Atemlos hetzt der Mann durch die Straßenschluchten von New York, er wird mit Kugeln, Messern, Macheten und Fäusten malträtiert, in Halbweltkneipen
und mondänen Hotelzimmern in jeder nur erdenklichen Weise durch die Mangel gedreht.
John Wick, gespielt von Keanu Reeves, ist der Schmerzensmann des modernen
Blockbuster-Kinos. Irgendwann bekommt man wirklich Mitleid mit diesem Typ,
dessen Gesicht und Körper mit unzähligen Schrammen und Wundmalen übersät sind,
der elegante Anzug zerschlissen, die strähnig langen Haare von Schweiß und Blut
verklebt, und man fragt sich, wie lange er sich das noch antun will. Mit
solchen Fragen kann der Schauspieler Keanu Reeves nicht viel anfangen: “Die
Frage würde ich umdrehen, und sagen, das ist die Story. Mir geht es immer
darum, eine Geschichte zu erzählen.”
Aber von Geschichte kann hier eigentlich kaum die Rede sein.
John Wick 3 – Parabellum setzt unmittelbar
nach dem Ende letzten Films ein, als der Auftragsmörder Wick die eherne Regel
des Hotels Continental verletzt und dort einen Menschen getötet hat. Geführt
wird die luxuriöse New Yorker Gangster-Absteige vom Hotelmanager Winston, dem
der Ire Ian McShane eine ähnlich coole Autorität verleiht wie in seiner Rolle als
Mr Wednesday in American Gods. Durch seinen
Regelverstoß ist Wick zum Abschuss freigegeben, ein Kopfgeld von 14 Millionen US-Dollar
ist auf ihn ausgesetzt. Ein Mann allein gegen die ganze Welt, denn jeder, der
ihm hilft, muss mit sofortiger Hinrichtung rechnen. Also kann John Wick nur
noch rennen und rasen, um sich schießen und schlagen.
Die Reihe erschöpft
sich in der reinen Dynamik von Flucht und Verfolgung. Inszeniert wurden die
John Wick-Filme von dem ehemaligen Stuntman Chad Stahelski, der unter anderem in den Matrix-Filmen
und in Constantine das Stunt-Double
von Keanu Reeves war, und Martial Art Stunt Coordinator in Matrix Revolutions und Matrix
Reloaded. Die Vermutung liegt nahe, dass Keanu Reeves, der gerne schnelle
Motorräder fährt und ein Faible für Martial Arts hat, auf solche Rollen
besonders leicht anspringt, aber beim Gespräch im Berliner Hotel winkt er lachend
ab: “Nein, ich lege es nicht darauf an, immer schnell voranzukommen. Was
diese Projekte in meinen Augen verbindet, ist die Vision von Regisseuren,
Action und Story wirklich organisch miteinander verzahnen. Mit meinem Tempo ziehe
ich die Zuschauer mit.”
Nun, was den John Wick-Filmen
an Geschichte fehlt, machen sie mit Schauwerten wett, mit der Dynamik zwischen charismatischen
Schauspielern wie Lawrence Fishburne, Lance Reddick, Ian Mc Shane, Asia Kate Dillon und Angelica Huston. Und natürlich mit spektakulär stimmungsvollen
Schauplätzen: archaischen Waffenkammern und gläsernen Labyrinthen, die sich
horizontal und vertikal fortsetzen, die Ballettbühne eines barocken Theaters
und allen voran das luxuriöse Continental-Hotel
mit all seinen Spiegeln und Lüstern, Täfelungen und Teppichen, die sich
malerisch zerlegen lassen. In seiner kunstvollen Stilisierung und der absurden
Übersteigerung balanciert der Film auf einem schmalen Grat zwischen hypermodernem
Comic und klassischem Erzählkino.
Keanu Reeves hat
bereits angekündigt, dass er die Geschichte von John Wick gerne weitererzählen
würde, und wenn man ihn fragt, wie lange er sich denn noch so durch die Gegend
hetzen lassen will, wehrt er ab, das müsse das Publikum entscheiden. Es ist schwer, an ihn heranzukommen, zu
erfahren, was ihn persönlich an der Figur reizt. “Mir gefällt diese künstliche,
überhöhte Welt von John Wick”, sagt er schließlich, “der Ehrenkodex in der Welt
der Auftragskiller im Continental Hotel und im Kontrast dazu die reale Welt.
Ich liebe all diese Regeln und die Konsequenzen, die auf ihre Übertretung
folgen, ein System, das auf Treue und Ehre basiert. Und ich liebe die Komik und
das Herz.”
Ein Mann mit gebrochenem Herzen
Geboren wurde
Keanu Reeves im Herbst 1964 in Beirut, sein hawaiianischer Vorname bedeutet
“kühle Brise über den Bergen”. Die englische Mutter war Kostümbildnerin, der
leibliche Vater ein Geologe mit hawaiianischem Pass und britischen,
portugiesischen und chinesischen Wurzeln. Der Vater wird straffällig, nach der
Trennung der Eltern zieht Reeves mit seiner Mutter erst nach New York und
später nach Kanada. Wechselnde Stiefväter aus dem Theater-, Film- und
Rockgeschäft hinterlassen Eindrücke, auf der High School interessiert er sich
vor allem für Eishockey und Theater und verkündet schon mit 15, dass er
Schauspieler werden will. Er belegt Theaterkurse, schreibt sich auf einer
Schauspielschule ein, hat mit 16 bereits einen Agenten: “Damals spielte
ich Mercutio in Shakespeares Romeo und
Julia, im jüdischen Gemeindehaus. Das war der entscheidende Zündfunke.”
Auf Fotos versteckt
sich der Schauspieler gerne hinter seinen langen Haaren und dem Bart und
kultiviert das Enigmatische. Dieser Nimbus umgab ihn schon in seinem ersten
wichtigen Film River’s Edge von Tim Hunter, der gerade in der luxuriösen Ausstattung eines Media Books neu
erschienen ist. River’s Edge
fiktionalisiert die reale Geschichte des Mordes an einer Schülerin und zeigt, wie
abgestumpft und teilnahmslos deren Schulkameraden und Freunde darauf reagieren,
weil sie in ihren zerrütteten Familien nie Fürsorge und Liebe erlebt haben. Unter
diesen verlorenen Teenagern ist Reeves Charakter Matt noch der einfühlsamste
und warmherzigste. Das gilt im Grunde auch für seinen Auftragskiller John Wick,
der trotz des absurd hohen Bodycounts eben keine seelenlose Killermaschine ist,
sondern ein Mann mit gebrochenem Herzen.
Dieses Unnahbare, Entrückte verkörperte er auch in seiner
Rolle als Alien Klaatu im Remake von Der
Tag, an dem die Erde stillstand, als indischer Prinz Siddhartha, der in Little Buddha auf der spirituellen Suche
nach den großen Lebensfragen zum Buddhismus findet, als Menschheitsretter Neo
in Matrix, als übersinnlich
arbeitender Detektiv in Constantine und
in der Romanze Das Haus am See als
Mann, der über die Grenzen von Zeit und Raum hinweg kommunizieren kann. Reeves
besondere Aura hat viele Regisseure und Regisseurinnen angezogen, unter anderem
Bernardo Bertolucci, Kenneth Branagh, Kathryn Bigelow, die Wachowskis, Sam Raimi und Richard Linklater.
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