Hogie
ist ein schneidiger Captain im Zweiten Weltkrieg. Ein draufgängerischer Abenteurer,
der Nazis im Nahkampf niederringt und – wenn er
doch in ihre Hände gerät und gefoltert wird – von einem Trupp beherzter
Frauen gerettet wird, die direkt aus einem
Tarantino-Film entsprungen sein könnten. Aber dann, ein Schnitt:
Der Krieg spielt nicht im Belgien der Vierzigerjahre, sondern in der
Gegenwart, in einem Garten in einem kleinen Provinzkaff, zwei Stunden außerhalb von
New York. Die Soldaten sind aufwendig kostümierte Actionpuppen, ihre Welt die minutiöse Bastelarbeit eines
erwachsenen Mannes.
In dem Spielfilm Willkommen in Marwen erzählt Robert Zemeckis die Geschichte von Mark Hogancamp, der sich eine
Fantasiewelt baute, um wieder stark und handlungsfähig zu werden. Es ist die Geschichte eines gebrochenen Mannes, und sie ist wahr. Hogancamp hat sich mit dem tapferen Hogie ein Alter Ego gebastelt, nachdem ihn ein gewalttätiger Überfall seine Gesundheit und beinahe auch das Leben gekostet hatte. Weil er sich dazu bekannte, gerne mal
Frauenschuhe und Kleider zu tragen, hatten ihn homophobe Hooligans eines Nachts im Jahr 2000 vor einer Bar in
ein neuntägiges Koma geprügelt. Nach der Attacke waren Marks feinmotorische
Fähigkeiten so stark eingeschränkt, dass er nicht mehr als Zeichner arbeiten
konnte und sich ein neues Arbeitsfeld suchen musste. Er begann, sich im Garten
eine therapeutische Miniaturwelt im Maßstab 1:6 zu schaffen, übersichtlich und
händelbar und bevölkert mit Avataren von seinen Freunden, Bekannten und von den Tätern aus
der realen Welt. Mit Fotos
dieser kunstvoll inszenierten Szenen erregte er bald die Aufmerksamkeit eines
Galeristen, der ihm eine Ausstellung ausrichtete.
Versatzstücke der Welt werden zur Kinowirklichkeit
Bereits 2010 hatte der Regisseur Jeff Malmberg über diese so berührende wie inspirierende Geschichte den
Dokumentarfilm Marwencol gedreht. Nun hat sich Zemeckis des Stoffes angenommen. Der Filmemacher hatte schon immer eine besondere Vorliebe für Geschichten, die die
Grenzen zwischen Realität und Fantasie verwischen und reale Nöte auf eine
künstlerische, magische Ebene transzendieren. So hatte er unter anderem Tom Hanks als simpel gestrickten Forrest Gump
auf einen Ritt durch die Weltgeschichte geschickt, den frechen animierten
Hasen Roger Rabbit durch die wahre
Welt hüpfen lassen, Marty McFly Zurück in die Zukunft katapultiert und in der Robinsonade Cast Away
– Verschollen eine Freundschaft zwischen einem gestrandeten Menschen und
einem Volleyball angezettelt.
Dass der Autor und Regisseur immer wieder auf
diesem unzuverlässigen Pfad zwischen Realität und Fiktion landet, hat für ihn ganz pragmatische Gründe: “Ich glaube gar nicht, dass ich das bewusst
suche,” sagt er beim Gespräch in einem Berliner Hotel. “Das ergibt sich ganz
natürlich aus dem, was ich wirklich mag. Und es sind Geschichten, die man wirklich
nur im Kino erzählen kann, die sich am besten als Film erfahren lassen.”
Man kann in diesem Mark Hogancamp eine Spiegelung des Regisseurs selbst sehen, der ja ebenfalls aus Versatzstücken der wirklichen
Welt eine neue, alternative Kinowirklichkeit zusammenbastelt. Kann solch kreatives Schaffen auch heilen? “Die Menschen
haben die Kunst, egal in welcher Form, durch alle Zeiten immer dazu
benutzt, sich emotional zu heilen”, sagt Zemeckis. “Jeder, der Kunst erschafft, nutzt sie, um
sich einen Reim auf Dinge zu machen, die sehr kompliziert sind.”
Zemeckis Weg zur Kunst begann in den Fünfzigerjahren ziemlich
alltäglich mit banaler Fernsehunterhaltung, bis er eines Tages Bonnie and Clyde sah und am eigenen Leib spürte, welche Gefühle Filme mobilisieren können: “Das war das erste Mal, dass ich beim Sehen eines Films spürte, wie
meine Gefühle manipuliert wurden. Als die beiden am Ende von Schüssen
durchlöchert werden, empfand ich eine so überwältigende Traurigkeit, dass ich herausfinden
wollte, wie das funktioniert. Ich wollte den Prozess und die Kunstform
verstehen.” Als der junge Zemeckis dann eher zufällig erfuhr, dass man Film auch studieren
kann, bewarb er sich an der berühmten University of Southern California. Fortan schickte er sich an, zusammen
mit Steven Spielberg, Francis Ford Coppola, George Lucas und John Milius das Kino zu revolutionieren. “Ich war im Grunde der
Nachzügler der Gruppe”, erinnert sich Zemeckis, “ich bin jünger als sie. Eine bewusste Strategie hatten
wir damals wohl gar nicht. In Wahrheit wollten wir einfach nur die Filme
machen, die wir machen wollten.” Spielberg drehte Der weiße Hai und Lucas die Star-Wars-Filme, Zemeckis
legte 1985 mit seiner Trilogie Zurück
in die Zukunft nach, womit sie das moderne Blockbusterkino erfunden hatten.
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