Die erste Runde auf dem Ring drehte der Chef selbst. Allerdings musste Peter Buchner, Geschäftsführer der Berliner S-Bahn, erst einmal fragen, wo denn der Knopf für die Türschließung ist. Denn mit offenen Türen fährt keine moderne S-Bahn mehr los. Ein Techniker eilte zu Hilfe. Damit es keine Kratzer im nagelneuen Fahrzeug gibt, wurde das Fahrpult mit Filz abgeklebt, einige Taster waren darunter verschwunden. Nach 2 Minuten und 20 Sekunden stand Buchner wieder am Bahnsteig, perfekt gebremst.
Der Ring ist nicht etwa der Berliner S-Bahn-Ring. Er ist nur gut zwei Kilometer lang und liegt nahe der niederländischen Grenze. Im Siemens-Prüfcenter Wildenrath stehen fünf bislang fertiggestellte Prototypen der neuen Berliner S-Bahn-Baureihe 483/484. Nach Buchner durften sich der Stadler-Geschäftsführer Jure Mikolcic und die Siemens-Mobility-Chefin Sabrina Soussan in den Führerstand setzen. Den Vergleich gewann Buchner – Mikolcic ging zu schnell in die Kurve und Soussan bremste zu früh.
160.000 Test-Kilometer sind geplant
Zusammen waren das gut sechs Kilometer, 2000 Kilometer sind die Züge schon gefahren. Das ist aber nur ein winziger Bruchteil des Prüfprogramms, dem sich die Prototypen in den kommenden Monaten unterziehen müssen: Erst nach 160 000 Test-Kilometern dürfen die ersten Fahrgäste einsteigen.
Nach den bitteren Erfahrungen mit der aktuellen S-Bahn-Baureihe 481, die durch zahlreiche eingebaute Fehler seit Jahren den Betrieb bremst, wünscht sich die S-Bahn nun ein Fahrzeug, das wirklich fährt, in dem die Türen schließen, die Bremsen bremsen und dessen Technik ein paar Schneeflocken nicht kaputtmachen.
Eines fällt sofort auf: Die neuen Züge fahren leise, haben aber den typischen S-Bahn-Sound. Gewöhnungsbedürftiger ist das Design. Buchner verglich die Front mit einem “rasenden iPad”. Auf Nachfrage versicherte er, dass dies tatsächlich als Kompliment zu verstehen sei.
Mindestens so unkonventionell sind die komplett schwarzen Türen. Neueste Vorschriften fordern für die Türen einen starken Kontrast zu den Seitenwänden – dies soll Sehbehinderten das Leben erleichtern.
Neu ist auch die Klimaanlage, die einige Fachleute als störanfällig, energiefressend und teuer kritisieren. Solche Meckerei wischt Buchner beiseite: “Jeder Kleinwagen hat heute eine Klimaanlage.” In den Zügen werde die Temperatur nur um drei Grad gegenüber der Außentemperatur gesenkt, also nicht wie in Amerika auf Kühlschranktemperatur.
Nach etwa 20 Runden auf dem Ring – auch einige Journalisten durften mal an den Fahrhebel – zog Buchner dieses Fazit: “Ich bin begeistert. Die besten Züge, die Berlin jemals hatte.” Natürlich lobten auch die Firmenchefs ihr Produkt: “Was Schöneres und Tolleres gibt es nicht auf dem Weltmarkt”, sagte der Stadler-Chef. Siemens-Chefin Soussan versprach “die beste und zuverlässigste S-Bahn”. Für Siemens gehe es auch um die Ehre, schließlich sei die Firma vor 160 Jahren in Berlin gegründet worden.
Werden die Züge pünktlich geliefert?
“Jetzt müssen die Züge nur noch pünktlich kommen”, entgegnete Buchner an die Adresse von Siemens und Stadler. Soussan und Mikolcic versicherten, pünktlich zu liefern.
Zwar sind jetzt fünf der zehn Prototypen in Wildenrath. Insgesamt sind für den S-Bahn-Ring und die Zulaufstrecken aus Südost 85 Halbzüge (Baureihe 484) und 21 Viertelzüge (483) bestellt, diese sollen nach und nach bis 2023 ausgeliefert werden. Im jüngsten Jahresbericht der S-Bahn heißt es, dass “der Zeitplan bis zur Fahrzeugübergabe inzwischen angespannt” sei.
Eisenbahnfans müssen sich bis zum Herbst gedulden. Wenn in Wildenrath alles klappt, sollen die Prototypen dann endlich auch auf dem Berliner Ring Kreise drehen. Allerdings nur nachts, in der Betriebspause zwischen 1 und 4 Uhr. Bislang konnten Fans einen Prototyp nur auf der Fachmesse Innotrans im Herbst 2018 bewundern.
Den ersten Zug mit Fahrgästen will der Chef wieder im Führerstand begleiten – allerdings nur als Zuschauer. Eine Lokführerlizenz hat Buchner nicht. Der Termin steht fest: Am 1. Januar 2021, morgens um 4 Uhr früh, auf der S47 von Südkreuz nach Spindlersfeld. Wenn alles klappt.
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