/Boris Palmer: “Das war fahrlässig”

Boris Palmer: “Das war fahrlässig”

Boris Palmer kommt pünktlich in die Bahnhofshalle von Tübingen, kauft sich schnell noch die neue Ausgabe der “Bild”-Zeitung und marschiert in Richtung Bahnsteig. Der grüne Tübinger Oberbürgermeister hat vor einigen Tagen auf Facebook die Bahn für eine Werbung kritisiert, die mehrheitlich Menschen mit dunkler Hautfarbe zeigt. Daraufhin wurde ihm vorgeworfen, er wolle spalten und andere ausgrenzen. Einige Grüne fordern jetzt, ihn aus der Partei auszuschließen. Deshalb sind wir mit Palmer zum Bahnfahren verabredet. Von Tübingen nach Stuttgart, im Regionalexpress 22040.

DIE ZEIT:
Herr Palmer, fahren Sie gerne Bahn?

Boris Palmer:
Die Bahn ist mein Lieblingsverkehrsmittel – aus ökologischen und praktischen Gründen. Das
ist einer der wenigen Orte, an denen ich in Ruhe schreiben kann.

Wir setzen uns an einen Vierersitz. Außer uns sind noch ein Dutzend Fahrgäste im Wagen.
Einige schauen neugierig in unsere Richtung. Es ist 15.37 Uhr, um 16.38 Uhr wird der Zug am
Stuttgarter Hauptbahnhof ankommen. Palmer hängt seine grüne Regenjacke auf und setzt sich.
Er braucht kein Ticket, er hat die Bahncard 100, die “schwarze Mamba”, wie sie wegen ihrer
Farbe in Eisenbahnerkreisen genannt wird.

ZEIT:
Am Telefon sagten Sie, dass Sie falsch verstanden worden seien. Inwiefern?

Palmer: Das Ganze war ein Schnellschuss. Ich habe keine zwei Minuten, nachdem ich die Werbung eher
zufällig im Internet entdeckt hatte, drei Sätze dazu auf Facebook gepostet.

“Wird hier der Anschein eines Migrationshintergrunds absichtlich als Werbeargument eingesetzt?”

Boris Palmer

ZEIT:
Sie schrieben, dass Sie nicht nachvollziehen könnten, nach welchen Kriterien man die
Personen ausgewählt habe. “Welche Gesellschaft soll das abbilden?”, fragten Sie.

Palmer:
Durch meine Formulierung konnte der Eindruck entstehen, ich wolle Menschen allein aufgrund
ihrer Hautfarbe ausgrenzen, dabei will ich genau das verhindern. Das war fahrlässig, ich
hätte mein Anliegen besser begründen müssen.

ZEIT:
Die Kampagne zeigt sechs Menschen in der Bahn. Bis auf einen haben alle dunkle Haut. Was
würden Sie heute an der Formulierung ändern?

Palmer:
Ich würde nur fragen: Wird hier der Anschein eines Migrationshintergrunds absichtlich als
Werbeargument eingesetzt? Ich finde jedes einzelne Bild gut. Die Gesamtkonfiguration ist das
Problem. Die Mehrheitsgesellschaft kommt praktisch nicht vor. Ich bin der Meinung: Dieses
Auswahlprinzip muss man diskutieren.

ZEIT:
Was ist die Mehrheitsgesellschaft?

Palmer:
Leute wie Sie oder ich. Etwa 75 Prozent aller Deutschen haben keinen
Migrationshintergrund. Diese Realität wird nicht abgebildet.

Glauben Sie, dass Red Bull Flügel verleiht?

ZEIT:
Werbung bildet selten die Realität ab. Oder glauben Sie, dass Red Bull Flügel
verleiht?

Palmer:
Nein, aber ich vermute, dass die Auswahl der Motive einer Theorie folgt, die ich für
gefährlich halte. Die Menschen werden nach äußeren Merkmalen in Gruppen eingeteilt, die
einen sind die Diskriminierten, die anderen die Diskriminierenden. Diese Art der
Identitätspolitik spaltet die Gesellschaft, und die Bahn beteiligt sich daran.

Hits: 40