/Fleischwirtschaft: Das ist doch nicht im Sinne der Kuh

Fleischwirtschaft: Das ist doch nicht im Sinne der Kuh

“Du bist böse”, sagt Birgit König zu der Frau mit dem roten Tuch um den Kopf, die in der Schlange wartet. “Ich weiß doch, dass du gerade schon mal da warst!” Ein Mann, der an der Eingangstür lehnt, lacht in sich hinein: “Ja, die Frau hat gerade draußen ihr Kopftuch gewechselt. Vorher war es blau.” Viel zu kaufen gibt es aber sowieso nicht mehr in der Fleischerei, in der Birgit König an der Bedientheke steht. Die Auslage ist fast leer. Auf den Metalltabletts glänzt das Fett. Nur links in der Ecke liegen noch ein paar einsame Schweineschwarten und dunkle Dekotrauben aus Plastik.

In der von Familie König betriebenen Fleischerei war die Nachfrage schon immer größer als das Angebot, denn nirgends ist es so billig wie hier in Beelitz, südwestlich von Berlin. Ein Kilo gemischtes Hackfleisch kostet im Supermarkt knapp fünf Euro, bei Aldi Süd auch mal nur 3,69 Euro, und seit Jahren wird in Deutschland darüber geklagt, dass Fleisch generell zu billig verkauft werde. Königs nehmen für ein Kilo Rindfleisch, mager oder durchwachsen, um die vier Euro, das ist ein Drittel der üblichen Supermarktpreise und erklärt den Andrang. Er wird mit festen Zuteilungsregeln kanalisiert, an die man sich besser hält.

Jeder Kundin und jedem Kunden wird nur eine bestimmte Menge Fleisch zugestanden, nach dem Prinzip der Planwirtschaft, mit Wartemarken auf Pappkarton. Zwischen vier und fünf Tonnen Fleisch sind hier in guten Zeiten jeden Donnerstag über die Theke gegangen, dem einzigen Tag in der Woche, an dem geöffnet ist. Durchschnittlich kommen zwischen 100 und 120 Kunden, das heißt umgerechnet, dass jeder mit ungefähr 40 Kilogramm Fleisch nach Hause geht, einem Vorrat, der für Wochen reicht und oft mit Einkaufstrolleys abtransportiert wird.

Mehr ist nicht drin, auch nicht für die, die große Partys planen. Diejenigen, die Birgit König nicht gut kennen, haben immer mal wieder versucht, die Regeln zu umgehen. Keine Chance. Die Frau mit dem roten Kopftuch verlässt den Laden, ohne ein zweites Mal einkaufen zu dürfen. Wenn Birgit König sagt, es gibt nichts mehr, dann gibt es auch nichts mehr. Jetzt verscheucht sie die übrig gebliebenen Kunden: An diesem Donnerstag im Mai tritt ein, was auf einem Plakat an der Wand steht: “Achtung! Achtung! Achtung! Wir schließen für immer.”

Birgit König und Robert König, ihr Sohn, im leeren Verkaufsraum. Nach zwei Stunden war alles weg am letzten Öffnungstag der Fleischerei König.
© Lena Fiedler für ZEITmagazin Online

Die Fleischerei König ist eine der letzten ihrer Art in der Region Berlin-Brandenburg. Früher hießen sie Freibanken, heute nennt sie der Gesetzgeber “besondere Abgabestellen von Fleisch aus Isolierschlachtbetrieben für Krankschlachtungen”. Das Fleisch in diesen Läden kann sehr günstig verkauft werden, weil es von Unfalltieren stammt. Das sind nicht auf der Straße angefahrene Tiere, sondern solche, die sich in den Betrieben verletzt haben. Die Lebensmittelaufsichtsbehörde unterscheidet zwischen verunfallten und kranken Tieren. Letztere dürfen in Deutschland nicht geschlachtet werden. Wenn das Tier sich zum Beispiel ein Bein gebrochen hat und aus eigener Kraft nicht den Weg zum Transporter schafft, darf es vom Bauern notverkauft werden. Zum Beispiel an die Fleischerei König, die auch ein Schlachtbetrieb ist.

Das Prinzip Freibank steht für eine Zeit des Mangels in Deutschland, als es darum ging, möglichst alles vom Tier – auch den Schweinsfuß, der kam in den Eintopf – aufzuessen. Letzteres wird heute wieder modern, im Zuge der Nose-to-Tail-Bewegung, die allerdings nicht zur Komplettverwertung günstigen Fleisches aufruft, sondern sich gegen die industrielle Tierproduktion stellt und achtsamen Verzehr fordert. Die Fleischerei König steckt ideologisch irgendwo zwischen billig und nachhaltig und ist vielleicht sogar der erste moralisch vertretbare Geiz-ist-geil-Laden gewesen. Denn wenn nur das Fleisch von Unfalltieren verwendet wird, ist das doch an sich eine gute Sache? Und kein Grund für diejenigen, die 600 Euro für ein Kilo Kobe-Rind ausgeben können, sich ethisch auf der sicheren Seite zu sehen? Beim Konsumverhalten fängt der Streit erst richtig an.

Hits: 116