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Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf: Widerstand wider Willen

Ein
unscheinbares Schild, auf dem “Franziskusmarterl” steht, zeigt am Straßenrand
in den Wald. Hans Schuierer setzt den Blinker und biegt ab. Während seiner
Amtszeit als Landrat war er Mitte der Achtzigerjahre maßgeblich daran beteiligt,
die Errichtung einer Wiederaufbereitungsanlage für atomaren Sondermüll in
Wackersdorf zu verhindern. Nach vier Jahren Bauzeit wurde das Projekt am 31. Mai 1989 abgebrochen. Die Proteste der Atomkraftgegner und Anwohner waren erfolgreich.

Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf: Michaela Maria Müller, geboren 1974 in Dachau. Sie arbeitet als Journalistin und Autorin in Berlin und schreibt über Migration, Menschenrechte und Ostafrika. Sie ist Gastautorin von "10 nach 8".

Michaela Maria Müller, geboren 1974 in Dachau. Sie arbeitet als Journalistin und Autorin in Berlin und schreibt über Migration, Menschenrechte und Ostafrika. Sie ist Gastautorin von “10 nach 8”.
© Christian Kielmann

Heute ist Hans Schuierer 88 Jahre alt. Im Taxöldener Forst, wo sich damals die Szenen des Widerstands abspielten, hat er als Kind schon Blaubeeren und Pilze gesammelt. Der Wald liegt ihm am Herzen. Wir
fahren tiefer und tiefer hinein, die asphaltierte Straße wird
zum Wirtschaftsweg. Am
Rande einer Lichtung halten wir und steigen aus. Und ja, immer noch bedecken
Blaubeersträucher den Boden, sie tragen Mitte April schon kleine Früchte. Das
“Marterl”, wie die Einheimischen es kurz nennen, ist ein Erinnerungsort an den
Widerstand, der von ganz unterschiedlichen Menschen aus der Bevölkerung
getragen wurde: vom Pfarrer über den Landwirt, von der Hausfrau zur
Museumsleiterin.

Mitte der Achtzigerjahre fand hier jeden
Sonntagnachmittag eine ökumenische Andacht statt, zu der sich
regelmäßig Hunderte Menschen einfanden. Künstlerinnen stifteten Werke, die
sich auf der Lichtung im Halbkreis aneinanderreihen: ein meterhoher Männerkörper,
geschnitzt aus einem Baumstamm, ein im Waldboden eingelassenes Mosaik auf dem
“WAA nein” zu lesen ist und eine weiß getünchte Kapelle, die an den Stifter des
Ortes und die Menschen erinnert, die bei den Protesten ums Leben gekommen
sind. Über allem thront ein Christus am Kreuz.

Inzwischen wirkt alles ein wenig in die Jahre gekommen. Und liegt das Marterl nicht etwas
versteckt? “Wir mussten zwei Jahre warten, bis uns das Straßenbauamt erlaubt
hat, überhaupt ein Schild am Straßenrand aufzustellen.” Die Erinnerung an den
Widerstand scheint mancherorts immer noch nicht erwünscht zu sein.

Als
Schuierer sein Amt als Landrat in den Siebzigerjahren antrat, war der
Landkreis Schwandorf alles andere als wohlhabend. Die Braunkohleförderung war
eingestellt worden, das Stahlwerk Maxhütte-Haidhof stand vor dem Konkurs.
Größere Industriebetriebe neu anzusiedeln gelang nicht. Mehr als 20 Prozent
der Bevölkerung waren ohne Arbeit, nirgends in der Bundesrepublik gab es eine
höhere Arbeitslosigkeit.

Auch er
sei anfangs für den Bau und die Atomkraft gewesen, wie viele in der SPD damals,
gibt Schuierer zu. Und das Versprechen, 3.600 neue Arbeitsplätze in der Region
zu schaffen, klang wie die Lösung aller Probleme. Die Vertreter der künftigen
Betreibergesellschaft DWK schilderten die Zukunft in den schillerndsten Farben
und betonten, dass es sich um eine sichere und saubere Technologie handele, die
bei der Wiederaufbereitung der Brennelemente zum Einsatz käme. Schuierer habe ihnen geglaubt – bis ihm die Baupläne vorgelegt wurden. 

Als er sie studierte, sei der gelernte Maurer und Bautechniker stutzig geworden: Es war darin ein 200
Meter hoher Kamin eingezeichnet. Als er nachfragte, habe der
Vorstandsvorsitzende eingeräumt, dass dieser nötig sei, damit die radioaktiven
Schadstoffe möglichst breit verteilt würden. “In dem Moment habe ich gemerkt,
dass sie nicht mit der Wahrheit gearbeitet haben. Sie hatten immer von sauberen
Arbeitsplätzen gesprochen und garantiert, dass es keine Umweltverschmutzung
geben würde”, erinnert er sich. Man
habe versucht, ihn umzustimmen. Vergebens.  

Wir
verlassen das Franziskusmarterl, fahren zurück auf die Straße, vorbei an einem
lang gestreckten, ziegelroten Gebäude mit grünem Dach, das wie ein Bunker
aussieht. “Das sollte das
Brennelemente-Eingangslager werden”, sagt Schuierer. “Es hat einen eigenen Gleisanschluss, ist
gegen Flugzeugabstürze und Erdbeben gesichert. Die Mauerdecke ist 1,5 Meter
dick.”

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