Was wir ein Drittel unseres Lebens machen? Schlafen! Jedenfalls wenn’s gut läuft. Warum tut der Mensch es überhaupt, wie viele Stunden sind genug und was hilft, wenn wir abends nicht einschlafen können und morgens wie gerädert aufwachen? Diesen und weiteren Fragen widmet ZEIT ONLINE den Schwerpunkt “Besser Schlafen”.
Ein entspannendes Bad nehmen, heißen Tee trinken, einen ruhigen Spaziergang machen (gibt es eigentlich auch unruhige?), Tagebuch schreiben, etwas lesen, den Körper eincremen und mit dem Hund kuscheln (echt jetzt?): Das alles soll mich besser einschlafen lassen. Behauptet die App. “So lernt dein Körper am besten, wann der Moment gekommen ist, um vom Alltag abzuschalten.”
Die App Moodpath ist die beliebteste und umsatzstärkste deutsche Psychologie-App. Das Berliner Start-up will wissenschaftlicher und psychologischer sein, als die vielen Apps, die es im mentalen Fitness-Segment gibt. Dafür schmückt sich ihre Website mit den Sigeln renommierter Universitäten, von der New Yorker Columbia bis zur Charité, mit denen das Start-up gerade an ersten Studien arbeitet.
Der Grund, aus dem die meisten Nutzer die App herunterladen, ist wohl, dass Moodpath “Wege aus der Depression” verspricht. Ich lade sie aus einem anderen Grund herunter. Ich will wissen, ob sie mir bei einem Problem hilft, das ich schon lange habe: starke Einschlafstörungen. Jeden Abend brauche ich mindestens eine halbe, oft eine ganze und nicht selten mehrere Stunden zum Einschlafen. Es kann passieren, dass ich die ganze Nacht wach liege. Mir geht es damit wie etwa zehn Prozent der deutschen Erwachsenen, die dreimal und häufiger pro Woche Einschlafprobleme haben (Bundesgesundheitsblatt: Schlack et. al., 2013).
“Weniger grübeln” im Abo für 9,99 im Monat
Moodpath hat zwei Teile. Tägliche Fragen sollen erkennen, ob man depressionsgefährdet ist, basierend auf einem viel genutzten Fragebogen, der PHQ9 heißt (Journal of General Internal Medicine: Kroenke et. al., 2001). Daneben verkauft sie Kurs-Abos für 9,99 im Monat oder 59,99 Euro im Jahr. Die Kurse heißen etwa “Weniger grübeln” oder “Gedankenreisen” und bestehen aus Erklärvideos, Tipps und Audio-Übungen. Ich nehme den Kurs “Besser schlafen”. Nach einem Einführungsvideo der Schlaf-Therapeutin Samia Little Elk – es ist etwas länger als die Sicherheitsanweisungen im Flugzeug – beginnt das erste Modul: “Hacke deinen Schlaf”. Die Anweisungen sind denkbar simpel: Das richtige Licht (morgens Tageslicht, abends eher Dunkelheit), richtige Temperatur (etwas kühler, aber angenehm), körperliche Aktivität nicht zu spät (dem Körper Zeit zum Runterkommen geben), nicht zu “schwer” essen (nicht zu fettig, aber auch nicht hungrig schlafen gehen) und auf die Bett-Umgebung achten (soll entspannen).
Klingt so einfach wie das Passwort “1234” zu hacken. Das Problem: Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es so einfach nicht ist.
Vor ein paar Jahren, als ich wiederholt eine Nacht lang wach lag, begann ich mich mit meinen Schlafproblemen zu beschäftigen. Mein Schlaf ist ein Nervositätsbarometer: Ist mein Alltag unruhig, ist es auch mein Schlaf. Ich las also Bücher zum Thema, durchsuchte das Netz und ging irgendwann zu einem Schlafmediziner. Mittlerweile habe ich das Problem unter Kontrolle, einigermaßen.
Wie ich meinen Schlaf hacke? Ich suchte mit Schlafentzug und Ausschlafen meinen idealen Rhythmus (0 Uhr bis 8:30). Schlafmaske und Ohrstöpsel sind immer griffbereit. Meine Fenster sind verdunkelt. Meine Decke ist ein Laken (kühler). Ich brauche eine eigene Matratze. Hotelzimmer baue ich manchmal so um, dass sie meinem Zimmer gleichen. Falls mich der Alltag gedanklich im Bett heimsucht, stehen in meiner Küche dicke Geschichtsbücher: 600 Seiten über die Entstehung der deutschen Kulturlandschaft, 800 Seiten über die russischen Romanows. Die halten meine Gedankengänge nicht an, führen sie aber weit weg von der Gegenwart. Ich zeichne mit einer App meinen Schlaf und mein Schnarchen auf. Glaubt man morgens, kaum geschlafen zu haben, sind Schnarchgeräusche Musik.
Was nie half: krampfhaft versuchen, zu entspannen
Doch so gut wie keinen dieser oft unbequemen Hacks empfiehlt Moodpath. Etwas hingegen half mir nie – das, worum sich die App mit ihren Fotos von Teetassen und Frottétüchern immerzu dreht: krampfhaft versuchen, mich zu entspannen. Romane, ruhige Musik, Tee und warmes Licht machen mich nur wach. Die App preist es hingegen als das “ideale Abendritual”:
- “Stecker raus” (elektronische Geräte abschalten)
- “Kopf aus” (Sorgen auf morgen verschieben)
- “Verwöhnprogramm” (dem Körper etwas Gutes tun)
- “Es geht um dich” (Alleinsein oder gute Gesellschaft haben)
- “Füße hoch” (keine Anstrengungen)
- “Keine Hektik” (Zeit zum Runterfahren nehmen)
Die Anweisungen der Apps wiederholen sich. Nach dem Abendritual folgt noch ein “Zehn-Punkte-Plan” zum guten Schlaf: Wecker frühzeitig stellen, entspannende Musik hören, aufräumen, baden, Kleider bereit legen, etwas trinken oder essen, lüften, ein Abendritual wie Yoga oder Tagebuch, wohlige Umgebung schaffen, offline gehen. Das ist keine Ausnahme in der App. Jener Kurs zum Thema “Selbstwert steigern” etwa besteht zur Hälfte aus “Tu dir was Gutes!”-Aufrufen: sich Zeit für (Eigen-)Lob nehmen, Verständnis für sich selbst entwickeln oder sich mit Konzertkarten, Essen, Schmuck oder einem Buch beschenken.
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