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Migrationsabkommen: Nicht im Geheimen

Es ist gut, dass über den UN-Migrationspakt gestritten wird, auch im
Bundestag und in der CDU. Und es ist tatsächlich gut, dass die AfD die Debatte im Parlament
durchgesetzt hat. Noch besser wäre es gewesen, wenn die Bundesregierung selbst die Diskussion
initiiert hätte. Denn der Pakt, der Anfang Dezember in Marrakesch verabschiedet werden soll,
ist ein Fortschritt, Ausdruck eines internationalen Lernprozesses, zu dem sich die große
Koalition energisch bekennen sollte.

Nichts an dem Übereinkommen ist bedrohlich oder geheim. Deutschlands Souveränität steht nicht auf dem Spiel, erst recht nicht die Zukunft des Landes, wie Populisten und Verschwörungstheoretiker behaupten. Es wird auch kein neues Menschenrecht auf Migration eingeführt. Bedrohlich wäre allein, den Pakt zu verleugnen, aus Sorge, das sei alles zu kompliziert, oder aus Furcht vor der Kampagne, die gerade dagegen geführt wird.

Die Idee dieser globalen Verabredung ist so einfach wie einleuchtend. Eine Viertelmilliarde Menschen ist weltweit in Bewegung, Tendenz steigend, als Arbeitsmigranten, als Bürgerkriegsflüchtlinge, als Opfer von Gewalt oder Klimaveränderungen, als Auswanderer auf der Suche nach Sicherheit, nach einem Auskommen, nach Zukunft. Kein Staat der Welt kann die Probleme dieser Menschen und die Probleme, die sie auf ihren Wegen schaffen, allein bewältigen. Das geht, wenn überhaupt, nur durch internationale Zusammenarbeit. Dazu bekennen sich alle Länder, die an der Vereinbarung teilhaben. Und sie haben sich auf Grundsätze verständigt, wie Migration in Zukunft geregelt werden soll.

Der Pakt betont ausdrücklich die Souveränität der Staaten

Diese Regeln wurden nicht von einer Clique elitärer Globalisten ausgeheckt. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat im Herbst 2016 beschlossen, den Pakt auszuhandeln. An den Konsultationen waren zahllose Akteure beteiligt: Regierungen von reichen und armen Staaten, Wissenschaftler, NGOs, der Papst, Bürgermeister aus aller Welt. Es gab Online-Seminare, ungezählte Papiere und Vorschläge.

Dieser Aushandlungsprozess hat lange niemanden interessiert, aber er hatte einen Sinn. Es ging darum, wie immer in solchen Verfahren, Kompromisse zu finden, aber auch Unterschiede zu markieren. Der Pakt differenziert, nur zum Beispiel, zwischen regulärer und irregulärer Migration, er beachtet, dass die Länder, aus denen Migranten kommen, häufig völlig andere Ziele haben als die Staaten, in die sie wollen. Der Pakt betont ausdrücklich die Souveränität der einzelnen Länder, ebenso den Vorrang der nationalen Gesetze. Er statuiert, dass Migranten, die in ihre Heimat zurückkehren, dort aufgenommen werden und Papiere erhalten sollen. Kurz, die 23 Grundsätze des Paktes sind Formeln einer globalen Vernunft, die sich jetzt bewähren müssen.

Dabei ist der Pakt juristisch nicht bindend. Niemand kann die Regeln einklagen. Aber natürlich sollen sie politische Kraft entfalten, Druck schaffen, ähnlich wie die Weltklimaziele.

Wird es weniger Migranten geben wegen des Pakts? Wohl kaum. Wird es mehr geben, wie die Gegner behaupten? Auch nicht. Über Flucht und Migration entscheiden nicht Verträge. Sondern Kriege. Dürre. Reichtum und Armut. Vor allem: Menschen, die über ihr Leben und das ihrer Familien zu bestimmen versuchen.

Nach und nach kündigen jetzt immer mehr Staaten an, dass sie dem UN-Migrationspakt doch nicht beitreten wollen. Die USA waren die Ersten, andere sind gefolgt, so unterschiedliche Staaten wie Estland, Ungarn und Australien. Auch in Deutschland gibt es Stimmen, die Debatte frisst sich vom rechten Rand her tief in die Union, und Gesundheitsminister Jens Spahn, einer der drei Kandidaten für den Parteivorsitz, hat nun vorgeschlagen, auf dem CDU-Parteitag über den Pakt abstimmen zu lassen.

Sollte es dazu kommen, wird die CDU nicht bloß über den Migrationspakt entscheiden. Sie wird sich entscheiden müssen, ob sie eine Partei bleiben will, die auf Recht und Regeln baut, auch in den Beziehungen zwischen den Staaten. Eine Partei, die beharrlich auf Kompromisse setzt, auf Verträge und Diplomatie. Oder ob sie eine Partei sein will, die dem grassierenden Misstrauen gegen Institutionen und Verfahren nachgibt. Eine Partei, die in die Internationale der Nationalisten wechselt.

Es wird damit, nebenbei, auch eine Entscheidung darüber sein, ob Angela Merkel Kanzlerin dieser Partei bleiben kann.


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