Wer eine schöne Kulisse möchte, wer Heimat vermitteln will, der stellt
sich in die Natur. Alexander Van der Bellen hat das im Präsidentschaftswahlkampf gemacht, als
er keine Bergtour ausließ. Auch Sebastian Kurz zeigt sich gern vor einer Bergkulisse oder am
Waldrand. Und Rechtspopulisten können gar nicht genug von vermeintlich unberührter Landschaft
bekommen. Die Österreicher, das zeigen Umfragen, lieben ihre Landschaft. Sie sind stolz auf
Berge und Flüsse, auf Täler und saftige Wiesen. Für die eigene Identität scheint die Natur
unverzichtbar zu sein. Und bei der Entstehung des ohnehin recht komplizierten österreichischen
Nationalbewusstseins spielte sie eine besondere Rolle.
Der Historiker Ernst Hanisch, der zuletzt eine große Biografie über Otto Bauer vorgelegt hat, ist ausgezogen und hat sich angesehen, wie die unterschiedlichen Landschaften des Landes die Identität Österreichs geprägt haben. Entstanden ist ein gut lesbares, 400 Seiten dickes Buch (Landschaft und Identität, Böhlau Verlag), das die jüngere Geschichte Österreichs mit der Natur verknüpft. Stets bleibt der Autor anschaulich und verliert sich nicht in das Abstrakte.
Wer sich über die Wahrnehmungen von Landschaften Gedanken macht, muss sich im Klaren darüber sein, dass sie bei jedem Menschen unterschiedliche Emotionen auslösen. Hanisch nimmt sich viel Platz dafür, beschreibt, wie ein Berg für den einen ein Sehnsuchtsort sein kann und bei einem anderen ängstliche Bedrücktheit auslöst. Für manche sind die Alpen ein Sinnbild für Freiheit, für andere die Erinnerung an Kriege. Sie können aber auch ein Konstrukt des Nationalismus sein – so wie Natur überhaupt. Gerade in der Monarchie musste sie dafür herhalten. So wie Robert Musil über das Habsburgerreich schreibt: “Gletscher und Meer, Karst und böhmische Kornfelder gab es dort, Nächte an der Adria, zirpend von Grillenunruhe, und slowakische Dörfer, wo der Rauch aus den Kaminen wie aus aufgestülpten Nasenlöchern stieg.”
Das Gebirgsmassiv der Alpen hat seit Jahrhunderten einen besonderen Stellenwert in allen Österreicherzählungen. Albrecht von Haller beschrieb sie 1732 in dem Gedicht
Die Alpen
als Hort der Freiheit, als Raum ursprünglicher Menschlichkeit und setzte damit den Ton für alles, was nach ihm kam. Bis ins 20. Jahrhundert durchzog dieses “romantische Gefühl der Erhabenheit” die Alpenliteratur.
Es dauerte nicht lange, bis dieses Gefühl politisch benutzt wurde. Kronprinz Rudolf gab von 1895 an das Prachtwerk
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
heraus. Die 24 Bände des sogenannten Kronprinzenwerks sollten den Pluralismus der Kronländer hervorheben und einen Patriotismus betonen, der sich auf die Krone bezog. Den Band über Wien verantwortete Rudolf selbst, beschrieb das “gottgesegnete Stück Erde”, den “Mittel- und Ausgangspunkt abendländischer Cultur für weite Gebiete” und natürlich die “mächtige Donau”.
Doch von alldem blieb nach dem Ersten Weltkrieg wenig übrig. Rasch musste der verbliebene Rest des Landes positioniert werden, als Traumziel für den Fremdenverkehr.
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