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Warum
wollen wir so drastisch nicht mehr sterben, habe ich mich gefragt. Wer den Homo Deus des israelischen Historikers Yuval Noah Harari gelesen hat, könnte denken, dass Google die Firma
Calico (deren offizieller Zweck der Kampf gegen den Tod ist) allein deshalb
gegründet hat, weil Google es konnte:
Die Ära der Nanoroboter und Nampt-Verstärker macht glauben, dass bereits den
jetzt Geborenen ein Leben von 500 Jahren beschieden sei. Dabei hat es schon im
19. Jahrhundert einen blinden Glauben an den Fortschritt gegeben. Und auch
sehr reiche Leute. Was hat sich verändert? Warum könnte ausgerechnet das
21. Jahrhundert im Zeichen der Suche nach einer Medizin gegen den Tod
stehen?
Ich
denke, es ist ganz einfach: Ein florentinischer Magnat oder ein venezianischer
Kaufmann konnte sich noch damit trösten, dass nach dem Tod das Paradies auf ihn wartete. Wer Dostojewski las, mochte angesichts der Erkenntnis erstarren, dass
der Tod Gottes ihn in eine Welt stürzen könnte, in der “alles möglich” ist. Und
Nietzsches Leser konnten annehmen, dass “Gott tot ist”. Gleichwohl wartete ein
Himmel auf die Toten, ein leerer, kalter Himmel, bereit für einen neuen Gott
oder einen Übermenschen.
Wie
ist es heute um unsere Himmel bestellt? Noch nie war die Sphäre jenseits des
Todes derart unklar, noch nie wurde den Massen nichts außer einem garantierten
Nichtsein verheißen. Womit Dostojewski uns schreckte, ist geschehen. Und zwar
in schlimmster Form: Menschen, für die es keinen Gott gibt (der weiß, was gut
ist und was böse, und der strafen und belohnen kann), haben sich selbst zu
Göttern gemacht.
Im
20. Jahrhundert hatte die Ideologie die Rolle der Religion übernommen. Ich
habe selbst noch bei den Pionieren in Reih und Glied gestanden und erinnere
mich genau an die religiöse Ekstase, die durch unsere vor roten Halstüchern
glühenden Reihen zog, als die Erzieherin den Plattenspieler anstellte und Lenin
uns durch das Knistern hindurch etwas krächzte. Ich kann sogar in ungefähr
beschreiben, welches Paradies uns allen vorschwebte: ein heroischer Tod im
Kampf gegen die Helfershelfer des Kapitalismus und anschließend an der Küste das
sonnendurchflutete Pionierlager Artek und ein Bad im Schwarzen Meer, zusammen
mit der verstorbenen amerikanischen Pionierin Samantha Smith.
Das
21. Jahrhundert hat den Ideologien den Ton abgedreht. Jede große Idee
mutet jetzt an wie Lenin, der aus dem Plattenspieler – Modell Morgenröte –
krächzt. Durch Mikrotargeting kann nun jedem Facebook-Nutzer genau das
versprochen werden, was er will. Dieses neue Niveau der Lüge übertrifft alle
bisherigen. Von Politik, wie wir sie noch vor 50 Jahren dachten, wird bald nichts
mehr übrig sein. Wenn die Religion im 20. Jahrhundert noch von mehr oder
weniger echten Ideen abgelöst wurde, so tritt an ihre Stelle jetzt reiner
Populismus. Die Präsidentschaftswahlen in der Ukraine (und zuvor die
Präsidentschaftswahlen 2016 in den USA sowie die Parlamentswahlen 2017 in
Tschechien und 2018 in Italien) haben deutlich gemacht: Es ist egal, was du
versprichst, solange du das versprichst, was von dir erwartet wird. Der
Versprechende selbst muss jung sein, straff und so weit wie möglich einem Gott
ähneln, wie ihn sich die alten Griechen vorstellten.
Am
interessantesten ist aber, was mit den Populisten geschieht, nachdem sie sich
an der Macht festgesetzt und begonnen haben, ohne Rücksicht auf Umfragewerte zu
regieren, ohne den Zwang, dem Volke zu gefallen, (hierzu müssen lediglich die
Wahlen in eine Wahlsimulation verwandelt werden). Der Verlust von Feedback führt
dazu, dass sie der Bevölkerung nun Ideen als populär verkaufen, die lediglich
im Kopf des Herrschers populär sind – allein in dessen Vorstellung von dem, was
das Volk erwartet (die Beseitigung unabhängiger
Soziologie bedeutet den ersten Schritt zu einem einigermaßen langen Verbleib an
der Macht, während eine abhängige
Soziologie genauso Populismus ist, allerdings einer, der allein an den
Auftraggeber gerichtet ist).
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