Sperrmüll ist grundsätzlich ein Spitznamenbusiness, und
darum sammeln sich an einem Morgen, der nachtschwarz ist, der Andi, der Nobbi,
der Fränkel und noch mehr, alle in der Solidaritätsfarbe Neonorange und warten
auf den Hoddel. Hoddel heißt in Wirklichkeit Horst Radek, versuchen wir es also
erst mal mit Radek. Radek lässt auf sich warten, das ist immer so. Radek muss
nämlich auf dem gewaltigen Betriebshof der Stadtreinigung und Sperrmüllabfuhr
in Stellingen Hände schütteln, Sprüche klopfen und einstecken, muss zoten,
grüßen und kumpeln. Machsgut. Machsbesser.
Radek kennt alle und alle kennen
ihn. Endlich kommt er bei seiner Kolonne an, mit der er heute wieder in ein
paar Leben hineinschauen wird, auch wenn sie das so nie sagen würden. Man
schält sich einen Kaffee aus dem Automaten und besteigt zwei Fahrzeuge, weil
eine Sperrmüllkolonne, das klären wir jetzt gleich mal sendungmitdermausmäßig
auf, aus Press- und Möbelwagen besteht. Im Presser landet der Müll, im
Möbelwagen das, was tauglich ist und vom Zweitehandkaufhaus Stilbruch
für schmales Geld weiterveräußert wird. Der Gewinn aus dem Kaufhaus wiederum
subventioniert die Stadtreinigung, es ist also ein cleveres, sich selbst
nährendes System.
Die Kolonne fährt los, Tour 4622/1, Auftragsnummer 300242289,
nach – Berne. Nee, echt jetzt, Berne? Liegt am anderen Ende der Stadt, vom
Südwesten in den Nordosten. Theatralisches Kopfschütteln. Hilftjanix. Man hat
nun Zeit, mit Radek zu reden.
Heute ist mehr Wegwerfgesellschaft, sagt Radek
Radek ist seit 1990 bei der Stadtreinigung, ist 55 Jahre
alt, es sind fast drei Jahrzehnte. Wahnsinn, da schüttelt er auch den Kopf. Er
war dabei, als man die Sperrmüllautos noch Tütenwagen nannte, weil alles in
Tüten verpackt am Straßenrand stand. Radek, grundsympathisch und üppig
tätowiert, ein gütiger Riese, gebürtiger St. Paulianer auch, sagt jetzt, erste
Erkenntnis: Früher haben die Leute ihre Möbel länger behalten. Heute ist mehr
Wegwerfgesellschaft, die ganze Wohnung in Ikea und alles finanzierbar.
Dementsprechend kürzere Halbwertszeiten, schnellerer Austausch.
Manchmal führen
sie binnen zweier Jahre zur gleichen Adresse, erzählt er, weil einer die Couch,
die er sich nach ihrem ersten Besuch gekauft hat, wieder ausrangiert. Radek
lehnt sich an, Arme verschränkt, lauscht seinen Worten nach und die anderen der
Kolonne gleichsam. Der Dienstälteste mithin als Chronist einer Zeit, in der die
Eiche-Schrankwand war, was heute das Billy-Regal ist. In der ein Möbelkauf zum
Ausflugsspektakel am Familiensamstag wurde, Mittag inklusive. Radek, auch ein
Materialgutachter, sagt: Die Holzarten haben sich verändert, früher waren sie
schwerer und dicker, Eiche, Buche und Mahagoni. Mittlerweile viele Leicht- und
Billighölzer, Pressspan, den ihr Wagen zerlegt wie Zahnstocher.
Damit das hier aber nicht nur eine nostalgische Rückschau
wird, ein steter Früher-heute-Vergleich, muss Radek mal Stellung beziehen zu
einem Streitthema, bitte, nämlich den Hausratablagerungen am Straßenrand, die
vor allem im Rekordsommer 2018 viele Viertel der Stadt umwallten. Wird er, der
offizielle Transporteur, da wütend? Insgesamt, sagt Radek, sei es doch besser
geworden, aber klar, die, die so was machen, findet er faul und unsozial. Da
wird was auf Kosten der Allgemeinheit in die Gegend gestellt, ruft Radek,
irgendwer kümmert sich schon, Hauptsache weg. Die Reinigung hat ein Webportal
gelauncht, in dem man illegale Aufhäufungen melden kann, mit Ortsmarke und
Foto. Im Monat laufen dort bis zu 10.000 Unmutsbekundungen ein. Der Deutsche,
der Hamburger zumal, er mag es dann doch lieber rein.
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