Im vergangenen Jahr hätte man die Golden Globes fast schon für ein geschmackvolles Massenbegräbnis halten können. Unter dem Eindruck der Enthüllungen um den Produzenten Harvey Weinstein waren viele Künstlerinnen und Künstler in Schwarz gekleidet
aufgetaucht, um ein Zeichen gegen sexuelle Belästigung zu setzen und Solidarität
mit den Bewegungen #MeToo und Time’s Up zu bekunden. Nun, ein Jahr später, ähnelte der Rote
Teppich in Beverly Hills einem Regenbogen. Spike Lee trug einen lila Anzug mit lila
Baskenmütze. Julianne Moore, Sandra Oh und Jamie Lee Curtis erschienen
in strahlendem Weiß, viele andere Schauspielerinnen waren in feuerroten Abendroben
gekommen.
So politisch wie bei den vergangenen Preisverleihungen in Hollywood ging es bei den 76. Golden Globes nicht zu. Die gewohnten Attacken gegen Präsident Donald Trump blieben bei der zweitwichtigsten Film- und Fernsehpreisverleihung in Beverly Hills diesmal weitgehend aus. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz war dagegen weiter ein Thema. Viele Prominente, darunter die Gastgeberin Sandra Oh und ihr Kollege Andy Samberg, trugen schwarz-weiße Armbänder mit der Aufschrift
#TimesUpx2.
Sandra Oh verließ einen Moment ihre Rolle als Moderatorin des Abends und sagte,
den Tränen nahe: “Ich wollte hier heute auf der Bühne sein, um in dieses
Publikum zu schauen und Zeuge dieses Moments der Veränderung zu
werden. Und ich mache mir nichts vor. Das nächste Jahr könnte anders
sein. Es wird wahrscheinlich anders sein. Aber jetzt ist dieser Moment
echt.” Die kanadische Schauspielerin, bekannt vor allem durch die TV-Serie Grey’s Anatomy, ist die erste Frau mit asiatischen Wurzeln, die in den USA
eine große Show wie die Globes moderierte.
Unberechenbar und oft auch unverständlich
Es gab an diesem Abend einige der typisch unberechenbaren Golden-Globe-Entscheidungen. So gewann das eher durchschnittlich bewertete Freddie-Mercury-Biopic Bohemian Rhapsody den Preis als Bestes Drama und stach damit das Musikdrama A Star is Born mit Bradley Cooper und Lady Gaga aus, das als einer der Favoriten gehandelt worden war. Der Hauptdarsteller Rami Malek setzte sich für seine Rolle als Queen-Frontman als Bester Schauspieler gegen Bradly Cooper, Hauptdarsteller in A Star is Born, durch.
Ebenfalls überraschend war die Wahl des zweiten großen Siegers Green Book. Das Roadmovie über einen schwarzen Jazz-Pianisten, der in den Sechzigerjahren mit seinem
weißen Chauffeur durch die US-Südstaaten reist, gewann drei Golden Globes. Darunter den als Bester Film in der Kategorie Musical und Komödie und den für das Beste Drehbuch. Der Oscar-Preisträger Marhershala Ali wurde als Bester Nebendarsteller ausgezeichnet.
Den Preis als Beste Schauspielerin hatten viele bereits Lady Gaga für ihre Rolle in A Star Is Born zugeschrieben. Um so erstaunlicher war für viele die Entscheidung für Glenn Close. Die 71-Jährige verkörpert im Film Die Frau des Nobelpreisträgers (The Wife) eine Ehefrau, die sich im Alter dem Geniekult um ihren Mann verweigert. In ihrer Dankesrede betonte Close, wie
wichtig es für Frauen sei, persönliche Erfüllung zu finden. Ihre eigene Mutter habe ihr Leben in den Dienst des
Vaters gestellt, bedauerte die Schauspielerin.
Kämpferisch gab sich auch die afroamerikanische Schauspielerin Regina King. Als sie
ihren Golden Globe als Beste Nebendarstellerin in Barry Jenkins If Beale
Street Could Talk entgegennahm, unterbrach sie die Bühnenmusik mit den
Worten “Time’s Up mal zwei”. Sie versprach, sich für
die Gleichstellung der Geschlechter in ihren Projekten einzusetzen.
“Ich leiste einen Schwur”, sagte sie, “um sicherzustellen, dass es in all meinen Produktionen 50 Prozent Frauen geben wird. Und ich fordere alle auf,
die sich in einer Machtposition befinden, nicht nur in unserer Branche,
in allen Branchen, sich selbst herauszufordern und
solidarisch mit uns zusammenzuarbeiten und dasselbe zu tun.” Als beste Darstellerin in einer Komödie wurde die Britin Olivia Colman
für ihre Rolle als Königin Anne in The Favourite ausgezeichnet.
“Das Kino in seiner besten Form reißt Mauern nieder”
Die politischste Rede hielt der mexikanische Regisseur Alfonso Cuarón. Sein bereits in Venedig preisgekrönter und von Netflix produzierter Film Roma über eine Hausangestellte im Mexiko der Siebzigerjahre gewann den Golden Globe
als Bester nicht englischsprachiger Film, Cuarón wurde als Bester Regisseur ausgezeichnet. In seiner kurzen Ansprache nannte er Donald Trump nicht beim
Namen, man verstand seine Botschaft auch so: “Das Kino in
seiner besten Form reißt Mauern nieder und schlägt Brücken zu anderen
Kulturen”, sagte Cuarón. “Wenn wir diese Brücken,
diese Erfahrung und diese neuen Formen und Gesichter überqueren, stellen
wir fest, dass sie vielleicht fremd, aber nicht ungewohnt sind. Wir
beginnen zu verstehen, was wir gemeinsam haben.”
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