sprecher Gorden Isler. Ob sich die Flagge bei künftigen Streitfragen positiv bemerkbar machen wird, ist offen. Seerechtsexperten bezweifeln dies, allerdings hatten deutsche Behörden schon einmal ausgeholfen: Als Malta die in den Niederlanden registrierte Seefuchs monatelang blockierte, unterstützte das Auswärtige Amt einen Flaggenwechsel zur Überstellung des Schiffes nach Deutschland.
Viele Segeljachten statt großes Schiff
Auch die NGO Mission Lifeline will ihre Strategie ändern. Ihr Schiff Lifeline wurde wegen eines Prozesses gegen den Lifeline-Kapitän Claus-Peter Reisch als Beweismittel beschlagnahmt. Reisch soll ein nicht registriertes Schiff gesteuert haben. Die Lifeline ist ein Trawler, aber wie viele andere private Rettungsschiffe als Sportboot beim königlichen Wassersportverband Niederlande und nicht im königlichen Schiffsregister registriert. Nun setzt die Organisation auf echte Sportboote – genauer gesagt auf Segeljachten, die sie zu einer Flotte zusammenführen will. Im Oktober fand bereits eine erste Testfahrt bis vor die libysche Küste statt, inzwischen haben drei Segeljachtbesitzer ihre Boote für die Flotte zur Verfügung gestellt. Sobald eine Besatzung steht und das Wetter es zulässt, also wahrscheinlich im Frühsommer, will die Flotte losziehen.
Ebenfalls neu ist eine internationale Kooperation: Hilfsorganisationen aus Italien, Deutschland und Spanien haben sich zusammengeschlossen, um gemeinsam die Mare Jonio auf das Mittelmeer zu schicken.
Gemeinsame Missionen
Auf das Mittelmeer zurückgekehrt sind zudem die Sea-Watch 3 und die Open Arms. Die Sea-Watch 3 wurde nach einem routinemäßigen Werftaufenthalt im Hafen von Valletta in Malta festgesetzt. Die maltesischen Behörden bezweifelten die Rechtmäßigkeit ihrer Flagge und verboten ein Wiederauslaufen. Die Vorwürfe erwiesen sich aber als haltlos und Malta ließ das Schiff vier Monate später wieder frei. Die spanische Open Arms wurde ebenfalls festgehalten und ist wieder frei: Im März verdächtigte die italienische Staatsanwaltschaft Crewmitglieder, Beihilfe zu illegaler Migration geleistet zu haben.
Sea-Watch 3, Open Arms und Mare Jonio bilden derzeit die humanitäre Flotte #united4med. Gemeinsam unterstützen sie das spanische Fischerboot Nuestra Madre Loreta, das vergangene Woche zwölf Schiffbrüchige aufgenommen hat. Die Nuestra Madre Loreta bekommt seither keinen sicheren Hafen zugewiesen und geriet bei einem Sturm in Schwierigkeiten. Außerdem gehen ihre Treibstoff- und Nahrungsreserven zu Ende.
Andere Organisationen planen eine baldige Rückkehr und sehen sich dafür nach neuen Schiffen oder Flaggen um. Jugend Rettet, deren Schiff Iuventa beschlagnahmt ist, will zum Beispiel ein neues Schiff kaufen. Und die Aquarius will wieder auslaufen, sobald sie eine geeignete Flagge gefunden hat.
Hier können Sie, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, den aktuellen Status der einzelnen NGO-Schiffe nachvollziehen.
Zivile Rettungsschiffe im Mittelmeer
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Sea Watch 3:
Nach Zwangspause zurück auf dem Meer
- Ort: Mittelmeer
- Größe: 50 × 12 Meter
- Kapazität: 50 – 500 Personen
Von November 2017 bis Januar 2018 retteten die Crews der “Sea-Watch 3” etwa 1.500 Menschen ohne größere Reibereien. Die Probleme kamen erst, als der italienische Verkehrsminister auf Twitter den Flaggenstatus von zivilen Rettungsschiffen anzweifelte. Im Juni lief die “Sea Watch 3” zum routinemäßigen Werftaufenthalt in den Hafen von Valetta in Malta, ein. Dort angekommen blockierten die maltesischen Behörden monatelang eine erneute Ausfahrt. Sie bezweifelten die Flagge der “Sea Watch 3”. Die Vorwürfe erwiesen sich als haltlos, Malta ließ das Schiff wieder frei. Am 20. Oktober fuhr es zunächst nach Spanien für Instandhaltungsarbeiten, am 22. November startete es eine neue Rettungsmission in der Such- und Rettungszone vor Libyen. Verfolgen Sie hier die aktuelle Position der Sea Watch 3.
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Professor Albrecht Penck:
Die erste Mittelmeermission unter deutscher Flagge
- Ort: Cuxhaven, Deutschland
- Größe: 39 × 7 Meter
- Kapazität: 150 Personen
Das Forschungsschiff “Professor Albrecht Penck” ist der deutlich größere Nachfolger der “Seefuchs” und “Sea Eye”. Als erstes ziviles Seenotrettungsschiff für das Mittelmeergebiet hat es eine deutsche Flagge. Die NGO Sea Eye erhofft sich von der deutschen Flagge einen größeren diplomatischen Schutz als mit der niederländischen Flagge. Am 24. November legte “Professor Albrecht Penck” in Rostock zu seiner ersten Rettungsmission ab, Mitte Dezember soll das Schiff im Mittelmeer ankommen. Verfolgen Sie hier die aktuelle Position von Professor Abrecht Penck.
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Mare Jonio:
Eine Kooperation von NGOs aus Italien, Spanien und Deutschland
- Ort: Libysche Küste
- Größe: 38 × 9 Meter
- Kapazität: 100 Personen
Das Schiff Mare Jonio entstammt einer Initiative aus Italien: die Mediterranea. Dafür haben sich Aktivisten, Gewerkschaften und Parlamentarier zusammengeschlossen und per Crowdfunding ein Schiff gekauft. Das Schiff war schnell da, nicht aber die Expertise. Diese steuern die spanische NGO Proactiva Open Arms und die deutsche NGO Sea Watch bei. Sea Watch half bei der Ausrüstung, stellte Equipment zur Verfügung und auch ein Crewmitglied. Am 4. Oktober startete die Mare Jonio ihre erste Mission. Verfolgen Sie hier die aktuelle Position der Mare Jonio.
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Open Arms:
Rettungsschwimmer aus Spanien
- Ort: Mittelmeer
- Größe: 37 × 10 Meter
- Kapazität: 400 Personen
Im September 2015 zogen engagierte spanische Rettungsschwimmer spontan nach Lesbos und retteten schiffbrüchige Flüchtlinge wortwörtlich mit ihren bloßen Händen und Schwimmflossen. Aus der Initiative wurde über die Jahre eine NGO namnes Proactiva Open Arms mit eigenen Schiffen. Seit Juli 2017 ist die “Open Arms” ihr Flaggschiff. Es geriet immer wieder in die Schlagzeilen: Bei ihren Einsätzen wurde sie mehrmals von libyschen Milizen bedroht und im Frühjahr beschlagnahmte die italienische Staatsanwaltschaft sie vorübergehend. Anfang August wartete das Schiff tagelang mit 87 Flüchtlingen an Bord darauf, an einem europäischen Hafen anlegen zu dürfen. Letztlich durfte es in den Hafen von Algeciras in Spanien. Mitte August verließ das Schiff den Hafen wieder. Derzeit ist die Open Arms im Mittelmeer unterwegs. Verfolgen Sie hier die aktuelle Position der Open Arms.
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YachtFleet:
Segelyacht-Flotte statt Schiff
- Ort: n.n.
- Größe: Segelyachten ab 12 Meter
- Kapazität: n.n.
Anstelle eines großen Rettungsschiffes will Mission Lifeline in Zukunft mehrere private Segelyachten zu einer Flotte zusammenfassen und aufs Mittelmeer schicken. Eine Testfahrt Ende Oktober hat gezeigt, dass eine Segelyacht grundsätzlich bis vor die libysche Küste fahren und dort Erste Hilfe leisten kann. Für die nächste Fahrt haben sich laut Mission Lifeline bereits drei weitere Eigentümer bereit erklärt, ihr Boot zur Verfügung zu stellen. Im Januar 2019 beginnt das sogenannte Crewing, also die Auswahl der Flottenbesatzung. Sobald das Wetter es zulässt, voraussichtlich im frühen Sommer, will die Flotte ihre erste Such- und Rettungsmission starten.
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Aquarius 2:
Das größte zivile Rettungsschiff im Mittelmeer
- Ort: Marseille, Frankreich
- Größe: 77 × 12 Meter
- Kapazität: 200 – 550 Personen
Im Sommer 2018 war die “Aquarius” das letzte und größte zivile Rettungsschiff auf dem Mittelmeer. Bei ihrer Mission im August rettete die Crew 65 Flüchtlinge und brachte sie in den Hafen von Marseille, Frankreich. Seither gibt es zahlreiche Probleme. Nach Gibraltar entzog auch Panama dem Schiff die Flagge, nun trägt es übergangsweise die liberische Flagge. Langfristig soll aber eine andere her, die Organisation befindet sich dazu in Verhandlungen. Außerdem will die italienische Staatsanwaltschaft gegen 24 Crew-Mitglieder ermitteln und das Schiff beschlagnahmen lassen, weil es potenziell gefährlichen Müll illegal entsorgt haben soll. Die Beschlagnahmung obliegt der französischen Justiz; diese prüft den Antrag aus Italien noch. Die Hilfsorganisationen SOS Mediterranée und Ärzte ohne Grenzen sprechen von einer Kriminalisierung. Verfolgen Sie hier die aktuelle Position der Aquarius 2.
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Lifeline:
Auf der maltesischen Anklagebank
- Ort: Valetta, Malta
- Größe: 32 × 8 Meter
- Kapazität: 300 Personen
Die “Lifeline” hieß früher “Sea Watch 2” und war ein Rettungsschiff der gleichnamigen Organisation. 2017 kaufte die Dresdner Hilfsorganisation Mission Lifeline das Rettungsschiff fuhr damit selbst auf Missionen. Im Juni 2018 geriet das Schiff in die Schlagzeilen: Es hatte 234 Flüchtlinge aufgenommen und durfte tagelang an keinem europäischen Hafen anlegen. Erst als sich mehrere Länder bereit erklärt hatten, die Flüchtlinge aufzunehmen, legte es auf Malta an. Seither ist das Schiff dort beschlagnahmt und gegen den Kapitän Claus-Peter Reisch läuft ein Prozess. Malta wirft ihm vor, unter falscher Flaggenzertifizierung gefahren zu sein; das Schiff ist ein Trawler, aber als Sportboot in den Niederlanden registriert. 2019 soll ein Urteil fallen. Verfolgen Sie hier die aktuelle Position der Lifeline. Verfolgen Sie hier die aktuelle Position der Lifeline
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Iuventa:
Seit 2017 beschlagnahmt ohne Anklage
- Ort: Trapani, Italien
- Größe: 33 × 7 Meter
- Kapazität: 200 Personen
2015 gründeten junge Berlinerinnen und Berliner die Initiative Jugend Rettet und kauften über eine Crowdfunding-Kampagne einen Fischkutter. 2016 startete die “Iuventa” ihre erste Mission und rettete in den darauffolgenden zwei Jahren 14.000 Menschen auf hoher See. Im August 2017 beschlagnahmten italienische Behörden das Schiff ohne Anlass und werfen der Hilfsorganisation Kooperation mit Schlepperbanden vor. Eine offizielle Anklage gibt es bis heute nicht. Jugend Rettet versuchte zwischenzeitlich, gerichtlich gegen die Beschlagnahmung vorzugehen; im April 2018 scheiterte ihr Einspruch aber vor dem Kassationsgerichts in Rom. Seit August 2018 ist zudem bekannt, dass Ermittlungen gegen zehn Crewmitglieder der Iuventa laufen. Nun sammelt die Organisation Geld zur juristischen Verteidigung, bereitet eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vor und will ein neues Schiff kaufen. Verfolgen Sie hier die aktuelle Position der Iuventa.
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Seefuchs:
Auf dem Heimweg nach Deutschland
- Ort: Valetta, Malta
- Größe: 26 × 6 Meter
- Kapazität: 150 Personen
Die “Seefuchs” hatte immer schon eine politische Geschichte: Sie war jahrzehntelang Teil der DDR-Fischfangflotte, nach der Wende wurde sie zum Forschungs- und Traditionsschiff, ab Mai 2017 retteten die Crews der “Seefuchs” mehr als 5.000 Menschen aus dem Mittelmeer. Nachdem die “Seefuchs” am 21. Juni im Hafen von Valetta in Malta einlief, ging es aber monatelang nicht weiter. Die Hafenbehörde blockierte die Ausfahrt und verlangte ein Ende der Rettungsmissionen und eine andere als die niederländische Flagge im Sportbootregister. Seit dem 19. November trägt die Seefuchs eine deutsche Flagge und darf laut Hafenbehörde wieder ablegen, um zurück nach Deutschland zu kehren. Dort will Sea Eye das Schiff verkaufen. Verfolgen Sie hier die aktuelle Position der Seefuchs.
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Sea Eye:
Mit Maschinenschaden in Malaga gestrandet
- Ort: Malaga, Spanien
- Größe: 26 × 4 Meter
- Kapazität: 150 Personen
Die “Sea Eye” ist das erste Schiff der gleichnamigen Organisation. Der ehemalige Fischkutter ist als Sportboot in den Niederlanden registriert und fuhr damit mehrere Missionen im Mittelmeer. Nachdem Italien im Juni 2018 den Flaggenstatus der “Sea Eye” angezweifelt hatte und sich die Niederlanden daraufhin nicht mehr verantwortlich erklärten, wartete das Schiff zunächst im Hafen auf Hammamet, Tunesien, auf eine Klärung der Frage. Inzwischen hat die “Sea Eye” einen Maschinenschaden und liegt im Hafen von Malaga in Spanien. Grundsätzlich soll das Schiff zurück nach Deutschland und dort verkauft werden. Insgesamt hatte die “Sea Eye” über 9.000 Menschen gerettet. Verfolgen Sie hier die aktuelle Position der Sea Eye.
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