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Sleeperoo: Schlaf im Angebot

Ein paar wenige Konstanten gibt es ja doch im Leben, und zu ihnen gehört
der Schlaf. Hier wird sich so schnell nichts ändern: Wer zu wenig schläft, geht ein. Wer zu
lange wach ist, der wird aggressiv, depressiv, dick, dumm oder krank und ab einem gewissen
Punkt schlichtweg wahnsinnig, schönen Gruß an alle Kleinkindeltern an dieser Stelle.

Allen, die wider Erwarten aber bestens ausgeschlafen sein sollten und die nachts noch auf der Suche nach Beschäftigung sind, seien hiermit die Alpakas ans Herz gelegt. Diese putzigen Tiere weiden normalerweise in den südamerikanischen Anden, stehen aber jetzt auch in Lasbek in Schleswig-Holstein herum, als Teil eines einzigartigen “Übernachtungswunders”. So preist es Sleeperoo an, ein Online-Dienst, bei dem man sich für eine Nacht in einen Schlafwürfel einmieten kann.

Die sogenannten Cubes, quadratische Zelte in weiß-grauer Apple-Optik, sind zu allen Seiten hin offen und können überall in der freien Natur aufgestellt werden. Am Strand oder im Schwarzwald, auf der Kuhweide oder eben im Alpaka-Streichelpark. “Einfach mal raus!”, wirbt die Firma Sleeperoo und verspricht “viele kleine Momente des Staunens”, kurz: ein Übernachten “mitten im Wow”.

Rammte man früher Heringe ins Gras und haute sich im Einmannzelt auf die feuchte Isomatte, ist das Draußenschlafen momentan dabei, zum ultimativen Outdoor-Event stilisiert zu werden. Gab es in der Vergangenheit zwar vereinzelt Aktionen wie etwa die des Pariser Museums Palais de Tokyo, das Besucher auf seinem Dach übernachten ließ, oder den kleinen Buchladen in Buxtehude, in dem man alleine bis zum Morgengrauen lesen durfte, mehren sich nun kommerzielle Angebote, die das Übernachten als ultimatives Abenteuer verkaufen, sei es im Hamburger Hafenkran oder im zum Bett ausgebauten Strandkorb.

Anders als die futuristischen Schlafkapseln, die es seit einiger Zeit an Flughäfen gibt, oder taucherhelmartige Power-Nap-Kissen wollen Dienste wie Sleeperoo den Schlaf nicht effizienter machen. Zwar sind auch sie mobil, doch es geht um Entschleunigung, um das Erleben von Natur, das Überwältigtwerden durch Bäume, Sterne und Tiere. Eine gegen Geld zu erwerbende Wiederannäherung an die Ursprünglichkeit, als man sich zum Schlafen nicht in Backsteine einmauerte, sondern in Höhlen oder unter Felsvorsprünge kroch. Die Übernachtungsinnovationen verheißen Anti-Entfremdung durch radikalen Minimalismus: Fürs Glück reicht der Sternenhimmel. Hier braucht der Mensch kein Reisegepäck, wenn schon kein Leben ohne zivilisatorischen Ballast, dann wenigstens eine Nacht. Doch wie frei ist das wirklich? Und seit wann braucht es, um draußen zu übernachten, mehr als Schlafsack und Thermoskanne?

Beim genaueren Hinsehen entpuppen sich die neuen Schlaferlebnisse als Teil ebenjener Entfremdung, der sie entgegenwirken wollen. Mit hochwertigen Sojaölkernmatratzen, energiesparenden LED-Leuchten und einer bereitstehenden “Chillbox”, in der Biosnacks auf den Besucher warten, ist die vermeintlich so pure Naturerfahrung von Sleeperoo eine ziemlich durchorchestrierte Wellnessveranstaltung. Übernachtet wird an kuratierten “Kulturspots”, alles Abenteuerliche wird kalkuliert. Von Regen, Mücken oder Windböen überrascht zu werden ist durch ein perfektes Rollosystem unwahrscheinlich, und die Alpakas werden sicher nicht die Socken im Vorzelt anknabbern, sondern kontrolliert draußen auf der Wiese stehen und aufs Fotografiertwerden warten. Nicht zufällig erinnern die Wände des Schlafwürfels an überdimensionierte zusammengesetzte iPhones und ihr Stoff an Airbags. Es ist die Hülle des Menschengemachten, die in jeder Sekunde schützend zwischen der Natur und dem Menschen steht, ganz wie die obligatorische Handylinse vor dem Sonnenuntergang.

Vermutlich geht es einfach nicht mehr anders, wenn sich der durch und durch technologisierte Mensch heute in die Wildnis wagt. Zumal nicht beim Schlaf, diesem so archaischen Zustand, der Gesichtszüge entgleisen lässt und ein unheimliches, absurdes Spiel von Träumen und Fantasien lostritt. Ein unkontrollierbarer Naturzustand in der unkontrollierbaren Natur, es wäre einfach zu viel. Dann doch lieber die durchgestylte Nacht, ein garantiert sicheres Übernachten, mitten im Wow des Streichelzoos.

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