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Smart Wohnen: Digital vernetzt und komplett überwacht

Vor Haus 18-56 steht Iwamoto Yasuhiro und putzt sorgfältig seine Schuhe. Was insofern erstaunlich ist, weil man in dieser Stadt für so etwas einen Roboter erwartet hätte. Denn Herr Yasuhiro lebt in Fujisawa, in Japans Stadt der Zukunft. Überhaupt wirkt die Gegend wenig futuristisch. Gut, auf dem weißen Haus von Herrn Yasuhiro glitzern Solarzellen im Sonnenlicht. Aber sonst: eher heimelig. Eine Vorstadt wie Bochum-Stiepel, nur viel dichter zusammengedrängt.

Eine Frage, Herr Yasuhiro, warum wohnen Sie hier? Er zeigt auf sein Haus, als wäre das schon Grund genug. Dann blickt er ernst und sagt, das sei kein Zufall. Früher habe er in Yokohama gewohnt, im Hochhaus, 30. Stock, tolle Aussicht. “Jedenfalls bis zum März.” Der März: Synonym für die Katastrophe. Freitag, der 11. 3. 2011. Das schlimmste Erdbeben in Japans Geschichte. Von einer Wucht, als wären 99 Millionen Tonnen Sprengstoff auf einmal explodiert. Dann der Tsunami, die Kernschmelze im Atomreaktor von Fukushima, die fast 16.000 Toten.

“Nie”, sagt Herr Yasuhiro, 72 Jahre alt, “werde ich diesen Tag vergessen.” Das Schwanken der Wände, die Todesangst, zweieinhalb Minuten lang. Danach wollte er weg. Und zog mit seiner Frau nach Fujisawa SST, in die Sustainable Smart Town, die “nachhaltige, intelligente Stadt”, etwa 50 Kilometer südlich von Tokio. Um anders zu wohnen: sicher und ökologisch.

Fujisawa ist eine Retorte. Geplant auf dem Reißbrett, gebaut auf dem Gelände einer stillgelegten Fabrik. 19 Hektar groß, 600 Häuser, 3.000 Einwohner. Von der Größe her also eher ein Dorf als eine Stadt, von der Bedeutung her immens: Fujisawa ist das Modellprojekt des Elektronikkonzerns Panasonic, der 500 Millionen Euro in die Entwicklung investiert hat.

Herr Yasuhiro steht jetzt neben seinem schwarzen Toyota Prius, natürlich mit Hybridmotor, und sagt: “Das Schöne ist, dass wir hier an einem Ort leben, der klug seine Technik einsetzt. So sparen wir Ressourcen.” Das beweise jeder Meter dieser Stadt.

Ein paar Meter weiter wartet bereits Noriko Inagaki. “Kommen Sie”, sagt Frau Inagaki, Panasonic-Managerin in Fujisawa, Abteilung Business Development, “ich zeige Ihnen die Stadt.” Wir laufen vorbei an hellverklinkerten Häusern, an kleinen Gärten, einem
Parkplatz mit Stromzapfsäulen für Elektroautos. Selbst der Straßenbelag ist Hightech: Je nach Temperatur saugt der Asphalt Wärme auf oder gibt sie ab.

Zwischendurch ein Blick auf die Statistik: Bereits heute wohnt fast die Hälfte aller Japaner in Städten, die meisten im Großraum Tokio, dort rund 38 Millionen Menschen. Glaubt man den Vereinten Nationen, werden in den nächsten 30 Jahren mehr als drei Viertel der Menschheit in Metropolen leben. In ihrem Unternehmen, sagt Frau Inagaki, habe man sich deshalb Gedanken gemacht, wie sich Städte optimieren lassen. 2007 war die Idee von Fujisawa geboren, einer Stadt mit einem Ziel: Ressourcen sparen. Beim Kohlendioxid-Ausstoß 70, bei Wasser und Strom je 30 Prozent. Dank ihrer vielen Solarpaneele ist die Stadt so gut wie unabhängig von externen Stromversorgern. Greift man doch auf Energie von außen zurück, kommt die zu 30 Prozent aus erneuerbaren Quellen. Dreimal so viel wie im restlichen Land.


Dieser Artikel stammt aus MERIAN Heft Nr. 03/2018
© MERIAN

An Fujisawas Central Park bleibt Frau Inagaki stehen. Der runde Platz ist von Pergolas umsäumt, von Palmen und Blumen. Im Sandkasten spielen Kinder, Jugendliche springen mit ihren Skateboards über Treppenabsätze. Frau Inagaki lächelt. “Sehen Sie diese Bank? Ein paar Handgriffe und daraus wird ein Grill.” Ein Stück weiter deutet sie auf ein Rechteck im Boden. “Daraus lässt sich rasch eine Freilufttoilette machen.” Der ganze Park wird im Falle einer Katastrophe zu einem Ort der Rettung – mit Zelten, Erste-Hilfe-Versorgung und Freiluftküche. In einem Land, in dem die Erde rund 5.000 Mal im Jahr bebt, keine schlechte Idee. Fujisawa, sagt Frau Inagaki, könne drei Tage lang ohne fremde Hilfe überleben. 

“Kommen Sie!” Frau Inagaki hat es eilig. Auf einem Balkon flattern Handtücher zum Trocknen an der Leine. Auf der anderen Seite der Stadt liegt der Fujisawa SST Square, eine Art Gemeindezentrum mit Buchläden, Cafés und Restaurants. Man kann dort Kurse besuchen: Malen, Frisuren stecken, Basteln, Sushi anrichten, Backen. Gerade sitzen sechs Frauen beieinander und verzieren konzentriert Torten mit Buttercreme und Keksen. Fujisawa ist ein Lebenskonzept. Eigentlich muss kein Bewohner die Stadt verlassen, weil es alles gibt: Kinderbetreuung rund um die Uhr, ein Altenheim, ein Krankenhaus, ein Car-Sharing-System, Geschäfte, Wellnessangebote, Sport.

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