/Proteste gegen Auslieferungsgesetz: Stolzes Hongkong

Proteste gegen Auslieferungsgesetz: Stolzes Hongkong

China und die Demokratie, das passt nicht zusammen: Wie oft
haben wir das hören oder lesen müssen? Das Land sei einfach zu groß oder noch
nicht weit genug entwickelt; außerdem seien die Rechte des Einzelnen in China
nicht so wichtig wie im Westen, die Pflichten des Individuums der Gemeinschaft
gegenüber dafür umso wichtiger. Die Wirtschaft wachse auch ohne Demokratie, das
Land brauche Zeit, nichts sei so wichtig wie Stabilität, und dann könne man
immer noch sehen.

Gründe für die Rechtfertigung ihrer autoritären Herrschaft
hatten nicht nur die Machthaber in Peking immer parat. Auch die Vertreter
“asiatischer Werte”, wie Singapurs Staatsgründer Lee Kuan Yew, westliche
Wirtschaftsführer oder die Verfasser apologetischer Traktate waren immer
schnell mit Erklärungen zur Hand, warum das mit China und der Demokratie nicht
klappen kann.

Und dann marschieren im chinesischen Hongkong rund eine
Million Menschen in brütender Hitze durch die Schluchten der Metropole, um
gegen ein von der Regierung im Parlament eingebrachtes Auslieferungsgesetz zu
protestieren
. Fast alle sind in weiß gekleidet, weil das für sie die Farbe der
Gerechtigkeit ist und zugleich die Farbe der Trauer. Vollkommen friedlich und
sehr diszipliniert demonstrieren sie über Stunden; erst ganz zum Schluss, als
die Massen schon wieder nach Hause gegangen sind, liefern sich vor dem
Parlament ein paar Hundert Jugendliche Scharmützel mit der Polizei.

Es waren keine Krawallbrüder

Was für eine stolze Manifestation demokratischen
Selbstbewusstseins. In Hongkong ist sie möglich, weil sich die ehemalige
britische Kronkolonie, die seit 1997 wieder Teil Chinas ist, nach dem Prinzip
“Ein Land, zwei Systeme” ein gewisses Maß an Autonomie bewahrt hat. Weil es
hier noch immer Meinungs- und Versammlungsfreiheit gibt, die im Rest des Landes
nicht geduldet wird.

Aber Schritt für Schritt sind die bürgerlichen Rechte
eingeschränkt worden. Und nachdem die “Regenschirm-Revolution” 2014 mit der
Forderung nach einem neuen Wahlrecht gescheitert war, hat für viele Hongkonger
mit dem Widerstand gegen das Auslieferungsgesetz eine Art politisches Endspiel
begonnen. Von der 50 Jahre währenden Übergangszeit sind bereits 22 Jahre
verstrichen. Im Jahr 2047 wird Hongkong seinen Status als
Sonderverwaltungsregion verlieren. Dann ist es für Protest zu spät. Dies sei
“der letzte Kampf für Hongkong”, sagte der Anwalt und ehemalige Abgeordnete Martin Lee, seit Jahrzehnten ein unbeugsamer Streiter für die Freiheitsrechte.

Es waren ja keine Krawallbrüder, die am Sonntag auf die
Straße gingen. Es waren Geschäftsleute und Professoren, Studenten und Lehrer,
Künstler und Juristen, Familien mit Kind und Kegel. Es protestierte, wenn denn
die Angaben der Organisatoren stimmen, ein Siebtel aller Einwohner. Wenn das
nicht gelebte Demokratie ist!

Aber natürlich ist es auch Furcht. Die Menschen in Hongkong
spüren, wie der Druck aus Peking wächst. Deshalb kann die Stadtregierung dem Massenprotest auch nicht so einfach nachgeben. Immerhin verschob sie auf Grund neuer, heftiger Proteste die für den heutigen Mittwoch geplante zweite Lesung des Gesetzes.

Zwar beteuern die Verteidiger dieses Gesetzes, niemand werde
aus politischen Gründen an China ausgeliefert; es gehe vielmehr um gemeine
Kriminalität, um Mord und Vergewaltigung, um Betrug und Korruption. Aber die
Hongkonger haben in den vergangenen Jahren erlebt, wie kritische Buchhändler
und Verleger gekidnappt wurden und im chinesischen Gefängnissystem
verschwanden. Sie trauen weder dem Wort ihrer Regierung noch dem Wortlaut des
Gesetzes.

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