China macht Angst – nicht nur den Trump-Wählern in den Industriebrachen
von Ohio und Michigan, sondern auch den Führungskräften in Deutschland. Siebzig Prozent der
Spitzen aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung sind laut einer Allensbach-Umfrage für das
Wirtschaftsmagazin
Capital
und die
Frankfurter Allgemeine Zeitung
besorgt
über den wachsenden Einfluss Pekings, mehr als die Hälfte wünscht sich, dass der deutsche
Staat die hiesigen Technologieunternehmen vor chinesischen Investoren schützt.
Wer wissen will, warum das so ist, der muss nur Sebastian Heilmann zuhören,
Politikwissenschaftler und Sinologe in Trier und einer der einflussreichsten China-Deuter im
Land. Er sagt über die Chinesen Sätze wie “Sie werden uns Beine machen” oder “Sie werden uns
überraschen”. Und was er meint, ist, dass sie mit großen Plänen und öffentlichen Investitionen
an Deutschland vorbeiziehen. Nirgends wird das deutlicher als bei der Digitalisierung. Längst
ist in China das Bezahlen mit dem Smartphone im Alltag angekommen, die schon mehr als zehn
Jahre alte Strategie, alle Lebensbereiche zu informatisieren, geht auf. Wer dort heute eine
erfolgreiche App entwickle, der sei in ein paar Wochen Yuan-Milliardär, sagt Heilmann – weil
der Markt so unglaublich groß sei.
Deutschland dagegen? “Zu langsam, zu träge hier”, sagt Heilmann. Die Deutschen erlassen
demnach Datenschutzgesetze, während die Chinesen Daten sammeln – und moderne Industriepolitik
im großen Stil betreiben. Wenn China beispielsweise die Halbleiterindustrie entwickeln wolle,
so Heilmann, dann statte es gleich fünf Risikokapital-Fonds aus und lasse sie gegeneinander
antreten. Die besten Lösungen würden dann dezentral von den besten Firmen gefunden.
Da kann einem deutschen Manager angst und bange werden. Die Frage ist nur, ob der Erfolg
wirklich dem Staatskapitalismus zu danken ist.
Während die Pekinger Führung den staatlichen Einfluss stärkt, bestreiten chinesische Ökonomen
genau das. Sheng Hong, Leiter des liberalen Thinktanks Unirule, warnte in der
chinesischsprachigen Ausgabe der
Financial Times
vor einer Umkehr der
marktfreundlichen Reformen Deng Xiaopings, die vor 40 Jahren begannen – und durfte prompt
nicht zur China-Konferenz nach Harvard fahren. Wu Jinglian, mit 88 Jahren wohl Chinas
dienstältester Marktbefürworter, sprach auf einem Forum den Chefökonomen des Staatspräsidenten
Xi Jinping sogar direkt auf die jüngsten Attacken aus der Partei gegen die Privatwirtschaft
an. Damit schadet ihr China, sollte das heißen.
Soviel westliche Manager und Denker auch in Chinas Erfolg hineingeheimnissen mögen – ist es
am Ende einfach nur der Markt, der das nun seit 40 Jahren anhaltende Wirtschaftswunder möglich
macht?
So hat es ein führender liberaler Ökonom der Volksrepublik, Zhang Weiying, Mitte Oktober in
einer Rede vor Studenten an der Universität Peking ausgedrückt, die wir hier auf Deutsch dokumentieren. Darin stellt er zwei Modelle gegenüber. Nach dem von der
Regierung favorisierten “China-Modell” hat ein “einzigartiges Zusammenspiel aus starker
Zentralregierung, mächtigen Staatsunternehmen und weitsichtiger Industriepolitik” den
Dauerboom ermöglicht. Dagegen sagt das “universelle Modell”, dass China nach den gleichen
Mustern wächst, die einst auch Großbritannien oder Deutschland zu Industrienationen werden
ließen. Weil China (aber nach den verheerenden Mao-Jahren) von null gestartet ist, geht alles
viel schneller.
Die Daten sprächen gegen das China-Modell. Vielmehr springe das Wachstum an, wo immer in den
Regionen der Markt und die Privatwirtschaft eingeführt würden. Umgekehrt gelte auch: “Je
mächtiger der Staat, desto niedriger das Wachstum.” Derzeit beherrscht aber der Glaube an das
China-Modell die Politik – und der Ökonom sorgt sich, dass aus einer falschen Interpretation
der Daten eine falsche Politik entstehen könnte.
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