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Syrien: Was Idlib jetzt bevorsteht

In der nordsyrischen Provinz Idlib fliegen das syrische Regime und Russland heftige Angriffe. Kommt jetzt die Bodenoffensive? Wie ist die Lage? Die wichtigsten Antworten

9. Mai 2019, 20:12 Uhr

Syrien: Nach einem Angriff steigt über der Stadt Hbeit in der nordsyrischen Provinz Idlib Rauch auf.

Nach einem Angriff steigt über der Stadt Hbeit in der nordsyrischen Provinz Idlib Rauch auf.
© Omar Haj Kadour/AFP/Getty Images

Seit zwei Wochen bombardieren syrische und russische
Kampfjets wieder die Provinz Idlib
im Norden Syriens, wo seit September 2018 ein
Waffenstillstand herrschte. Mehr als 200.000 Menschen sind derzeit auf der Flucht
ins syrisch-türkische Grenzgebiet. Am Freitag befasst sich der
UN-Sicherheitsrat auf Antrag von Deutschland, Belgien und Kuwait mit der zugespitzten
Lage in der letzten Rebellenbastion, während die syrische Staatspropaganda für
eine Bodenoffensive trommelt. Fragen und Antworten zu den Hintergründen dieser neuerlichen
Eskalation?

Wie ist die Lage in der Rebellenenklave Idlib?

Im letzten Rückzugsgebiet der Assad-Gegner leben gut drei
Millionen Menschen, darunter eine Million Kinder. Die Hälfte der Bevölkerung
sind inzwischen Binnenflüchtlinge aus anderen Teilen Syriens. Hunderttausende leiden unter
erbärmlichen Umständen, leben in Zeltlagern oder hausen in völlig überfüllten
Wohnungen. Nach Idlib wurden in den vergangenen Jahren alle Regimegegner, aber auch
Tausende radikale Dschihadisten vertrieben, die sich in anderen zurückeroberten
Gebieten nicht der Herrschaft des Diktators Baschar al-Assad unterwerfen wollten.

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Was ist der Auslöser der neuen Offensive?

Ende April fand in der kasachischen Hauptstadt Astana, die
seit Kurzem Nursultan heißt, das zwölfte Treffen der drei Kriegsbeteiligten Türkei,
Russland und Iran statt. Anwesend waren auch der UN-Sondergesandte Geir Pedersen und Delegationen des syrischen Regimes und der Opposition. Doch die
Konfliktparteien konnten sich nicht einmal auf eine Tagesordnung einigen. Russland
plädierte dafür, den Verfassungsprozess voranzubringen und über die Zusammensetzung
des 150-köpfigen Verfassungsrates zu sprechen. Die syrische Opposition und die Türkei dagegen
wollten den Gefangenenaustausch zum Hauptthema machen. Die Vertreter aus Damaskus und Teheran wiederum
pochten auf Gespräche über Idlib, um dort die Kontrolle des Regimes wiederherzustellen.
Angesichts dieses kompletten politischen Patts halten die syrisch-iranischen Militärplaner
in Damaskus offenbar nun den Zeitpunkt für gekommen, die im vergangenen Herbst abgeblasene
Bodenoffensive gegen Idlib tatsächlich zu beginnen.

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Wie sieht das militärische Vorgehen bisher aus?

Einen Tag nach dem Ende des gescheiterten Astana-Gipfels begannen
russische und syrische Kampfjets am 29. April wieder damit, Luftangriffe auf Idlib zu
fliegen, die seitdem immer stärker ausgeweitet werden. Die Vereinten Nationen
sprechen von dem schwersten Fassbombeneinsatz seit 15 Monaten. Die Geschosse zielen
vor allem auf Krankenhäuser und Schulen
. Zehn Schulen und 13 Gesundheitszentren
wurden in den vergangenen Tagen zerstört, darunter zwei große Hospitäler. Getroffen
wurden auch Einrichtungen, die aus Deutschland finanziell unterstützt werden. Die
Koordinaten der Hospitäler waren von der UN zuvor an die russische Luftwaffe
gegeben worden, um diese zu schützen. Die Außenbeauftragte der Europäischen Union, Federica Mogherini, sprach von einem “nicht akzeptablen Bruch des Völkerrechts”.

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Was kann der UN-Sicherheitsrat tun?

Der UN-Sicherheitsrat will sich am Freitag unter dem Vorsitz
Deutschlands mit der Eskalation in Idlib befassen. Doch die Aussichten dafür, das
militärische Vorgehen zu stoppen und die Zivilbevölkerung zu schützen, sind
gering. Auch diesmal dürften Russland und China wohl jede wirkungsvolle Resolution blockieren. UN-Generalsekretär António Guterres appellierte noch
einmal eindringlich an die Kriegsparteien, die Zivilbevölkerung zu schonen und
zu dem Waffenstillstand vom Herbst 2018 zurückzukehren. Im Falle einer großen
Bodenoffensive befürchten die Vereinten Nationen eine apokalyptische Katastrophe.
Bis zu einer Million Menschen könnten versuchen, in Richtung Türkei zu fliehen,
um ihr Leben zu retten.

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Wie sind die militärischen Kräfteverhältnisse im Inneren der Enklave?

Unter den Bewaffneten in Idlib dominiert die Dschihadistenallianz Hajat Tahrir al-Scham (HTS), die der Al-Kaida nahesteht. Ihre Kämpfer, unter denen sich
viele Ausländer befinden, sind bei der Bevölkerung nicht sehr beliebt, auch weil
sie Hilfslieferungen unterschlagen und Helfer tyrannisieren. Kritiker werden verfolgt,
inhaftiert und bisweilen auch ermordet. Seit Januar kontrolliert HTS und
ihre “Regierung der Rettung” mehr als 70 Prozent der Rebellenprovinz. Immer geringer
dagegen wird die Macht der türkeifreundlichen Nationalen Befreiungsfront
(NLF), zu der sich alle Nicht-Al-Kaida-Kämpfer zusammengeschlossen haben. Deren
ideologische Bandbreite reicht von der moderaten Freien Syrischen Armee über
Muslimbrüder-Brigaden bis zu harten, nationalistischen Salafisten.

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Welche Vereinbarungen gibt es zwischen den Kriegsparteien?

Bereits im Sommer 2018 waren Assads Truppen an den Rändern
der Enklave Idlib aufmarschiert. Eine syrisch-russische Offensive jedoch wurde in
letzter Minute abgewendet durch eine Vereinbarung zwischen Russland und der Türkei.
Beide Staaten einigten sich am 17. September 2018 in Sotschi auf einen
umfassenden Waffenstillstand. Um das umkämpfte Gebiet, das teilweise in die
Provinzen Aleppo und Latakia hineinreicht, wurde eine entmilitarisierte
Pufferzone gelegt, aus dem sich alle Rebellen zurückziehen mussten. Den Russen
kam es vor allem darauf an, Angriffe auf ihre Luftwaffenbasis Hmeimim zu unterbinden,
die mehrfach von Drohnen beschossen worden war. Die Türkei versprach, den
Einfluss der radikalen Dschihadisten im Inneren der Enklave zurückzudrängen. Die türkische
Armee, die zwölf Beobachtungsposten auf syrischem Gebiet etabliert hat, blieb jedoch
bisher untätig.

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Wie geht es jetzt weiter?

Syrische Oppositionspolitiker
vermuten, dass sich zu Idlib ein Tauschhandel zwischen Russland und der Türkei anbahnt.
Der russische Präsident Wladimir Putin könnte der Türkei die Kontrolle über die kurdische Grenzregion um Tall
Rifaat zugestehen, wo es in den vergangenen Tagen bereits zu Gefechten zwischen türkischen
Truppen und der kurdischen YPG-Miliz kam, die Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan
als türkeifeindliche Filiale der verbotenen PKK ansieht. Im Gegenzug würde die
Türkei der russisch-syrischen Allianz erlauben, südliche Teile der Provinz
Idlib zu besetzen, wo die beiden strategisch wichtigen Autobahnen M4 und M5 verlaufen, die Aleppo mit Hama und Aleppo mit Latakia an der Küste
verbinden.

Kriegsgebiete – “Es ist okay, für etwas Gutes sein Leben zu lassen”
Rettungsassistent Tobias Buckler behandelt im Irak und in Syrien Kriegsverletzte. “Ich gehe nicht dorthin, um das Gefühl zu haben, gebraucht zu werden.” Ein Videoporträt

© Foto: Kenny Karpov

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