Fast würde man über die Sätze von Inka Grings hinweghören, zu sehr klingen sie nach Gemeinplatz, nach Binse. “Jeder, egal ob Mann oder Frau, egal ob alt oder jung, ist doch deshalb gut im Beruf, weil er oder sie sich in dem Bereich auskennt und Kompetenz ausstrahlt.” Und: “Ich habe in diesem Sport Erfahrungen gesammelt wie kaum jemand anders, wieso sollte ich nicht auch ein Männerteam
trainieren können?”
Doch so selbstverständlich sind diese Sätze nicht, weil die zweifache Europameisterin, sechsfache Torschützenkönigin der Bundesliga, weil die 96-fache Nationalspielerin nicht in einem Berufsfeld wie jedem anderen arbeitet, sondern in einem, das oft seinen eigenen, männergemachten Gesetzmäßigkeiten folgt: dem Fußball.
Inka Grings trainiert seit drei Monaten eine Männermannschaft. Die 40-Jährige übernahm im April den niederrheinischen Klub SV Straelen in der Regionalliga-West. Vierte Liga. Dass Frauen wie sie – oder auch Imke Wübbenhorst, die jüngst für einige Monate den Oberligisten BV Cloppenburg coachte – so hochklassige Männerteams betreuen, ist ein Novum im deutschen Fußball, entsprechenden Wirbel entfachten ihre Engagements.
Nur eine Trainerin in der Frauenfußball-Bundesliga
Grings selbst will das Gender-Thema gar nicht zu hoch zu hängen: “Das Wichtigste ist doch, wie man vor die Mannschaft tritt und nicht, ob das ein Mann oder eine Frau ist. Ich spreche mit meinem Team über Fußball und sonst nichts. Über alles andere mache ich mir keine Gedanken.”
Dabei ist es, auch im Jahr 2019, die große Ausnahme, wenn Frauen Männer trainieren. Wie man aktuell bei der Frauenfußball-WM sehen kann, ist es nicht einmal eine Selbstverständlichkeit, dass Trainerinnen bei Frauenteams an der Seitenlinie stehen: Von den 24 Nationalteams, die in Frankreich teilnehmen, werden 9 von Trainerinnen betreut, 15 von Trainern. Mehr noch: In der 1. Frauenfußball-Bundesliga war Verena Hagedorn bei Bayer Leverkusen und Carmen Roth von Werder Bremen in der abgelaufenen Saison die einzigen beiden Cheftrainerinnnen der zwölf Erstligisten. Werder ist abgestiegen, Hagedorn hat mittlerweile den Verein verlassen, in der kommenden Saison könnten also wieder ausschließlich Männer das Sagen haben.
Sucht man nach Gründen, warum Frauen gar nicht erst in den Männerbereich vordringen, so stellt man fest, dass sie auf den obersten Trainerstufen erst gar nicht ausgebildet werden. In den A-Lizenz-Lehrgängen des Deutschen-Fußballbundes (DFB), wo die meisten späteren Profitrainer die Schulbänke drücken, sitzt im Schnitt eine Frau zwischen den jährlich rund 25 Teilnehmern. Eine Quote gibt es nicht. Und insgesamt haben laut DFB überhaupt erst 95 Frauen die A-Lizenz erworben – im Gegensatz zu 4730 Männer. Der Frauenanteil bei den Alumni also: weniger als 2 Prozent. Bei den B-Lizenzen sieht es kaum besser aus, da sind es etwas mehr als 2 Prozent. Dabei sind heute 15 Prozent aller DFB-Mitglieder Mädchen und Frauen.
Gitta Axmann hat selbst eine Ausbildung zur Trainerin absolviert. 2009 belegte sie beim DFB einen Kurs und erwarb die B-Lizenz, die heutige Elite-Jugend-Lizenz. In dem Lehrgang war die ehemalige Regionalligaspielerin die einzige Frau unter vielen Männern – auch ein paar ehemalige Profifußballer waren dabei. “Die meisten haben zunächst überhaupt nicht mit mir gesprochen. Sie dachten, ich gehörte nicht dazu, ich sei vom Reinigungspersonal.” Und der Ausbilder habe bei einer praktischen Übung gesagt: “Die Frau da hinten, die kann das nicht”.
Andauernde männliche Hegemonie
Zehn Jahre später arbeitet Axmann als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sportsoziologie und Genderforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln. Schon seit fast dreißig Jahren beschäftigt sie sich mit dem Thema Gender und Sport. Die andauernde männliche Hegemonie im Sport und speziell im Fußball – die sich etwa im Umgang mit Imke Wübbenhorst gezeigt habe – sei der Hauptgrund dafür, dass Frauen im Trainerberuf unterrepräsentiert seien. Axmann erklärt, die Geschichtsschreibung des Sports sei männlich – das habe Auswirkungen bis heute: “Die Mythen, nach denen manche Sportarten wie der Fußball nichts für Frauen seien, sind schwer aus den Köpfen zu bekommen. So etwas dauert.”
Will eine Frau Übungsleiterin werde, sehe sie sich zunächst einer Männerdominanz und vielen “Old Boys”-Netzwerken gegenüber. “Frauen, die Trainerinnen werden wollen, haben es doppelt schwer. Sie werden ständig infrage gestellt, müssen immer etwas mehr vorweisen als die Männer”, sagt Axmann. “Denn nicht nur der Fußball gilt weiterhin als Männersache, auch der Trainerberuf ist Männersache. Leader zu sein ist männlich konnotiert – auch und gerade im Sport.”
Hits: 57