Der Stau in den Städten nimmt weiter zu, die Luftverschmutzung hat zu Fahrverboten für alte Diesel geführt und auch der Klimawandel mahnt zu einer Verkehrswende. Wie dieser Umbruch aussehen soll und wie man ihn erreicht, darüber wird heftig gestritten. Aber sind die Positionen überhaupt so weit voneinander entfernt? Worauf kann man sich einigen? Wir haben Vertreter der wichtigsten drei Lobbyverbände an einen Tisch gesetzt: Ulrich Klaus Becker, Vizepräsident des ADAC, Rebecca Peters, Bundesvorstand des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) und Stefan Lieb, Geschäftsführer von Fuss e.V., dem Fachverband Fußverkehr.
ZEIT ONLINE: Die Friedrichstraße in
Berlin ist nur etwa 15 Meter breit. Angenommen, Sie könnten sie neu aufteilen: Wie
viel davon sollte Ihrer Meinung nach Straße, Radweg und Bürgersteig sein?
Rebecca Peters, ADFC: Jeder sollte unabhängig
von seinem Verkehrsmittel einen sicheren Raum für sich haben, getrennt von
anderen Verkehrsteilnehmern.
Ulrich Klaus Becker, ADAC: Als die Friedrichstraße
in ihrer heutigen Form angelegt wurde, hat man von der Mitte her gedacht, also
von den Autos. Die Restflächen blieben für Radfahrer und Fußgänger. Man ging noch
davon aus, dass die Leute in der Stadt arbeiten und am Stadtrand wohnen. Das
ist heute anders, sodass sich auch die Funktion der Straße verändert hat. Und
deshalb müssen wir stärker als früher auch an die Bedürfnisse von Fußgängern
und Radfahrern denken. Grundsätzlich ist es wichtig zu beachten, ob es sich um
eine Wohnstraße oder eine Geschäftsstraße handelt. Nicht in jeder Straße braucht
es für alle den gleichen Raum.
Stefan Lieb, Fuss e.V.: Uns ist wichtig, dass
es auch Bereiche gibt, in denen nichtkommerzieller Aufenthalt möglich ist.
Bänke zum Beispiel, die nicht zu einem Café gehören. Die Friedrichstraße ist zu
eng, um überall allen genug Platz zu bieten. Wahrscheinlich müsste man sie an manchen
Stellen zur Einbahnstraße machen.
ZEIT ONLINE: Frau Peters, Sie wollen
allen den Platz geben, den sie brauchen. Aber wenn man den Radweg breiter
macht, müssen Sie den Autofahrern Platz wegnehmen. Wie wollen Sie denen das erklären?
Peters, ADFC: Die Städte wachsen,
jährlich gibt es neue Staurekorde. Deshalb müssen wir den Verkehr effizienter
organisieren. Auf eine Fläche, auf der bisher ein Auto steht, passen zehn
Fahrräder. Das kann den Verkehr entlasten.
ZEIT ONLINE: Also soll es noch
weniger Parkplätze geben. Autofahren soll keinen Spaß mehr machen.
Peters, ADFC: Vor allem muss man
andere Verkehrsmittel attraktiver machen. Teilweise wird das Autofahren dadurch
aber auch unattraktiver, das stimmt. Wir brauchen mehr Platz für Fahrradwege und dafür
muss man auch mal eine Autospur aufgeben. In Berlin und Köln wird das schon
gemacht und der Verkehr fließt trotzdem.
ZEIT ONLINE: Am Ende verlieren die
Autofahrer.
Lieb, Fuss e.V.: Es darf nicht mehr so attraktiv
sein, Auto zu fahren, sonst steigen die Leute nicht um.
Becker, ADAC: Wir sind in einem
Mobilitätswandel, das kann man gar nicht bestreiten. In Berlin oder München ist
es heute schon unattraktiv, mit dem Auto unterwegs zu sein. Aber man muss
bedarfsgerecht planen: Es braucht zum Beispiel
Pendlerparkplätze, um in den Nahverkehr umzusteigen. Und es gibt durchaus auch Bereiche, in denen das Auto
unverzichtbar ist, etwa auf dem Land.
ZEIT ONLINE: Sie als Vertreter der
Autofahrer sind also bereit, Privilegien aufzugeben? Sehen das Ihre Mitglieder
auch so?
Becker, ADAC: Wir als ADAC vertreten schon
lange nicht mehr die Position, dass das Auto über allem steht. Es geht um die möglichst reiche Auswahl zwischen Optionen der
Fortbewegung. Deshalb sehen wir durchaus, dass anderen Verkehre ihre
Berechtigung haben und eine entscheidende Rolle beispielsweise beim Klimaschutz
spielen können. Aber Sie können den Leuten auch nicht einfach Parkplätze
wegnehmen, ohne Alternativen anzubieten. Wenn dagegen Parkplätze in eine andere Straße
verlegt werden, um Platz für einen Radweg zu schaffen, dann muss man als
Autofahrer eben ein paar Meter mehr zu Fuß gehen.
ZEIT ONLINE: Reicht es denn, ein
paar Radwege zu bauen, um die Menschen vom Auto wegzubringen? Oder brauchen wir
deutlich weniger Parkplätze und höhere Spritsteuern?
Becker, ADAC: Wenn Sie die Leute
mitnehmen wollen, müssen Sie das erklären und attraktive Alternativen bieten. Und
Sie können nicht alles über Geld und Verbote regeln. Aber Anwohner werden es
verstehen, wenn Räume beispielsweise für den Nahverkehr genutzt werden,
schließlich profitieren auch sie von weniger Lärm und sauberer Luft.
ZEIT
ONLINE: Und der Rentner, für den die Haltestelle zu weit weg ist? Oder die
Handwerkerin, die vor der Tür parken muss?
Becker, ADAC: Da muss es Ausnahmen
geben. Konflikte wird es immer geben, die muss man lösen, nachhaltig und
bezahlbar. Aber eben nicht immer nur zu Gunsten eines einzigen Verkehrsmittels.
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