Am 30. Januar
1939 feierte das nationalsozialistische Regime, wie in jedem Jahr seit 1933,
den Jahrestag der “Machtergreifung”. Am Abend versammelten sich in der
Krolloper die Abgeordneten des Reichstags zur traditionellen Sitzung. Hitler
betrat das Podium um 20.15 Uhr. Seine Rede, immer wieder unterbrochen durch
Begeisterungsstürme, dauerte mehr als zweieinhalb Stunden. “Großes Ereignis (…)
Ein wahres Meisterwerk. Von einer bestechenden Logik und Klarheit (…) Alle
sind ganz hingerissen davon”, hielt Propagandaminister Joseph Goebbels in
seinem Tagebuch fest.
Der Diktator begann, wie üblich, mit einem
langatmigen Rückblick auf die Jahre der Weimarer Republik. Deutschland wäre,
behauptete er, im “bolschewistischen Chaos” versunken, wenn sich nicht “ein
Wunder in zwölfter Stunde”, nämlich seine Berufung zum Reichskanzler, ereignet
hätte: “Am 30. Januar 1933 zog ich in die Wilhelmstraße ein, erfüllt von
tiefster Sorge für die Zukunft meines Volkes. Heute – sechs Jahre später – kann
ich zu dem ersten Reichstag Großdeutschlands sprechen! Wahrlich, wir vermögen
vielleicht mehr als eine andere Generation den frommen Sinn des Ausspruches zu
ermessen: ‘Welch eine Wendung durch Gottes Fügung!'”
Die “jüdische Frage” verlor Hitler nie aus dem Auge
Hitler feierte die “geschichtlichen
Ereignisse des denkwürdigen Jahres 1938” – den Anschluss Österreichs im
Frühjahr und die Annexion der sudetendeutschen Gebiete im Herbst. Er pries die
Verwirklichung einer “wahrhaften Volksgemeinschaft”, in der angeblich frühere
Klassenschranken und gesellschaftliche Vorurteile aufgehoben seien. Und er
bezeichnete es als “die höchste Aufgabe der nationalsozialistischen
Staatsführung, auf dem Gebiet der Stärkung unserer Wehrmacht alles zu tun, was
überhaupt menschenmöglich ist”.
Erst im letzten Teil seiner Rede kam Hitler
auf sein eigentliches Thema zu sprechen – die “jüdische Frage”. Bereits in
seiner ersten längeren schriftlichen Äußerung vom September 1919 hatte der
aufstrebende Münchner Bierkellerdemagoge “die Entfernung der Juden überhaupt”
als das “letzte Ziel” bezeichnet. Und dieses Ziel sollte er nach seiner
Ernennung zum Reichskanzler tatsächlich zu keinem Zeitpunkt aus dem Auge
verlieren.
Schritt für Schritt waren die jüdischen Deutschen
ihrer staatsbürgerlichen Rechte beraubt und ihnen eine wirtschaftliche Betätigung
unmöglich gemacht worden. Vorläufiger Höhepunkt antisemitischer Gewalt war der
reichsweite Pogrom vom 9. November 1938. In dieser Schreckensnacht wurde den
Juden in Deutschland vor Augen geführt, dass sie vollkommen recht- und
schutzlos der Willkür eines verbrecherischen Regimes ausgeliefert waren.
“Entfernung der Juden” – das hieß aber noch
nicht Massenmord. Vielmehr ging es Hitler und seinen Schergen darum, die Juden
aus der Gesellschaft auszuschließen und sie aus Deutschland zu vertreiben. In
diesem Zusammenhang tauchte im Frühjahr 1938 in den Überlegungen des Diktators
zum ersten Mal der Name einer französischen Insel vor der Ostküste Afrikas auf:
Madagaskar. Am 11. April notierte Goebbels: “Lange beim Frühstück palavert.
Über Judenfrage. Der Führer will die Juden ganz aus Deutschland herausdrängen.
Nach Madagaskar oder so. Richtig!”
In seiner Reichstagsrede vom 30. Januar 1939
unterstrich Hitler nun auch öffentlich seine Entschlossenheit, die Juden
“abzuschieben”. Europa könne “nicht mehr zur Ruhe kommen, bevor die jüdische
Frage ausgeräumt ist”. In der Welt gäbe es genügend “Siedlungsraum”, erklärte
der Diktator, und spielte damit offenbar auf die ins Auge gefasste
“Madagaskar-Lösung” an. Es müsse “endgültig mit der Meinung gebrochen werden,
als sei das jüdische Volk vom lieben Gott eben dazu bestimmt, in einem gewissen
Prozentsatz Nutznießer am Körper und an der produktiven Arbeit anderer Völker
zu sein”.
Bewegten sich diese Ausführungen noch im
Rahmen dessen, was Hitler im Laufe des Jahres 1938 immer wieder auch in
privaten Gesprächen von sich gegeben hatte, so ging er im folgenden Passus
seiner Rede deutlich darüber hinaus. Er sei in seinem Leben “sehr oft Prophet”
gewesen und “meistens ausgelacht” worden. Nun wolle er “wieder ein Prophet
sein”: “Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas
gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann
wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des
Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.”
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