© Maria Feck
Liebe Leserin, lieber Leser,
dieser Tage scheint es im politischen Hamburg nur ein Thema zu
geben: Neujahrsempfänge. Kein Tag vergeht, an dem nicht irgendein Verband, eine
Kammer, ein Verein, ein Unternehmen oder eine Partei einlädt, vom Verband der
Güterwagenhalter über die Freunde des Museums für Völkerkunde bis zum
Altrahlstedter Männerturnverein von 1893. Allein der Bürgermeister, die
Senatoren und Staatsräte beehren insgesamt mehr als 25 Empfänge mit ihrer
Anwesenheit. Genug Stoff für Small Talk boten dieses Jahr die Grünen mit ihrem
Empfang: Die Fraktion ließ, gar nicht grün, Hunderte Einladungen drucken und
verschicken; ein eigens gebrautes “Green Party Beer” werde es beim
Jahresempfang geben, hieß es unter anderem im vierseitigen Flyer. Nur zwei
Nebensächlichkeiten hatten dort keinen Platz mehr: wann der Empfang ist. Und
wo. Für alle, die noch immer suchen: Er fand am Freitag im Rathaus statt.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!
Ihr Oliver Hollenstein
Wollen Sie uns Ihre Meinung sagen, wissen Sie etwas, über das wir
berichten sollten? Dann schreiben Sie uns: hamburg@zeit.de.
Aktuelles
Pärchen fährt auf der
Flucht vor der Polizei die Balduintreppe hinunter
Die Geländegängigkeit seines Smart testete ein Fahrer gestern
kurz nach Mitternacht auf St. Pauli. Um einer Polizeikontrolle zu entkommen,
flüchtete der Mann kurzerhand über die Balduintreppe. Lenker und Beifahrerin
scheinen den Abstieg besser überstanden zu haben als ihr Fahrzeug. Sie entkamen
zu Fuß, die Polizei sucht nach Zeugen.
Sicherheitspersonal
streikt, Flugverspätungen erwartet
Flugreisende müssen ab
dem Abend am Hamburger Flughafen erneut mit Verspätungen und Flugausfällen
rechnen. Die Gewerkschaft ver.di ruft zum Warnstreik des Sicherheitspersonals
auf. Der ganztägige Ausstand soll in der Nacht auf Dienstag um Mitternacht
beginnen. Die Gewerkschaft fordert eine Erhöhung des Stundenlohns für
Mitarbeiter der Passagier-, Fracht-, Personal- und Warenkontrolle auf 20 Euro brutto.
Das betrifft in Hamburg rund 1000 Beschäftigte. Die Deutsche
Luftverkehrswirtschaft und die Flughäfen werfen der Gewerkschaftsseite
Rücksichtslosigkeit zulasten der Passagiere vor.
Zahl der Obdachlosen hat
sich verdoppelt
Streit mit dem Partner,
Arbeitsplatzverlust, Kündigung der Wohnung – das sind die häufigsten Gründe,
warum Menschen in Hamburg auf der Straße leben. Wissenschaftler aus Bielefeld
haben im Auftrag der Stadt die
Situation von Obdachlosen untersucht. Wichtigstes Ergebnis der soeben veröffentlichten Studie: In
Hamburg leben deutlich mehr Menschen auf der Straße als noch vor zehn Jahren.
1910 Obdachlose zählten die Wissenschaftler bei ihrer Untersuchung im
vergangenen März, das waren fast doppelt so viele wie bei der letzten Erhebung
im Jahr 2009. Inklusive der Menschen, die derzeit in Wohnungen oder
Notunterkünften leben, beziffern die Wissenschaftler die Zahl der Wohnungslosen
sogar auf 6600. Von den Obdachlosen auf der Straße waren – anders als vor zehn
Jahren – die meisten aus dem Ausland, vor allem aus Polen, Rumänien und
Bulgarien. Eine Ursache dafür sehen die Wissenschaftler in der
EU-Osterweiterung. Die meisten der ausländischen Befragten gaben an, in die
Stadt gekommen zu sein, um Arbeit zu finden – diese Hoffnung habe sich aber
nicht erfüllt.
Wie sich der Hamburger
Winter für jemanden ohne Unterkunft anfühlt, lesen Sie etwas weiter unten in: Reingehorcht, ein Obdachloser erzählt.
In einem Satz
Das am 24. Dezember
geborene Elefantenbaby im Tierpark Hagenbeck wurde auf den Namen Santosh
getauft +++ Der NDR-Verwaltungsrat wird dem Sender vorschlagen, das mit Asbest
belastete NDR-Hochhaus abzureißen und ein neues Gebäude zu errichten +++ In
Horn ist eine 52-jährige Frau von einem Auto angefahren worden, als sie bei Rot
über die Straße ging
Was heute auf der Agenda
steht
Die Stadt verleiht zum
zweiten Mal den “Forschungspreis zur Förderung der Entwicklung von Ersatz- und
Ergänzungsmethoden zum Tierversuch” +++ Innensenator Andy Grote (SPD) eröffnet
die Sportstätte Mittlerer Landweg
Was Sie interessieren könnte
Alltagsreporter: Der
Kioskbesitzer
“Eine
meiner treuesten Kundinnen ist Hedi, die kommt zweimal am Tag, um einen Kaffee
zu trinken und ein Rubbellos auszufüllen. Die stapft hier mit großen Schritten
rein und schnauzt jedes Mal: ›Na, was ist denn hier schon wieder los!‹, auch
wenn gar nix los ist. Aber Hedi hört eben nicht mehr so gut. Und sie hustet
oft, das kommt vom vielen Rauchen. Ich hab mich mal geweigert, ihr Zigaretten
zu verkaufen. Sie ist dann zwei Wochen lang nicht mehr in den Laden gekommen.
Schlimm war das, ich hätte nicht gedacht, dass mir die Gespräche mit ihr so
fehlen würden. Andere Leute haben Kollegen, die sie jeden Tag sehen, ich habe
meine Stammkunden. An einem Sonntagmorgen stand Hedi dann wieder auf der Matte
– Tür auf, stapf, stapf, so als wär nix gewesen. Die Zigaretten habe ich ihr dann
gleich auf den Tresen gelegt.”
An
dieser Stelle finden Sie täglich unsere Alltagsreporter. Hier schreiben
Hamburger, die wir gebeten haben, uns regelmäßig zu berichten, was sie in ihren
Jobs erleben. Sie bleiben anonym, damit ihnen beruflich keine Konsequenzen
drohen.
Ihre Meinungen zur
Elbphilharmonie
Anlässlich des zweiten
Geburtstags der Elbphilharmonie am Freitag haben wir Sie um Ihre Meinung zu
Hamburgs neuestem Konzertsaal gebeten. Mehrere Dutzend Leser haben uns von ihren
Erfahrungen erzählt. Viele von Ihnen schrieben über begeisternde
Konzerterlebnisse, etwa Ilse-Maria Postelt: “Ich hatte das Gefühl, ich könnte
meine Hände über die Brüstung strecken und die Töne auffangen!” Viele Leser
waren jedoch auch enttäuscht. Besonders für ältere und behinderte Menschen
scheint das Konzerthaus die eine oder andere Tücke bereitzuhalten: zu wenige
Toiletten sowie zu viele zu steile Treppen. Einige von Ihnen störten sich
ebenfalls an den etwas zu deutlich wahrnehmbaren Geräuschen des Publikums.
Mehrere Leser berichteten allerdings auch, dies sei inzwischen besser geworden,
das Publikum reiße sich sehr zusammen. Und ein Musiker schrieb uns, es sei eine
große Herausforderung für Musiker, den Raum akustisch in den Griff zu bekommen,
da sei Erfahrung nötig. Inzwischen spiele er aber gern dort. Was die meisten
Leser nach wie vor am meisten stört: wie schwierig es ist, überhaupt Tickets zu
ergattern.
Reingehorcht, ein
Obdachloser erzählt
In diesem Winter sind bereits vier Obdachlose in Hamburg
gestorben. Thomas Burghardt, selbst obdachlos, erklärt, wie man die kalte
Jahreszeit auf der Straße übersteht.
“Ich lebe seit vielen Jahren auf der Straße. Ich habe auch schon
bei minus drei Grad draußen geschlafen. Das geht, wenn man einen gescheiten
Schlafsack hat und wenn es eine trockene Kälte ist. Sonst muss man ein Zelt
haben oder sich etwas einfallen lassen. Viele Obdachlose besorgen sich
Paletten, damit sie nicht auf dem Boden schlafen müssen.
Kurz bevor diesmal das Winternotprogramm begonnen hat, haben wir
Plätze für unsere Zelte gefunden, hinter Finkenwerder, in der tiefsten
Walachei, windgeschützt, weit weg von jedem Wohnhaus, dort haben wir keinen
Menschen gestört. Dieses Jahr wollten wir auch nachts draußen bleiben, aber
Polizei und Stadt verscheuchen uns immer.
Das geht schon seit dem Sommer so. Du wirst aufgeweckt und musst
deine Siebensachen packen. Aber wo sollen wir sonst hin? Es gibt ja kaum noch
Plätze, wo wir akzeptiert werden. Selbst am Fischmarkt hat man uns verscheucht.
Danach sagte ein Sprecher der Stadt, es sei ja nur darum gegangen, den
Sperrmüll zu entsorgen. Nur, unsere Zelte wurden gleich ebenfalls entsorgt. Mit
Sperrmüll verglichen werden, das ist nicht schön.”
Warum laut Thomas Burghardt viele Obdachlose jedoch auch nicht das
Winternotprogramm in Anspruch nehmen, lesen Sie auf ZEIT ONLINE.
3000 Geburten auch im
Albertinen Krankenhaus
Am Freitag berichteten
wir über die Geburtenzahlen in Hamburg. Das im Geburten-Ranking an fünfter
Stelle liegende Albertinen Krankenhaus in Hamburg-Schnelsen legt Wert auf die
Feststellung, dass 2018 auch hier erstmals mehr als 3000 Babys zur Welt kamen.
“Es fanden dort 3093 Geburten statt, was einen historischen Rekord in der
54-jährigen Geschichte des Albertinen Krankenhauses bedeutet”, schrieb uns
Fabian Peterson vom Albertinen Diakoniewerk. Dann reichen wir bei dieser
Gelegenheit auch noch Nummer vier nach: das Asklepios-Klinikum Barmbek mit 3217
Geburten.
So sah
das aus:
Heiligengeistfeld, 1904
Nur
noch sehr, sehr wenige Hamburger kennen den Anblick, den diese Postkarte zeigt:
eine Windmühle auf dem Heiligengeistfeld. An der Feldstraße wurde das ganze 19.
Jahrhundert hindurch Korn gemahlen. Die Mühle im Bild – Typ Galerieholländer –
war nicht die einzige in der Umgebung. Gegenüber befand sich eine Ölmühle,
deren Personal stadtweit von sich reden machte, wie der Hamburger
Geschichtsschreiber Ferdinand Bertram bemerkt: “Die ›Ölmühler‹, sehr
streitlustige Jungen, die auf dem Felde ihre Knüppelschlachten ausfochten,
waren einst übel berüchtigt.” Ihr Arbeitsplatz wurde 1813 von den Franzosen
niedergebrannt, die Kornmühle dagegen stand noch, als an der Feldstraße schon
die U-Bahn hielt. 1925 wurde sie unter Denkmalschutz gestellt – was die Nazis
nicht davon abhielt, sie kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs abreißen zu
lassen. Knapp drei Jahre später begannen an derselben Stelle die Bauarbeiten
für den Bunker.
Annabel Trautwein
WER WIR
SIND
Ich bin Annabel
Trautwein (35), Mitarbeiterin im Team der Elbvertiefung und Hamburgerin
nicht der Herkunft, aber dem Herzen nach. Als Tochter einer
deutsch-niederländischen Seglerfamilie sind Wind und Weitblick mir ein
Grundbedürfnis. Meinen Beruf habe ich bei der “Nordsee-Zeitung” gelernt, davor
war ich in Bremen, um Kultur- und Religionswissenschaft zu studieren und
herauszufinden, wie Gesellschaften ticken. Auch in Damaskus habe ich mich
zeitweise heimisch gefühlt, heute weiß ich: Mein Habitat ist die Hafenstadt.
Zwischen Möwen, Tauben und schrägen Vögeln bin ich richtig. Hamburg kann auch
hart sein. Das habe ich als Chefredakteurin von WilhelmsburgOnline.de erlebt und sehe es heute bei meiner Arbeit für
Hinz&Kunzt. Zum Glück gibt es viele Hamburger, die hingucken und dazu
beitragen, die Stadt besser zu machen. Zu denen zähle ich mich.
WAS SIE HEUTE ERLEBEN
KÖNNEN
Mittagstisch:
Satt werden
»Einmal hier!«, wird in die Küche gerufen. Ausführlich heißt das: Der Gast möchte einmal das Tagesgericht. Nicht mitnehmen, sondern im Haus essen. Die Verkürzung steht sinnbildlich für das Umland: schnell und unprätentiös. Die hausgemachte Wirsingroulade mit Sauce, Kartoffelpüree und Karottensalat (7,50 Euro) kommt rasch. Gegessen wird an einem der Stehtische, halb von einer Papiertischdecke bedeckt, eine Rolle mit Küchenkrepp dient als Ersatz für Servietten. Immer wieder geht die Tür auf, der Strom an Mittagshungrigen bricht nicht ab, viele nehmen das Essen mit. Neben dem Tagesgericht werden zwölf eher deftige Gerichte zwischen 5,50 und 8,90 Euro vorgeschlagen. Nach der Bestellung am Tresen werden sie in einer der vier Mikrowellen aufgewärmt, laut dem Inhaber Christian Heidbrink immerhin 200 bis 250 Portionen pro Tag. Der Kartoffelbrei ist schön cremig, die Wirsingroulade ordentlich gewürzt. Man wird satt, doch den Kaffee, wenngleich er nur einen Euro kostet, sollte man an anderer Stelle trinken.
Eppendorf, Umland, Hegestraße 50, Mo–Fr 8–18 Uhr, Sa 8–14 Uhr
Elisabeth Knoblauch
Was
geht
Computer-Flimmern: Kontrollieren wir künstliche Intelligenz? Oder kontrolliert sie
uns? Innerhalb der nächsten 20 Jahre werden Menschen mit Technologie
verschmelzen, sagen Experten in “Plug & Pray” voraus. Filmabend zur
Ausstellung “outofoffice”.
Museum der
Arbeit, Wiesendamm 3, 19 Uhr
Die Kuh klagt: Könnten Tiere ihre Rechte einfordern, hätten Richter jede Menge
zu tun. Bei der Paneldiskussion “Tierrechte?!” diskutieren Autorin Hilal
Sezgin und Politikwissenschaftler Peter Niesen grundlegende Fragen:
Welchen moralischen Status etwa haben Menschenaffen? Welche juristischen,
ökonomischen und politischen Konflikte würden durch ein Recht auf artgerechte
Lebensbedingungen im Agrarsektor entstehen?
Universität
Hamburg, Edmund-Siemers-Allee
1, 19–20.30 Uhr, Eintritt frei
“Out of the Dark”: Johann Hölzel überlebte als einziges Baby von Drillingen die
Geburt. Auch mit seiner Musik hob er sich von Normalsterblichen ab: Als Falco
erreichte der Österreicher mit “Rock Me Amadeus” mit deutschsprachigem Liedgut
die Spitze der US-Billboard-Charts. Bis heute konnte diesen Erfolg niemand
wiederholen. “Falco – The Show” von Michael Simoner.
Laeiszhalle, Großer Saal, Johannes-Brahms-Platz, 20 Uhr, VVK ab 43 Euro
Was kommt
“Hear Wor(l)d”: Wann ist es richtig, seine Stimme zu erheben, wann ist es
schlecht? Und wer entscheidet das? Was tun, wenn die Stimme, die sich erhebt,
die Sprache des Hasses spricht? Die zehnten Lessingtage laden dazu ein,
mit offenen Ohren in die Welt zu horchen, und ermutigen zugleich, sich selbst
Gehör zu verschaffen. Für manche Programmpunkte gibt es noch Karten, zum
Beispiel für Simon Stephens Uraufführung “Maria” am Sonnabend im
Nachtasyl.
Verschiedene
Orte, 18.1.–3.2., Programm
online
Hamburger Schnack
Ich frage Mia, 6 Jahre, wie ihr Silvester war. »Toll, wir haben eine Wunschrakete in den Himmel geschossen!« – »Und was hast du dir gewünscht?« – »Frieden und Ruhe.« Kurze Gedankenpause. »Und ein Prinzessinnenkleid.«
Gehört von Annette Halstrick
Meine Stadt
© Alexander Holm
Die
heutige Ausgabe zum vertieften Lesen
Thomas
Burghardt erklärt, warum viele Obdachlose nicht das Winternotprogramm in
Anspruch nehmen
Hits: 107



















