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Colson Whitehead: Jungs in der Hölle

Als
der ehemalige Polizist Jason Van Dyke Anfang des Jahres zu knapp sieben Jahren
Gefängnis verurteilt wurde, weil er 16 Schüsse auf
den Teenager Laquan McDonald abgegeben hatte, erinnerten Medien auf der ganzen
Welt an jene Mordtat, die zu monatelangen Massenprotesten geführt hatte. Der Polizist hatte keinen
gefährlichen Killer niedergestreckt, sondern einen unbescholtenen Jugendlichen,
einen Schwarzen, der etwas zu viel gekifft hatte, der infolge seines
Drogenkonsums offenbar orientierungslos auf einer viel befahrenen Straße
herumlief und der vor den brüllenden Uniformierten panisch flüchtete.

Van Dyke war nicht allein unterwegs, als er die erste Kugel auf sein Opfer
feuerte. Die Kollegen aber schossen nicht. Sie sahen in dem wankenden McDonald keine
Gefahr, die es mit Waffengewalt zu bannen galt. Nur Van Dyke schoss sein
Magazin leer. Gab 15 weitere Schüsse auf einen Körper ab, der leblos auf dem Boden lag. Die unfassbare Szene ist auf einem
Video zu sehen, das um die Welt ging und den blutigen Rassismus in den USA
wieder einmal dokumentierte, jenen irren Hass, der weit in die Geschichte der
Vereinigten Staaten zurückreicht.  

McDonald
war ein guter Schüler. Es hätte etwas aus ihm werden können, wenn er nicht
schwarz und zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen wäre. So wie Elwood Curtis, die Hauptfigur in Colson Whiteheads neuem Roman Die Nickel Boys. Auch
Elwood ist gut in der Schule und träumt von einem selbstbestimmten und
beruflich erfolgreichen Leben. Zu Weihnachten 1962 bekommt er von seiner
Großmutter eine Platte mit Reden seines Idols Martin Luther King geschenkt, und
mit den Leitsätzen des berühmten Predigers wird sich Elwood ein Leben lang beschäftigen.

Da seine Eltern sich aus dem Staub gemacht haben, wächst der Junge bei Oma Hattie
auf, die mit liebenswerter Strenge darüber wacht, dass der kluge und
aufrichtige Junge keinen schlechten Umgang hat. Sie weiß nur zu gut, dass die
Rassentrennung zwar offiziell aufgehoben ist, der Rassismus der Weißen den
schwarzen Alltag aber weiterhin mühsam macht. “Jim Crow verschwindet nicht
einfach so”, sagt die Großmutter. Jim, die Krähe, war im 19. Jahrhundert eine
von Weißen entwickelte stereotype Bühnenfigur, die den singenden und tanzenden
Schwarzen darstellte, einen trickreichen Schwindler und Dieb. Später wurde aus
der rassistischen Folklore ein kritisch verwendetes Synonym für alle Gesetze
und ungeschriebenen Regeln der Weißen, die darauf abzielen, schwarze Mitbürger
zu diskriminieren.

Kaltblütig und kriminell

Für
Elwood ist der düstere Jim Crow eine Figur, die im Leben der Großmutter eine traurige
Rolle gespielt hat und nun bald von der Bühne abtreten soll. Optimistisch
blickt das Südstaatenkind in die Zukunft, selbst wenn er in seinen Schulbüchern
ekelhafte Sprüche wie “Krepier, Nigger! Du stinkst. Friss Scheiße” zu lesen
bekommt. Nicht alle Weißen sind Rassisten, weiß Elwood, immerhin bekommt er von
ihnen regelmäßig gute Aushilfsjobs angeboten, so auch von Mr. Marconi, dem freundlichen
Besitzer eines Tabakladens. Außerdem helfen ihm die pastoralen Mahnungen von
Dr. King, der den rassistischen Hass mit christlicher Nächstenliebe besiegen
will.

Doch dann wird das Schicksal des Jungen durch einen Zufall besiegelt, so
könnte man jedenfalls meinen, in Wahrheit aber sind es die alten Machtstrukturen
und immer noch wirkmächtigen Ressentiments, die Elwoods Leben zerstören. Auf
dem Weg zum College wird er von Rodney in einem Plymouth mitgenommen, er setzt
sich in den – was der Junge natürlich nicht weiß – geklauten Wagen, nach dem
die Polizei sucht und den sie just an diesem Nachmittag auch finden wird.

Es
hilft Elwood nicht, seine Unschuld zu beteuern, er wird wegen Autodiebstahls
verurteilt und in eine sogenannte Besserungsanstalt geschickt, die sich
außerhalb seiner Heimatstadt Tallahassee befindet, irgendwo im sumpfigen
Niemandsland von Florida. Dort herrscht ein sadistischer Oberaufseher namens
Maynard Spencer, der die Neuankömmlinge unmissverständlich begrüßt: “Wenn man
hier landet, dann deshalb, weil man nicht weiß, wie man sich anderen Menschen
gegenüber anständig benimmt.” Dabei wissen in dieser Anstalt vor allem die
Angestellten nicht, wie sich anständige Menschen zu benehmen haben. Kaltblütig
und kriminell sind Leute wie Spencer, eigentlich gehörten sie bestraft und weggesperrt.
In einem eigens für die Prügelstrafe eingerichteten Ort, dem berüchtigten
Weißen Haus, schlagen die brutalen Aufseher die ungezogenen Kinder grün und
blau. Wer besonders renitent ist, wird auf schlimmste Weise gefoltert, ermordet
und im anstaltseigenen Friedhof verscharrt.

Es geht also darum, irgendwie
durchzuhalten und zu überleben, mit der Volljährigkeit endet die Tortur
zumindest in diesem Lager. Die Kinder aber spüren, dass nach solchen
körperlichen Qualen die seelischen Verletzungen niemals verheilen werden, und
so setzen nicht wenige alles daran, auszubrechen, was
in der Einöde so gut wie unmöglich ist.

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