© Maria Feck
Liebe Leserin, lieber Leser,
Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD)
möchte, dass die Debatten des Hamburger Parlaments mehr Aufmerksamkeit
erhalten. Vor zwei Jahren hat die Bürgerschaft deswegen beispielsweise die
Redezeiten begrenzt, zuletzt wurde eine Mediathek mit den geführten
Debatten freigeschaltet. Ich höre dennoch oft, Bürgerschaftsdebatten
seien langweilige Showveranstaltungen, lediglich inszenierter Streit. Diesen
Eindruck konnte man leider auch in der gestrigen Sitzung gewinnen. Im Plenum
lieferten sich die Parteien einen regen Schlagabtausch über Schulpolitik und
das Für und Wider einer längeren Schulzeit an Gymnasien. Doch kaum war die
Debatte vorbei, trafen sich in kleiner Runde die Spitzen von SPD, Grünen, CDU
und FDP. Während draußen schon über das nächste Thema gestritten wurde,
diskutierte man, wie es aus Teilnehmerkreisen hieß, in gelöster Stimmung sehr
konstruktiv über einen Kompromiss. Die Ergebnisse bleiben erst einmal geheim.
Weitere Treffen wurden ausgemacht. Ist das kluge Sachpolitik im Sinne der
Stadt? Oder Entmündigung des Wählers, der sich alternative Positionen wünscht?
Ich wünsche Ihnen einen
schönen Tag!
Ihr Oliver Hollenstein
Wollen Sie uns Ihre Meinung
sagen, wissen Sie etwas, über das wir berichten sollten? Dann schreiben Sie
uns: hamburg@zeit.de.
Aktuelles
Kommission empfiehlt: Jugendamtsmitarbeiter entlasten und Teams
bilden
Yessica,
Chantal, Lara-Mia, Yagmur, Tayler: In Hamburg starben in den vergangenen Jahren
mehrere Kinder, weil sie vernachlässigt oder misshandelt wurden. Die Hilfe von
Behörden, Ämtern und Gerichten versagte – so wie bei der dreijährigen Yagmur aus
Billstedt, die im Dezember 2013 von der eigenen Mutter zu Tode
geprügelt wurde. Der Fall löste eine Debatte aus, auch weil das Jugendamt die
Gefahr übersehen hatte. Wie konnte es so weit kommen? Wie können Kinder in
Hamburg besser geschützt werden? Die Enquete-Kommission “Kinderrechte stärken”
hat das Hamburger Jugendhilfesystem zwei Jahre lang auf Schwachstellen
untersucht. Heute legen die Experten ihren Abschlussbericht vor. Er liegt der ZEIT
vor. Die wichtigsten der 70 Empfehlungen: Die Mitarbeiter in den Jugendämtern
sollen entlastet, Fälle nur noch in Zweier-Teams bearbeitet werden. Eltern
sollen sich in Konflikten mit den Behörden künftig leichter beschweren können –
und Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden.
Unsere
Redakteurin Annika Lasarzik hat sich mit dem Vorsitzenden der Kommission, dem
Koblenzer Pädagogikprofessor Christian Schrapper, getroffen. Was
er Hamburg rät, lesen Sie im Interview auf ZEIT ONLINE.
Parteien verhandeln über Schulfrieden
76
Prozent der Hamburger wünschen sich, dass die Schulzeit an Gymnasien wieder auf
neun Jahre verlängert wird – das ergab in der vergangenen Woche eine Umfrage im
Auftrag des “Hamburger Abendblatts”. Eine große Verlockung für die CDU, die bei der
Wahlumfrage gerade einmal auf 14 Prozent der Stimmen kam, und nicht nur einen
Spitzenkandidaten braucht, sondern auch ein Thema, mit dem sie sich bei den
Wählern profilieren kann. Zuletzt hatte die Partei in NRW und
Schleswig-Holstein mit G9 als Wahlkampfthema zwei SPD-Regierungen gestürzt. In
Hamburg hat die CDU allerdings einst selbst die Schulzeit verkürzt und außerdem
jahrelang dafür geworben, den Schulen Reformen zu ersparen. Ob Fraktionschef
André Trepoll die Position aufgeben werde, war daher die interessanteste Frage
vor der Bürgerschaftsdebatte gestern. Die Antwort: Nein, nicht so richtig. Er
würde zwar schon gerne einmal über G9 diskutieren, aber ein Schulfrieden, der
den Schulen Reformen erspart, sei ja auch nicht schlecht. Jetzt wird hinter
verschlossenen Türen verhandelt. Einen
ausführlicheren Bericht aus der Bürgerschaft lesen Sie hier.
In einem Satz
In der Harburger Fußgängerzone ist ein 48 Jahre alter
syrischer Apotheker vor seinem Geschäft getötet worden +++ Hamburger Autofahrer haben im vergangenen
Jahr 12.164 Stunden im Stau gestanden, das entspricht einem Plus von 2,1
Prozent im Vergleich zum Vorjahr, will der ADAC herausgefunden haben +++
Ab April entfällt in der Stadt das Schulgeld für Auszubildende in den
Gesundheitsfachberufen Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie +++ Der FC St. Pauli hat sein Wintertrainingslager im spanischen Oliva
beendet
Was heute auf der Agenda steht
Der
Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) lädt zur Demo für Tempo 30 ein +++ Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) eröffnet die
neue Elektrobus-Werkstatt der Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein in
Bergedorf
Was Sie interessieren könnte
Alltagsreporter: Der Polizist
“Es war Silvester. Auf einer großen
Kreuzung war ein SUV einfach auf dem Abbiegestreifen stehen geblieben. Der
Fahrer hatte zu viel getrunken und war einfach eingeknackt. Als wir ihn
weckten, war er reumütig. Wir haben das Auto geparkt, eine Blutprobe auf dem
Revier genommen, dann konnte er mit dem Taxi nach Hause fahren.”
An dieser Stelle finden Sie täglich unsere Alltagsreporter.
Hier schreiben Hamburger, die wir gebeten haben, uns regelmäßig zu berichten,
was sie in ihren Jobs erleben. Sie bleiben anonym, damit ihnen beruflich keine
Konsequenzen drohen.
Ihre Meinung zum
Datenschutz bei der G20-Fahndung
Der Streit zwischen dem Datenschutzbeauftragten
Johannes Caspar und Innensenator Andy Grote (SPD) um die Methoden der
G20-Fahndung treibt viele Leser um.
Die meisten Leserbriefschreiber finden es in Ordnung,
dass die Polizei Gesichter von Unbeteiligten speichert, um die Gewalttäter vom
G20-Gipfel zu suchen. Leserin Petra S. schreibt, sie sei “begeisterter Anhänger der flächendeckenden
Überwachung des öffentlichen Raumes”. Nur so könne sie sich in Deutschland
noch sicher fühlen. Achim W. hält es für verdächtig, wenn Menschen angesichts
der Überwachung ein ungutes Gefühl hätten: “Wer
sich daran hält, was die Spielregeln unserer Gesellschaft festlegen, dürfte ein
solches ungutes Gefühl überhaupt nicht erfahren.” Und auch Regina W. kann die
Sorgen der Datenschützer nicht nachvollziehen: “Es
ist mir wurscht, ob irgendein Hansel im Material sieht, wo ich mich gerade
aufgehalten habe.”
Einige von Ihnen sind keine glühenden Anhänger der
Überwachung, halten sie angesichts der G20-Straftaten aber für unabdingbar.
Schanzenanwohner Armin A. schreibt, er nehme “das
Ungute der Überwachung billigend in Kauf”, die Angst vor dem vermummten Mob
sei schlimmer gewesen. Und Leser Stefan J. meint: “Solange
nur die Hamburger Polizei und Justiz meine Daten auswerten, habe ich damit
keinerlei Problem!”
Nur wenige unserer Elbvertiefungs-Leser halten die
Überwachung für fragwürdig. Ganz anders sieht es indes bei unseren
Online-Lesern aus. In den mehr als 100 Kommentaren zum Interview mit
Datenschützer Johannes Caspar überwiegt die Skepsis deutlich. Einige sehen in
dem Vorgehen einen beängstigenden Schritt zur Totalüberwachung. Ein Leser
kommentiert: “Als Faustregel sollte
gelten: Ein demokratischer Rechtsstaat sollte Datenerfassungen so handhaben,
als wäre er keiner – denn er könnte ja tatsächlich eines Tages keiner mehr
sein.”
“Ich stelle mir vor, ich wäre meine große Schwester”
In
Interviews mit der Hamburger Sängerin Ada Brodie, bürgerlich Elena Bongartz, geht es meist vor allem um ihren Bruder: den Star-Geiger David Garrett. Dabei hat sie auch selbst eine Menge zu sagen. Morgen stellt sie im
Jazzclub Birdland ihr erstes Jazzalbum vor. Das Album “The Grand Tale”, das am 22.
Februar erscheint, hat sie in einer 36-Stunden-Session im Boogie Park Studio in
Hamburg-Ottensen aufgenommen.
Elbvertiefung: Ada Brodie – der
Name klingt, als hätte man ihn schon mal gehört.
Elena Bongartz: Ada ist der
Name meiner Großmutter väterlicherseits, Brodie hieß die Mutter meiner Mutter.
Zwei unfassbare Frauen: neugierig und offen, zuverlässig und
verantwortungsbewusst, sehr stark, aber mit großer Wärme. Leider leben sie
nicht mehr, sie haben mich sehr beeindruckt.
EV: Ist die
nostalgische Note Absicht, die im Namen mitschwingt?
Bongartz: Ja, denn auch
die Musik hat einen nostalgischen Ansatz. Ich hatte den Eindruck, dass es
inzwischen sehr viele deutsche Singer-Songwriter gibt. Davon – und ein Stück
weit auch von dem, was ich bisher gemacht habe – wollte ich mich absetzen. Die
Musik auf “The Grand Tale” klingt jazzig, aber ich wollte kein Retro-Produkt schaffen, das
nach Sixties-Soul klingt oder nach 20er-Jahre-Jazz. Was ich wollte, war
Tiefgang. Musik mit einer Historie, die aber auch mit meiner Lebenswelt zu tun
hat und mit den Themen, die mich beschäftigten.
EV: Was sind das
für Themen?
Bongartz: Ich habe mir
vorgestellt, dass ich meine große Schwester wäre, die mich betrachtet. Was für
eine Frau sieht sie, wer ist sie selbst, wer wäre ich gern? Welche Ratschläge
oder Erfahrungen könnte sie mit mir teilen, wozu würde sie mich ermahnen, wie
würde sie mit meinen Unsicherheiten umgehen? Ich war zu Hause immer die
Kleinste, eine solche große Schwester hätte ich manchmal gern gehabt.
EV: Und? Welchen
Ratschlag geben Sie sich?
Bongartz: Viele der Songs
handeln von feministischen Themen – einer heißt “The One Mean Girl”, er handelt davon,
dass es manchmal keine schlechte Idee ist, böse und gemein zu sein. Das ist
etwas, womit viele Frauen sich ja sehr schwertun.
Welche Haltung Elena Bongartz zur Prominenz ihres Bruders inzwischen
hat und ob sie mit ihm zusammenarbeiten würde, können Sie im gesamten
Interview unseres Kulturredakteurs Florian Zinnecker auf ZEIT ONLINE lesen.
WER WIR SIND
© Maria Feck
Gibt es das, zögerliche Hamburger? Wenn, dann bin
ich einer. Ich bin Patrik Schwarz
(48), Geschäftsführender Redakteur der ZEIT, ich verantworte alle Länder- und
Regionalausgaben. Ich habe lange gebraucht, um mit Hamburg warm zu werden. Die
Stadt ist zurückhaltend in ihren Urteilen, was aber nicht heißt, dass sie
keine hätte: In keiner anderen Stadt erlebe ich, dass Leute noch nach 12 oder
27 Jahren sagen, sie seien ja “erst” vor 12 oder 27 Jahren hergezogen. Bei mir
sind es bald 15 Jahre. Ich habe in der Zeit die ZEIT:Hamburg mit-begründet und
heute traue ich mich das erste Mal, Prinz-Heinrich-Mütze zu tragen. Die Mütze
stammt übrigens aus München, ich habe sie als kleiner Junge gekauft, bei einem
Flohmarkt mit Requisiten der Bavaria Film. Die Mütze hat in “Das Boot”
mitgespielt, der Film wurde in München gedreht, ausgerechnet. Aber Hamburg
liegt ja auch nicht am Meer.
WAS SIE HEUTE ERLEBEN KÖNNEN
Mittagstisch:
Klasse vietnamesisches Essen
Der Erfolg der vietnamesischen Küche in der Hansestadt ist ungebrochen, fortwährend werden neue Lokalitäten eröffnet, die vietnamesisches Essen anbieten. Nicht immer aber stimmen Komposition und Qualität. Wer wieder einmal schmecken möchte, wie die authentische vietnamesische Küche schmeckt, dem sei ein Besuch im Ban Canteen empfohlen. Hier stehen des Mittags 10 Gerichte zur Auswahl, mit kleinem Getränk kosten sie jeweils 10 Euro. Neben drei verschiedenen Suppen gibt es Ban »All in a Bowl«: herrliche Zusammenstellungen aus kalten oder warmen Nudeln oder Reis sowie frischem Salat und Kräutern, zu denen man aus sieben unterschiedlichen Beilagen wählen kann – von veganen Sommerrollen über saftig marinierten Schweinebauch bis hin zu in Zitronengras eingelegtem Rindfleisch. Letzteres überzeugt auf der ganzen Linie: Feine Nuancen, das Zusammenspiel aus kalt und warm, knackigen und weichen Zutaten ergeben ein großartiges Ganzes. Und dass man in einem angenehmen Raum unter einer Neonröhreninstallation sitzt und aus den Boxen ein feiner Bass klingt, passt stimmig dazu.
St. Pauli, Ban Canteen, Beim Grünen Jäger 1, Mittagstisch Mo–Fr 12–17.30 Uhr
Elisabeth Knoblauch
Was geht
HamburgsHäftlinge:
Bis heute gelten Konzentrationslager vor allem als Terrorstätten der SS.
Weitere Akteure, die zum Leid der Inhaftierten beitrugen, geraten oft aus dem
Blick. “So hatte die Hansestadt Hamburg erheblichen Anteil an der Gründung und
dem Ausbau des KZ Neuengamme”, berichtet die KZ-Gedenkstätte. Rathausausstellung
zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus: “Eine Stadt und ihr
KZ. Häftlinge des KZ Neuengamme im Hamburger Kriegsalltag 1943–1945”.
Rathaus,
Rathausmarkt 1, Mo–Fr 7–19 Uhr , Sa/So 10–17 Uhr, Ausstellung bis zum 10.2.
Was bleibt
Mutter Erde: Die
Natur gilt in Europa fast immer als weiblich, als Mutter Erde, Ernährerin,
Hüterin der Welt. Das macht die Ausstellung “Mutter Erde. Natur und
Weiblichkeit in der Frühen Neuzeit” mithilfe zahlreicher Beispiele klar:
Sie präsentiert Werke nach Originalen von Maarten van Heemskerck, Hendrick Goltzius und Peter Paul Rubens, aber auch Titelblätter kunstgeschichtlicher,
naturkundlicher und philosophischer Texte.
Universitätsbibliothek,
Von-Melle-Park 3, Eröffnung heute, 18 Uhr, Ausstellung bis zum 24.3., täglich
bis Mitternacht, Eintritt frei
Tipps für Kids
MiniMedi I: Darf es
die Flöte sein, eine Gitarre oder doch lieber das Schlagzeug? Beim
Instrumentenkarussell lernen Kinder die Welt der Musik kennen, indem sie sich
ausprobieren. Unter Leitung von Pernille Sieprath spielen sie auf zum
Abschlusskonzert: “Wettbewerb in Instrumentenhausen”.
Hamburger Konservatorium,
Sülldorfer Landstraße 196, heute, 16.45 Uhr
Medi: Was, wenn Schneewittchen
nach dem Biss in den Apfel eine Zeitreise machen, im Supermarkt erwachen würde?
Sie wäre umgeben von Lebensmitteln “ohne Zucker”, “ohne künstliche Aromen”,
“ohne Zusatz von Geschmacksverstärkern”. Ein Paradies gesunder Leckereien? Das Theaterstück
“Schneewittchen in der Zuckerfalle” klärt kurzweilig und interaktiv auf.
Goldbekhaus,
Bühne zum Hof, Moorfuhrtweg 9, So, 15 Uhr, Erwachsene 8 Euro, Kinder 6 Euro
MediMaxi: “Wer in
deiner Klasse oder Umgebung kann oder darf sich nicht frei ausdrücken? Was
möchte sie/er sagen?”, fragt die Kunstaktion “Hear Wor(l)d!” im Rahmen
der Lessingtage. Schüler der Klassen 3 bis 13 recherchieren und geben
Gleichaltrigen Gehör. Ab morgen zieren sie mit Aufklebern die Säulen am
Gerhart-Hauptmann-Platz.
Gerhart-Hauptmann-Platz,
Eröffnung morgen, 12 Uhr
Hamburger Schnack
Winterhude, später Nachmittag. Mann mit Kind, beide kommen offensichtlich gerade aus der Kita. Kind: »Ist Olli heute da?« Mann: »Nee, Olli ist heute nicht der Papa.«
Gehört von Friedhelm Vetter
Meine Stadt
© Ingke Tjebbes
Die heutige Ausgabe zum vertieften Lesen
Hits: 70



















