Die beiden jungen Männer haben sich auf der Durchreise
kennengelernt, auf einem Parkplatz in Marokko. Der eine ist gerade 18 geworden,
der andere kurz davor. Der eine ist ein Sprössling
aus betuchtem britischen Hause und sitzt auf dem Dach eines luxuriösen Campingwagens,
den er gerade seinem Stiefvater entwendet hat. Der andere hat sich aus dem
Kongo hierher durchgeschlagen, um über
die Flüchtlingspassage
nach Europa zu kommen und in Frankreich seinen verschollenen Bruder zu suchen.
Gyllen (Fionn Whitehead) flieht vor seiner Familie, die in Marokko Urlaub
macht, weil er die ständigen
Stimmungswechsel seiner Mutter nicht mehr ertragen kann, ebenso wenig wie das
autoritäre
Gehabe seines Stiefvaters. Generell leidet er unter jener Unzufriedenheit mit
der Gesamtsituation, die man in der Adoleszenzphase durchlebt. Im Gegensatz zu
ihm liebt William (Stéphane Bak) seine Familie. Er möchte
sie wieder zusammenbringen, weil er unter der Abwesenheit seines Bruders leidet
und darunter, dass seine Mutter über
der Sehnsucht nach ihrem verlorenen Sohn verzweifelt. Für adoleszente Unzufriedenheit hat
William keine Zeit, dazu sind die Bedingungen seines Lebens zu herausfordernd
und hart.
Zwei ungleiche junge Männer
begegnen einander unter unwahrscheinlichen Umständen
an einem zufälligen
Ort; selbstverständlich
entwickelt sich daraus im Verlauf der nun folgenden Reise eine Freundschaft.
Gyllen gelingt es, William in seinem Campingbus nach Spanien zu schmuggeln – unter unfreiwilliger
Mithilfe eines von Moritz Bleibtreu beklagenswart knallchargenhaft gespielten
Althippies. Von Algeciras aus reisen die beiden immer weiter nach Norden, und
immer weiter schwindet dabei auch die Fremdheit zwischen ihnen, weil sie bald
spüren, dass
junge Männer über alle Grenzen der
Kulturen und des Schicksals hinweg mehr verbindet, als der erste Anschein
behauptet. Der gemeinsame Konsum von Marihuana spielt dabei eine nicht
unerhebliche Rolle.
Tagespolitisches Ornament
In seinem neuen Film Roads folgt Sebastian Schipper treu den Vorgaben des Genrekinos. Die erzählerischen Standards des Buddy-Movie und
des Road-Movie versucht er dadurch zu variieren, dass er sie mit dem
tagespolitischen Ornament der sogenannten Flüchtlingskrise
versieht.
Sebastian Schipper ist ein interessanter Regisseur, von
dem man etwas erwartet. Sein voriger Film Victoria aus
dem Jahr 2015 war eine ästhetische
Kraftanstrengung, ein schnelles, klares, zugleich wirbelndes Werk, in einer
einzigen Plansequenz gedreht, getragen von einem Ensemble, das atemlos durch
die Nacht und durch einen hakenschlagenden Plot hetzen musste und dabei seinen
Figuren doch binnen Kurzem eine erstaunliche Tiefe zu verleihen verstand. Roads ist in wesentlichen
Teilen ein Gegenentwurf. Der Film ist langsam, oft träge; er konzentriert sich auf seine
Hauptfiguren und degradiert alle anderen Charaktere zu flachen
Nebenerscheinungen. Er nimmt sich umso mehr Zeit, um das Verhältnis zwischen seinen
Helden zu erkunden. Dabei gelingt ihm verblüffend
wenig. Die Geschwindigkeit von Victoria
und die vektorielle Präzision
seiner Bewegungsbilder hat Schipper in Roads durch eine Ästhetik ersetzt, die ganz auf die Kraft
der Kadrierung setzt, auf bildliche Kompositionen, die sich symbolisch erhöht wiederholen. Die
filmische Statik, die dadurch entsteht, verträgt
sich aber nicht mit den erzählerischen
Erfordernissen der Reisegeschichte. Von der ersten Einstellung an hat man beim
Betrachten den Eindruck, dass man hier einer sich zwangsläufig abspulenden
Entwicklung beiwohnt.
Dieser Eindruck der Vorhersehbarkeit wird durch das
statische Verhältnis
zwischen den Helden verstärkt.
An keiner Stelle gibt es einen echten Konflikt zwischen Gyllen und William,
niemals prallen sie aufeinander in ihren unterschiedlichen kulturellen und
biografischen Prägungen.
Auch begegnen ihnen keine anderen Menschen, über
die sie unterschiedlicher Ansicht sein könnten,
die sie entzweiten oder wieder
zusammenbrächten
– weder Gyllens
ungenießbarer
leiblicher Vater (Ben Chaplin), den sie kurz in seinem Anwesen in Frankreich
besuchen, noch Williams abtrünniger
Bruder (Josué Ndofusu),
den sie schließlich
in einem Flüchtlingslager
finden. Wenn es Konflikte gibt, die hier eine Rolle spielen, dann sind es
Familienkonflikte, die jenseits der gezeigten Handlung stattgefunden haben, in
den Vorgeschichten der Helden. Entsprechend müssen
sie – auch das
so ein Genrestandard –
durch nächtliche
Gespräche
zwischen den beiden in den Film hineingetragen werden. Gyllens persönliches Trauma ist so
uninteressant und ausgedacht, dass es kaum lohnt, es zu erwähnen; Williams
individuelle und familiäre
Biografie bleibt so weit im Dunkeln, dass man kaum versteht, warum sein Bruder überhaupt fliehen und
er ihm mithin folgen musste.
Eine starke Passage gibt es in diesem Film, als Gyllen
und William auf ihrer Reise immer weiter in den Norden Frankreichs gelangen und
dort in die Welt der Flüchtlingslager
hinein, in der Tausende und Abertausende von jungen afrikanischen und
arabischen Männern
einer ungewissen Zukunft entgegenblicken: junge Männer,
die ähnliche Geschichten haben wie William – oder auch nicht; das
erfährt man
nicht, denn man lernt keinen von ihnen näher
kennen. Immerhin wird die Kategorie des individuellen Schicksals, die der
Genrestandard des Buddy-Movie romantisiert, hier einer erdrückenden Vielzahl von ähnlichen Schicksalen
entgegengesetzt, an denen die Besonderheit des Individuellen zerschellt. Daraus
könnte sich eine
interessante Wendung ergeben –
wenn es denn nicht nur William wäre,
der diese Erfahrung erleiden muss. Sein Gegenpart Gyllen bleibt davon nämlich
unberührt. Er
erhält hier
lediglich Gelegenheit, seine adoleszenten Zweifel am Sinn des Daseins mit der
sinnstiftenden Tätigkeit
eines ehrenamtlichen Flüchtlingshelfers
bis auf Weiteres zu befrieden.
Sebastian Schipper möchte
das Allgemeinmenschliche mit dem politisch Konkreten verschränken, er möchte das romantische
Gefühl der
Unbehaustheit in der Welt mit einer Welt konfrontieren, die – nicht nur jungen – Menschen die
Behausung bar jeder Romantik entzieht: ganz brutal. Als Kitt für diese Verschränkung steht ihm aber
nur der filmische Ton der Melancholie zur Verfügung.
Seinem Film fehlt die von den Umständen
gebotene Härte,
er ist bar jeder Irritationen, er mutet seinen Betrachterinnen und seinen
Betrachtern keine Verunsicherung ihrer eigenen Perspektiven zu. So suppen die
Bilder in Roads zu
einer zähen
Masse erzählerischer
Unweigerlichkeit ineinander: Man verlässt
diesen Film mit geringer Empathie und Erkenntnis, und bestenfalls mittlerer
Laune.
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