Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung will ein Kopftuchverbot für Kinder prüfen. Warum er das für sinnvoll hält, erklärt der Pädagoge Ahmet Toprak, Professor für Erziehungswissenschaften an der Fachhochschule Dortmund, in diesem Gastbeitrag.
Seit
Österreich das Tragen des Kopftuches an Grundschulen verboten hat, nimmt die
Debatte auch in Deutschland wieder Fahrt auf. Bereits seit vergangenem Jahr
untersucht Nordrhein-Westfalen die Möglichkeiten eines Verbots an Grundschulen
und Kindertagesstätten.
Jetzt fordert auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz, ein Kopftuchverbot an Grundschulen zu prüfen.
Das Kopftuch
an sich ist in Deutschland kein fremdes, unbekanntes oder neu erfundenes
Kleidungsstück. In einigen Gegenden, wie zum Beispiel in Franken, tragen auch
heute noch manche ältere Frauen auf dem Markt oder zum Kirchgang ein Kopftuch.
Vor allem von der ersten Generation der türkischen Frauen, die in den Siebzigerjahren als sogenannte Gastarbeiter nach Deutschland kamen, ist bekannt, dass sie
das Kopftuch neben religiösen auch aus praktischen Gründen trugen: Es bot
Schutz vor Dreck, Wind und auch vor Blicken. Damals hat sich niemand daran
gestört. Viele dieser Frauen, wie auch meine Mutter, haben nach wenigen Jahren
auf ein Kopftuch verzichtet, obwohl einige von ihnen religiös waren.
Bei den
Nachfolgegenerationen, die sich für das Tragen des Kopftuches entscheiden, ist
das Motiv nicht eindeutig. Das Tragen des Kopftuches wird in der Schule in zwei
Hauptrichtungen gedeutet: Einerseits wird davon ausgegangen, dass das Kopftuch
von den Eltern verordnet, also den Mädchen aufgezwungen wird. Anderseits wird
es als Grundhaltung von Mädchen, Frauen oder Familien interpretiert, die sich
zum Islam bekennen und das Kopftuch als Kampfmittel gegen die liberale deutsche Gesellschaft einsetzen.
Das Kopftuch ist zu einer Projektionsfläche geworden
Anhand des
Kopftuches wird in der deutschen Debatte eine Trennlinie zwischen dem angeblich
aufgeklärten Abendland und einer angeblich rückschrittlichen und nicht
reformierbaren islamischen Gesellschaft gezogen. Das Kopftuch ist zu einer
Projektionsfläche geworden. Oft wird es als Zeichen der Desintegration, als
Ablehnung der westlichen Werte oder als Unterdrückung der Frau durch das
Patriarchat gedeutet.
Wir müssen
aber bei aller Emotionalität bedenken, dass das Tragen des Kopftuches bei einigen
Jugendlichen und erwachsenen Frauen als ein wichtiger Identitätsfaktor wahrgenommen
wird. Der Großteil der Trägerinnen sieht es als Ausdruck von Religiosität. Auch
von vielen islamischen Theologen wird es als unverzichtbar erklärt. In einer
freiheitlich-westlichen Gesellschaft muss es auch möglich bleiben, dass
Erwachsene oder Jugendliche ein Kopftuch tragen, wenn es ihr persönlicher
Wunsch ist. Und wir müssen auch in der Lage sein – wenn wir behaupten, dass wir
ein aufgeklärtes, modernes, offenes und humanistisches Land sind –, das zu
akzeptieren. Außerdem ist aus Forschungen bekannt, dass viele Trägerinnen nach
langem Prozess der Identitätsfindung und der Auseinandersetzung mit der
Religion sich für das Tragen des Kopftuches entscheiden. Und es gibt durchaus Mädchen
und junge Frauen, die sich nach diesem Prozess bewusst gegen ein Kopftuch
entscheiden.
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