Gerade bösester politischer Fanatismus hält sich gern für die Rettung der Menschheit. Umgekehrt beruht unser Wirtschaftsliberalismus auf der im 18. Jahrhundert entwickelten Idee, dass durch die entfesselte Konkurrenz im freien Markt aus lauter individuell schlechten Absichten ein gesamthaftes Gutes macht.
Wer auch nur hin und wieder Actionfilme schaut, der kennt folgende Konstellation in vielfachen Variationen: Das Gute kämpft gegen das Böse. Oder genauer gesagt: Der sympathische (Super-)Held stellt sich gegen den sinistren Schurken, der findige Kommissar ermittelt gegen den skrupellosen Verbrecher, die engagierte Umweltanwältin legt sich mit dem geldgierigen Chemiekonzern an. Und in der Regel wird dabei nicht nur Zuschauern schnell klar, dass es sich hier um ein Ringen zwischen Licht und Dunkelheit handelt, sondern auch den Protagonisten selbst ist ihr moralisches Positionsspiel überaus bewusst. Sprich: Der Held, mag er noch so spröde sein, weiß dennoch, dass er für die Sache der Gerechten kämpft, während der Bösewicht sich gewahr ist, dass er den Pfad der Tugend längst verlassen hat, selbst wenn er seine Niedertracht und Kaltherzigkeit nicht immer so ostentativ zur Schau stellt wie Mildred Ratched in Einer flog über das Kuckucksnest oder Saruman in Herr der Ringe.
Sind derlei Geschichten vom manichäischen Kampf zwischen Gut und Böse eine Art anthropologische Erzählkonstante, die von den ältesten Menschheitsmythen bis zum Hollywoodkino reicht, so ist es auch kein Wunder, dass solche Narrative immer wieder auf unser Verständnis der Wirklichkeit durchschlagen und wir gerne in genauso deutlichen Gegensätzen denken: die freie Welt gegen die Achse des Bösen, der dekadente Westen gegen den potenten Osten, das arbeitende Volk gegen die korrupte Elite. Tatsächlich ist die Trennung von Gut und Böse aber natürlich wesentlich komplizierter. Und zwar nicht nur, weil pauschale Wir-sie-Gegensätze einer populistischen bis totalitären Logik politischer Feindbestimmung gehorchen, sondern auch, weil die Grenze zwischen Gut und Böse an sich oft weniger kategorial als vielmehr osmotisch verläuft. Mehr noch: Das Gute und das Böse fließen mitunter sogar dialektisch zusammen. Und zwar in zweifacher Hinsicht.
Vollstrecker des Guten!
Im ersten Fall ist dieses Zusammenfließen rein subjektiver Art. Es zeigt sich vor allem dann, wenn jene, die Terror, Angriffskriege und Genozide entfesseln, sich im Glauben wähnen, dies als Vollstrecker des Guten zu tun. Das relativiert nichts an der menschenverachtenden Bösartigkeit dieser mörderischen Projekte, vermag aber zumindest ihre willfährige Umsetzung mit zu erklären. Denn nicht selten beruht die barbarische Entgrenzung von Gewalt im Kern auf einer Art ideologischen Autohypnose, einer radikalen Form der moralischen Selbstverkennung. Wenn die Nationalsozialisten bürokratisch präzise den Holocaust organisierten, NKWD-Offiziere sorgsam die Todeslisten der stalinistischen “Säuberung” abarbeiteten oder heute Dschihadisten nach langer Vorbereitung mit Lastwagen in Menschenmengen fahren, so hängen sie nicht selten dem Glauben an, den Heilsplan einer politischen Theologie zu exekutieren. Ob der nationalsozialistische Rassenwahn, die stalinistische Zwangskollektivierung oder die salafistische Eschatologie: Sie alle vermögen sich selbst das Schlachten als ehrenvolle Tat vorzustellen.
Eines der perversesten Beispiele dafür lieferte Heinrich Himmler in seiner “Posener Rede” vor SS-Soldaten im Jahr 1943. Im Angesicht des Holocausts erklärte er: “Von euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammenliegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben, und dabei – abgesehen von menschlichen Ausnahmeschwächen – anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht und ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte.” Dass Himmler den Vollstreckern des größten Verbrechens der Menschheitsgeschichte eine außergewöhnliche “Anständigkeit” attestiert, ist rational buchstäblich nicht zu fassen, aber gerade deshalb ein radikaler Ausdruck einer subjektiven Gut-böse-Umkehr.
Go, be evil!
Jedoch offenbart sich die Dialektik von Gut und Böse nicht nur darin, dass Letzteres sich in einer fundamentalen Selbstverkennung für Ersteres hält, sondern es gibt auch den entgegengesetzten Fall, bei dem jene mephistophelische Kraft wirkt, “die stets das Böse will und stets das Gute schafft”. Genau diese Kraft beschreibt nämlich nichts Geringeres als das sozialphilosophische Kernversprechen des Kapitalismus. Wird dessen vermeintliche Alternativlosigkeit heute zwar gerne mit seiner Ermöglichung von Kreativität, Erfindergeist, Wohlstand oder gar moralischem Idealismus begründet, man denke etwa an Googles Slogan “Don’t be evil”, beruht sein ideengeschichtlicher Siegeszug jedoch auf einem anderen Argument: Der Markt mag zwar Wohlstand erzeugen, aber vor allem wirkt er auch wie ein ethischer Transmissionsriemen, der das Böse ins Gute verwandelt. Nicht “Don’t be evil!” ist also der kapitalistische Leitspruch, sondern: “Go, be evil!” Einer der ersten Denker, der das mit Nachdruck betont hat, war der Arzt und Publizist Bernard Mandeville (1670 – 1733).
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