Wie kann das sein? War die Freiheit der Kunst nicht eine der größten
Errungenschaften der modernen westlichen Gesellschaften? Erlangte die Kunstfreiheit nicht
sogar Verfassungsrang, weil man weithin anerkannte, dass relevante Werke nur entstehen, wenn
Künstler sich nicht an ästhetische oder moralische Konventionen halten müssen? Doch nun gerät
die Idee der Autonomie gleich doppelt in die Defensive.
Zum einen durch linke Intellektuelle und Kuratoren, die in postmodernen Diskursen sozialisiert und von “Postcolonial Studies” geprägt sind. Sie begreifen freie Künstler als eine privilegierte Elite, die, gerade weil sie radikal sein darf, schnell überheblich wird und damit unsensibel für die Erfahrung von Minderheiten und Unterdrückten. Entsprechend scheint die autonome Kunst ungeeignet, die Gesellschaft auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung voranzubringen.
Zum anderen wird die Idee autonomer Kunst infolge der Globalisierung fragwürdig. So stammen die Akteure bei Auktionen, Museumsgründungen oder Biennalen immer häufiger aus Asien, Afrika oder der arabischen Welt. Viele folgen einem anderen, nicht westlichen Kunstverständnis. So ist ihnen eine Unterscheidung wie die zwischen freier und angewandter Kunst oftmals fremd. Sie haben auch kein Problem damit, wenn Kunst als Luxusprodukt behandelt wird oder eher zur Repräsentation als zur Sinnstiftung dient.
Die paradoxe Folge dieser Entwicklung: Die Kunstautonomie, zwei Jahrhunderte lang das Ideal gerade linker und liberaler Milieus, wechselt die Seiten. Plötzlich passt sie besser in das Weltbild von Rechten. Für sie nämlich sind Vertreter postmoderner und weltoffener Milieus – die “ortlosen, global mobilen ›Any-wheres‹”, wie AfD-Chef Gauland sie nennt – ohnehin schon erklärte Feinde, und wer für die Heimat eintritt und stolz auf Traditionen ist, kann auch in autonomer Kunst eine spezifische Errungenschaft der westlichen Kultur sehen. Der Künstler müsse sich “aus tiefster Notwendigkeit gegen das Gewissen seiner Zeit stellen, um sich jene Unabhängigkeit zu bewahren, welche die Kunst von ihm fordert”. So formuliert es Frank Lisson, ein bei Rechten beliebter Kulturphilosoph, der im selben Atemzug davon schwärmt, “die beste Kunst” entstehe “in Zeiten der Unterdrückung”, verlange also mutige, willensstarke Kämpfer (“Kultur ist stets männlich”).
Solche Töne gefallen etwa dem Maler Sebastian Hennig, der in den 1990er-Jahren in Dresden studierte und unterdessen für Pegida aktiv ist. Wenn er schreibt, Kunst “ist die Freiheit” und “wächst mit der Freiheit, die sich der Künstler nimmt”, mögen viele ihm noch zustimmen. Doch was, wenn er seinen Kollegen vorwirft, sie vergäßen, dass “die Schönheit das Bedeutendste” sei und “der Mensch, zumal der nackte, der wichtigste, höchste, ja hehrste Anlass der bildenden Kunst”? Auf Hennigs eigenen Bildern gibt es eher schöne Landschaften und Stillleben als nackte Menschen, und für sich genommen würde man ihnen die Gesinnung ihres Urhebers nicht ansehen – sie sind so konventionell und unverbindlich wie die allgemeine Beschwörung der Freiheit der Kunst. In Hennigs Schriften ist jedoch der Hass auf alles Linke und Multikulturelle nicht zu überlesen. Er grollt gegen die “Franzosenwirtschaft an der Kunsthochschule” – gegen “Picasso-Freaks unter den Professoren” –, die er damit provoziert habe, dass er “Hunderte Seiten” eines Romans des (antisemitischen) Heimatschriftstellers Wilhelm von Polenz “in Textur und Fraktur mit Stahl- und Gänsefeder auf Lithosteine geschrieben” und “auf Büttenpapier gedruckt” habe. Und Frauen spricht er jegliche Begabung ab, behauptet sogar, sie würden infolge der Hässlichkeit ihrer Werke selbst hässlich.
Kunstautonomie in ihrer Rechtsaußen-Version, das zeigt sich an diesem Beispiel, verlangt vom Künstler, das Eigene und Schöne heroisch-männlich zu verteidigen. Mit dieser Haltung empfahl sich Hennig auch bei Björn Höcke, der ihn als Interviewpartner für sein 2018 erschienenes Buch
Nie zweimal in denselben Fluss
wählte. Davon hielt ihn nicht einmal ab, dass Hennig zum Islam konvertiert ist – vielleicht weil man Antimodernist, Antifeminist oder Antisemit als Muslim genauso gut sein kann wie als Rechtsextremer?
Einige Motive rechten Denkens finden sich selbst bei berühmteren Künstlern, allen voran bei Neo Rauch. Zwar liegt dem Leipziger Maler so etwas wie Antisemitismus fern, und er würde wohl auch nicht in die Niederungen der Politik herabsteigen. Dafür sieht er sich viel zu sehr als autonomen Künstler – und die Mischung aus Radikalität und Pathos, mit der er in Interviews auftritt, lässt sich nicht zuletzt daraus erklären. Doch trägt er aufgrund seiner Prominenz mehr als andere zur Verschiebung des politischen Klimas bei. Vor allem bedient er ein in Ostdeutschland beliebtes Narrativ, wonach Deutschland zu einer DDR 2.0 geworden sei. Wie vor 1989 sieht er sich umgeben von einer “Bagage der Blockwarte, Gesinnungsschnüffler und der Politkommissare”, die “wieder da” seien. Noch schärfer wird er, wenn er den Dresdner Schriftsteller Uwe Tellkamp, der sich seinerseits in einem “Meinungskorridor” gefangen fühlt und dafür hart kritisiert wurde, zum “Wiedergänger Stauffenbergs”, also zu einem opferbereiten Widerstandskämpfer heroisiert. Sollte der heutige Staat wirklich eine menschenverachtende Diktatur sein? Und was ist davon zu halten, wenn Rauch Feministinnen mit den Taliban vergleicht?
Blickt man auf seine Bilder der letzten Jahre, legen Titel wie
Vaters Acker
oder
Fremde
ebenfalls eine politische Deutung nahe. Der Acker ist eine ziemliche Scholle, und die Himmel sind unheilschwanger, allerdings waren sie das bei Rauch auch schon lange vor seinen politischen Äußerungen. Daher wäre es zu einfach, seine Kunst als Illustration politischer Überzeugungen lesen zu wollen. Zumindest aber weicht er damit der verhassten Gegenwartsgesellschaft aus. Im Spiel mit leicht surrealen Bildräumen schafft er eine autonome Gegenwelt, mit viel Platz für unerfüllte Sehnsüchte.
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