Die ersten zehn dieser goldfarbenen
Kleinbusse sind schon zu sehen auf Hamburgs Straßen. Noch fahren sie ohne Passagiere
umher, mit frisch angeworbenen Fahrern am Steuer, die in diesen Tagen die
Bedienung lernen und nebenbei die Technik testen. Im April sollen es 100 Busse
sein. Dann beginnt ein gewaltiges Experiment: Jeder Hamburger soll dann per
Smartphone fast rund um die Uhr eines dieser Gefährte in seiner Nähe bestellen
können, für eine elektrische Fahrt durch die Stadt.
Moia hat VW sein neues Angebot
getauft, das nichts weniger sein soll als “ein Leuchtturmprojekt”.
Den Trend des Carsharing hat der Konzern einst verschlafen, dafür will er jetzt
ganz vorn dabei sein bei der Revolution des Straßenverkehrs, dem sogenannten
Ridesharing, also geteilten Fahrten. Denn in den Moia-Bussen werden bis zu
sechs Fahrgäste sitzen, die alle zumindest einen ähnlichen Weg haben. Das
Gefährt wird unterwegs neue Gäste einladen und absetzen, am Lenker sitzt zwar
ein Mensch, doch gesteuert wird alles von einem Algorithmus, der ständig dazulernt.
Die App soll so funktionieren: Man gibt
auf einer Karte seinen gewünschten Start- und Zielpunkt ein. Das System
erstellt in Sekunden ein Fahrtangebot – zu einem Festpreis, der zwischen dem
des öffentlichen Nahverkehrs und dem einer Taxifahrt liegt, im Schnitt bei
sechs bis sieben Euro. Willigt der Kunde ein, dirigiert ihn die App zu einem
nahen Einstiegspunkt, wo das Elektrofahrzug problemlos halten kann. Und
innerhalb einer angegebenen Zeitspanne soll der Gast dann am Ziel sein, ein
paar mögliche Umwege inbegriffen, um andere Gäste einzusammeln.
Probegesessen wurde in einer Kiste
Das Fahrzeug dafür hat VW neu entwickelt.
Anfangs setzten sie dazu zufällig ausgewählte Bürger in eine Art Kiste und
fragten, wie die Kabine aussehen müsste, um sich wohlzufühlen. Heraus kam eine
neue Raumaufteilung: Vorne, neben dem Fahrer, ist eine große Gepäckablage. Die
Sitze bieten viel Beinfreiheit und verfügen über eine seitliche Abtrennung auf
Kopfhöhe. Denn die Testbürger legten Wert auf Privatsphäre.
So ist Moia also nicht nur vom Preis her
ein Zwischenschritt zwischen Nahverkehr und Taxi. Und die spannende Frage
lautet: Ist diese Art des Ridesharings wirklich die Zukunft des Verkehrs in
staugeplagten Metropolen?
Die VW-Experten schwärmen von den
Vorzügen. “Moia soll gerade für eingefleischte Autofahrer attraktiv sein”,
sagt Manager Robert Henrich. Leise
und emissionsfrei seien die Fahrzeuge. Und man werde schon aus wirtschaftlichen
Gründen darauf achten, dass sie nicht nur mit einzelnen Gästen durch die Stadt
fahren. So würde Verkehr reduziert werden.
Doch es gibt auch Gegner. Ein
Taxiunternehmer mit acht Angestellten hat die Stadt bereits wegen der neuen
Konkurrenz verklagt. Und die Linken-Abgeordnete Heike Sudmann kritisiert, dass
der neue Dienst ausgerechnet “in den mit Bus und Bahn bereits gut
erschlossenen Bereichen der Stadt” verkehre. Tatsächlich ist die Gefahr,
dass keine Autofahrer auf Moia umsteigen, sondern vor allem bisherige Radfahrer
oder Kunden des Nahverkehrs. Dann würde das neue Projekt zu mehr Verkehr führen
als zu weniger.
VW wollte 1000 Fahrzeuge, die Behörde genehmigte nur die Hälfte
In Hamburg soll die Zahl der Moia-Busse
bis Anfang 2020 auf 500 steigen. VW will sogar 1000 Fahrzeuge einsetzen, aber
die Wirtschaftsbehörde genehmigte nur die Hälfte. Deshalb endet der Service
vorerst auch an der Elbe, die südlichen Stadtteile Wilhelmsburg und Harburg
werden nicht bedient.
Wichtig ist auch die Frage, ob Moia
genügend Fahrer findet. 250 stehen bereits fest unter Vertrag, im nächsten
Jahr sollen es 1500 werden. “Das wird eine enge Kiste”, sagt Manager Ole Harms, denn der Hamburger Arbeitsmarkt läuft gut. Deshalb versucht Moia in
Zusammenarbeit mit dem Jobcenter, auch Langzeitarbeitslose zu gewinnen.
Moia ist zwar das größte, aber längst nicht
das einzige Zukunftsprojekt im Hamburger Verkehr. Die Stadt ist 2021 Gastgeber
des großen Verkehrskongresses ITS und will mit Innovationen glänzen,
weshalb gerade an vielen Ecken Neues getestet wird: Vor wenigen Wochen
nahm die Hochbahn den ersten rein elektrischen Serienbus in Betrieb. Im Herbst
soll eine App folgen, mit der man Tickets für verschiedene Verkehrsmittel von
Leihrad, Bus oder Moia-Shuttle aus einer Hand buchen kann, mit nur einer
Rechnung am Monatsende. Die Hochbahn entwickelt selbst auch einen
autonom fahrenden Elektrokleinbus namens Heat. Und in den schlecht
angebundenen Stadtteilen Lurup und Osdorf fährt bereits seit Herbst
der Shuttledienst der Bahn-Tochter ioki die Bürger von ihren
Häusern zur nächsten S-Bahn-Haltestelle, zum Preis eines Nahverkehrstickets.
Ob Moia eher nutzt oder schadet, sollen in
den kommenden Monaten unabhängige Wissenschaftler beobachten. Generell
soll das ganze Projekt dazu dienen, Wissen zu sammeln. Auch über das Verhalten
der Fahrgäste. Eines haben die VW-Manager aus ihren ersten Tests in
Hannover schon gelernt: Ein Ridesharing-Auto darf kurz vor dem Ziel eines
Fahrgasts auf keinen Fall mehr abbiegen, um noch jemand anderen aufzugabeln
– das führt zu schlechter Laune. Und es darf auch nie, wirklich nie entgegen
der Zielrichtung eines Fahrgasts fahren, nicht mal ein kurzes Stück.
Für die Ingenieure ist das kein Problem: Diese
Regeln haben sie dem Algorithmus schon einprogrammiert.
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