Von diesem einen Spiel träumen Amerikas Kinder. Sie spielen es auf Wiesen, auf Seen, natürlich auch auf ihren Telefonen und Computern, und vermutlich stellen Amerikas Kinder sich dann vor, dass ihnen in der Verlängerung der eine Punkt oder das eine Tor gelingt, das den letzten aller Siege und damit die Unsterblichkeit bringt. “Für dieses eine Spiel leben wir”, das sagten wörtlich oder sinngemäß natürlich sämtliche Eishockeyprofis aus St. Louis und Boston, die in den vergangenen 72 Stunden gefragt wurden.
Game Seven, das siebte Spiel, ist ein amerikanischer Mythos. Aufregender nämlich, leidenschaftlicher und epischer, kann Sport nicht sein.
Game Seven wird dann notwendig, wenn es in einer Play-off-Serie nach sechs Spielen 3:3 steht. Game Seven entscheidet. Game Seven bedeutet, dass jede Menge Dramen – im Eishockey stets üble Fouls, in diesem Jahr zusätzlich grässliche Fehlentscheidungen, zudem allerlei Heldentaten und Kränkungen – vorausgegangen sind. Darum ist Game Seven das perfekte Sportereignis im Zeitalter der Serien: Die Bärte der Spieler sind lang geworden, nun beginnt die letzte Folge – wer stirbt, wer erobert den Thron?
Monatelang hatten andere Mannschaften dominiert
Entsprechend hysterisch, hitzig, kitschig fing der Mittwochabend im TD Garden von Boston an: “We want the Cup” stand übergroß draußen an der Arena, als die heimischen Bruins, favorisiert, die St. Louis Blues zum siebten Spiel um den Stanley Cup empfingen, die Meistertrophäe der nordamerikanischen Eishockey-Liga NHL. Aber sie verloren. Die Blues siegten 4:1 (2:0, 0:0, 2:1) und eroberten den Cup mit vier Geniestreichen und einem Torwart, der in dieser einen Nacht, die zählte, nahezu unüberwindbar war.
Gerecht war das alles nicht. Boston hatte seine bisherigen drei Siege überlegen erspielt: 4:2, 7:2 und 5:1; St. Louis hingegen hatte reichlich Glück und hin und wieder auch noch Schiedsrichterhilfe gebraucht: 3:2 nach Verlängerung, 4:2 und 2:1. Und auch im siebten Spiel waren die Bruins wieder stärker: 12:4 Torschüsse schafften sie in den ersten 20 Minuten.
Schon da allerdings trafen die Blues zweimal. Ryan O’Reilly glückte die Meisterleistung des modernen Hochgeschwindigkeitseishockeys: Er lenkte einen Schlagschuss mit dem Schlägerblatt um wenige Grad um und somit ins Tor; und Alex Pietrangelo lupfte 7,9 Sekunden vor Drittelschluss den Puck mit der Rückhand über Bostons Torwart Tuukka Rask hinweg.
Danach stürmte Boston weiter, und St. Louis verteidigte. Und verteidigte. Und am Ende waren es sogar 33 Torschüsse und doch nur ein arg später Anschlusstreffer für Boston, und zuvor hatte sich St. Louis bereits das dritte und vierte Tor erkontert: durch Brayden Schenn und Zach Sanford. Es war das spektakuläre Ende eines spektakulären Eishockeyjahres.
Monatelang hatten andere Mannschaften dominiert. Tampa Bay Lightning war die beste Mannschaft der scheinbar ewigen, 82 Spiele langen normalen Saison gewesen – und fiel in jenen Tagen auseinander, als es wichtig wurde, verlor in nur vier Spielen in der ersten Play-off-Runde gegen Columbus. Und da war Pittsburgh mit Sidney Crosby, da war Washington mit Alex Owetschkin: wundervolle Mannschaften, die doch ausschieden, als der Winter ging und der Frühling kam und im Bundesstaat Missouri ein stiller Aufstieg zum Gipfelsturm wurde.
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