Ein frischer Wind fegt durch die CDU. Wer, wenn nicht die
Parteisenioren, könnte das besser bezeugen? Viele, die diese Woche nach
Magdeburg zum Treffen der Senioren-Union gekommen sind, gehören seit Jahrzehnten zur Partei. Trotzdem haben sie erst drei Vorsitzende
erlebt: Merkel, Schäuble und Kohl.
Die letzte Kampfabstimmung um den
Vorsitz fand 1971 statt. Und jetzt? Die Senioren erleben eine Partei im Ausnahmezustand. Den ersten offenen Wettbewerb seit 47 Jahren gleich dreier chancenreicher Kandidaten für den Parteivorsitz: Der aus der Wirtschaft zurückgekehrte Friedrich Merz, Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Gesundheitsminister Jens Spahn.
Der neue Wettbewerb gefällt den Alten: Sie spüre “eine große Euphorie”, sagt
Monika Lux aus Aachen. Es mache “Spaß und Mut”, sich
offen und kontrovers eine Meinung zu bilden. In den vergangenen Jahren
habe sie sich dafür rechtfertigen müssen, in der Politik und speziell in
der CDU zu sein. Jetzt herrsche Neugier und Aufbruchstimmung.
Das ist nicht übertrieben. In Magdeburg sieht man viele grauhaarige
Menschen, die angeregt diskutieren. Es geht dabei freundlich und
intensiv zur Sache. Die Lager an den Stehtischen oder an der Weinbar
verlaufen quer durch die Landesverbände, ja sogar durch die Familien. So
ist Frau Lux Merz-Anhängerin, während ihr Mann Annegret
Kramp-Karrenbauer gut findet. Aber das Ganze wirkt nicht spalterisch,
eher belebend und integrierend. Nach den langen Merkel-Jahren der Alternativlosigkeit empfinden
es viele Christdemokraten als befreiend, endlich wieder über
Alternativen diskutieren zu dürfen.
Auch dem Vorstand der Senioren-Union
gefällt dieses neue basisdemokratische Gefühl so gut, dass er es
keinesfalls drosseln will. Entsprechend gibt es keine Vorgabe, welche oder welchen Bewerber der Verband unterstützt. Anders als die
Frauen-Union, die sie sich schnell für Kramp-Karrenbauer aussprach,
wollen die Senioren erst mal die Regionalkonferenzen abwarten, um dem
Prozess der Meinungsbildung nicht vorzugreifen.
Mit mangelndem Selbstbewusstsein hat diese Zurückhaltung nichts zu
tun. Die Senioren wissen um ihre Rolle als Machtfaktor der Partei.
Traditionell ist die CDU bei den alten Wählern am stärksten, nur bei
ihnen kam sie bei der Bundestagswahl 2017 über 40 Prozent. Jedes zweite Mitglied ist über 60 Jahre alt. Mehr
noch: Die heutige Senioren-Generation ist die stärkste CDU-Generation,
die es je gab. In den frühen 70er-Jahren strömten einmalig viele junge
Menschen in die Partei. Es war die bürgerliche Antwort auf die
68er-Bewegung der Neuen Linken. Gut vier Jahrzehnte später ist das
Bedürfnis dieser 54.000 Mitglieder starken Kohorte nach
Partizipation noch immer ausgeprägt.
Es gilt das Senioritätsprinzip
Wer CDU-Chef werden will, muss also die Alten erreichen. Auch wenn
die Senioren sich nicht festlegen wollen, einige Rückschlüsse sind nach
zwei Tagen in Magdeburg möglich.
Erstens: Gesundheitsminister Spahn wird wohl auch deshalb nicht Parteichef, weil
die CDU eben eine Partei der Alten ist. Und bei denen stoßen Spahns
Ambitionen auf wenig Gegenliebe. Nicht mal, weil er eine Zeitlang
regelrecht als Altenschreck galt: Als Jungpolitiker warb er so
vehement für mehr Generationengerechtigkeit, dass der damalige
Senioren-Vizechef sagte, Spahn müsse man “ungespitzt in den Boden
rammen”.
Nein, Jens Spahn genießt durchaus Sympathie bei den Alten. Viele
empfanden es als wohltuend, dass er in den Merkel-Jahren den Finger in
die Wunden gelegt hat. “Klasse, dass er so unbequem ist”, sagt einer.
Die CDU habe sich zu lange “weggeduckt”, heißt es. Nicht zuletzt Spahn
sei es zu verdanken, dass man wieder “heiße Eisen” anpacke.
Aber Parteichef? Dafür sei Spahn noch “zu jung”. Kaum jemand, der
das in Magdeburg nicht sagt: Der 38-Jährige habe “noch Zeit”, sei “noch
nicht dran”. Stärker als in anderen Parteien gilt in der CDU das
Senioritätsprinzip. Eine Dame aus Schleswig-Holstein, deren Söhne älter
als Spahn sind, sagt: Es schade nichts, wenn man “außer Schule und
Bundestag” noch mehr gesehen habe.
Dennoch wird Spahn, der am Donnerstagmittag als erster vor die
Senioren tritt, höflich empfangen. Ihm merkt man die Erfahrung an, die
er in den vergangen Jahren als Wahlkämpfer und Enfant terrible der Union
gesammelt hat an. Routiniert und durchaus selbstironisch umschmeichelt
er die Senioren. Routiniert beklatschen sie ihn.
Merz ist noch in Erinnerung
Aber so richtig will der Funke nicht zünden. Als Spahn geht, sagt
einer: “Besser als befürchtet.” Andere nicken. Einer ärgert sich über
den “Populismus”: In seiner Rede hatte Spahn über “politische
Überkorrektheit” geklagt und von “Töchtern” berichtet, die sich im
Münsterland abends kaum mehr “allein aufs Fahrrad” trauten aus Angst vor
kriminellen Fremden. Das kommt manchem Rentner übertrieben vor. Zugleich ist Spahn selbst Opfer von Ressentiments. Nicht wenige, die
sich insgeheim doch an seiner Ehe mit einem Mann stören.
Anders ist die Stimmung beim nächsten Bewerber, der die Senioren am
Donnerstagnachmittag besucht. Auf Friedrich Merz sind alle gespannt. Altersmäßig ist der 63-Jährige von den meisten in Magdeburg
nicht weit entfernt. Trotzdem ist er unbekannter als Spahn, der seit
Jahren zum festen Repertoire jeder größeren CDU-Veranstaltung gehört.
Merz gegenüber unvoreingenommen ist keiner. Auch wenn seine Zeit
als Fraktionschef schon 16 Jahre zurückliegt, hat man ihn noch gut in
Erinnerung. Viele freuen sich, ihn endlich mal live zu erleben. Einige
machen vor seiner Ankunft Stimmung gegen ihn, so der Arbeitnehmerflügel
CDA, der bei den Senioren keine unwichtige Rolle spielt. Die CDA-Leute warnen vor Merz’ “neoliberaler Politik”, die für die “kleinen Leute” nichts Gutes bedeute.
Als Merz schließlich mit einiger Verspätung den Saal betritt,
herrscht Stille. Die Diskussionsrunde, die in diesem Moment
auf der Bühne läuft, bricht ab. Applaus setzt ein. Nur die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft braucht etwas Zeit, bis sie mitzuklatscht.
Inhaltlich unterscheidet sich Merz an diesem Nachmittag nicht
besonders von Spahn. Es ist eher der Ton, die Eloquenz, das
Selbstbewusstsein. “Wir sind eine Werkgemeinschaft”, ruft er den
Senioren zu. Und: Wohlstand müsse man “nicht nur verteilen, sondern auch
erwirtschaften”. Oder: “Wir sind Trump gar nichts schuldig.”
Alles keine besonders ausgefallenen Sätze. Aber Merz spricht bei
den CDU-Senioren etwas an, das stolze Gefühle weckt. Er, das verschollen
geglaubte Politikertalent, erinnert an eine Welt, in der das
bürgerliche Lager noch intakt war. Als die CDU noch nicht an rechte
Populisten und grüne Bildungsbürger Stimmen und Vertrauten verloren
hatte. Als noch klar war, wofür man stand und wer der Gegner war. Merz
vermittelt ein Set an Werten – Fleiß, Familie, Heimat –, das nach
Auffassung vieler Senioren in der Ära Merkel zunehmend infrage gestellt
worden ist.
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