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Edward Snowden: Das Geheimnis von Hongkong

Drei Flüchtlingsfamilien versteckten den Whistleblower Snowden 2013 vor der CIA. Nach Jahren der Angst erhält nun die erste Familie ein neues Leben.

Edward Snowden: Sechs Jahre danach: Vanessa Mae Rodel, die Edward Snowden 2013 bei der Flucht half, vergangene Woche auf dem Weg zur Einwanderungsbehörde in Hongkong

Sechs Jahre danach: Vanessa Mae Rodel, die Edward Snowden 2013 bei der Flucht half, vergangene Woche auf dem Weg zur Einwanderungsbehörde in Hongkong
© Maria de la Guardia für ZEIT ONLINE

Wenn Vanessa Mae Rodel heute über Edward Snowden redet, dann ist
ihre Stimme noch immer voller Verehrung. “Für mich ist er ein Held”, sagt sie. “Ich
habe mir damals solche Sorgen um ihn gemacht.”

Es war an einem Sommerabend im Juni 2013, als er vor ihr stand, ein
schmächtiger Mann mit Brille. Draußen war es dunkel, es ging auf Mitternacht
zu. “Mein
Anwalt hatte sich gemeldet und gesagt, da ist ein Mann, ein Weißer, er braucht
Hilfe und ein Dach über dem Kopf”, sagt Rodel im Gespräch mit der ZEIT, das per
Videoschalte aus Hongkong stattfindet. “Ich sagte: Okay, ich habe eine kleine
Wohnung, er kann bleiben. Ich kaufte bei McDonald’s etwas zu essen für ihn.” Muffins,
Pommes, das hatte er sich gewünscht.

So lernten sich Edward Snowden und Vanessa Rodel kennen.
Sie: eine Frau von den Philippinen mit langen schwarzen Haaren und einem schüchternen
Lächeln, die in Hongkong Unterschlupf gefunden hatte, deren Asylantrag die
Behörden abgelehnt hatten und die seitdem in ständiger Angst vor der
Abschiebung lebte. Er: ein Whistleblower auf der Flucht, den CIA, NSA und FBI jagten
und dessen Namen die halbe Welt kannte. Nur sie nicht, die Frau, die ihn
verstecken sollte.

Am heutigen Montag nun, rund sechs Jahre danach,
beginnt für Vanessa Rodel, 42, und ihre Tochter Keana, 7, ein neues Leben: Nach
Jahren der Angst und der Repressalien durch die Behörden, die sie regelmäßig
nach Snowden und seinen Unterstützern befragt haben, hat sich Kanada bereit
erklärt, Mutter und Kind als Flüchtlinge aufzunehmen. Eine Maschine von Air
Canada soll die beiden nach Toronto bringen, von dort geht es weiter nach
Montreal, ihre neue Heimat. “In Hongkong war ich nicht mehr sicher”, glaubt
sie. “Ich bin so glücklich, dass wir nun in Kanada eine geschützte Zukunft
finden.”

In jener Nacht vor sechs Jahren hatte Vanessa Rodel keine Ahnung, wer da bei ihr im Wohnzimmer stand. Er hatte sich nicht
vorgestellt, sie ihn nicht gefragt. Am nächsten Morgen, so erzählt sie es, habe
Snowden sie gebeten, eine englischsprachige Zeitung für ihn zu besorgen. Rodel lief
zum 7-Eleven-Laden, vorbei an den illegalen Märkten und den Straßenhändlern,
die in Kowloon im Norden Hongkongs Kleidung und Essen verkaufen. Der Stadtteil
ist arm und heruntergekommen, Chinesen leben hier und viele Flüchtlinge. Einen
westlichen Geheimdienstagenten würde hier niemand vermuten, so das Kalkül.

Ein paar Tage zuvor hatte sich Snowden von Hawaii nach
Hongkong abgesetzt und in einem Hotel, dem Mira, zwei Journalisten Festplatten
übergeben, vollgepackt mit hoch geheimen Dokumenten der NSA. Die Dokumente belegen,
wie systematisch und allumfassend die NSA im digitalen Zeitalter spioniert,
nicht nur gegen Regierungen und mögliche Terroristen – der Geheimdienst
überwacht auch, was Millionen von Menschen im Internet tun.

Die Enthüllungen und ein Interview, das Snowden den
Journalisten gab, hatten tagelang die Nachrichten dominiert. Nun lauerte vor
dem Mira eine Hundertschaft von Journalisten. Snowden musste verschwinden.

Plötzlich sah sie Snowdens Foto auf der Titelseite

Whistleblower Snowden: Geburtstagsfeier im Versteck

Whistleblower Snowden: Geburtstagsfeier im Versteck
© Phillip Faraone/Getty Images

An jenem Morgen, als Vanessa Rodel zum 7-Eleven lief
und eine Ausgabe der South China Morning Post kaufte, wurde ihr schlagartig
klar, wen sie da zu Hause versteckt hatte. “Ich war schockiert, als ich sein
Gesicht auf der Titelseite sah”, sagt sie. “Ich ging nach Hause und fragte ihn: Bist du das?”

Ja, antwortete Snowden.

“Ich habe nicht nachgefragt, warum, aber mir war klar: Er ist der meistgesuchte Mann der Welt, jeder suchte nach ihm”, sagt Vanessa Rodel. “Überall in Hongkong war sein Bild zu sehen, in jeder Zeitung. Ich
dachte, das Beste, was ich tun kann, ist, mich um ihn zu kümmern.” Sie wirkt,
als habe sie damals nicht lange darüber nachgedacht, wie groß die Gefahr für
sie selbst sein würde.

Knapp zwei Wochen versteckte sich Snowden bei Vanessa
und ihrer Tochter, in einem beengten Apartment, das aus einem kleinen
Schlafzimmer, einem Wohnzimmer mit integrierter Küche und einer engen Toilette bestand.
Snowden schlief nicht gut, so erinnert sich Rodel, “er war sehr gestresst und besorgt”.
Am 21. Juni 2013, Snowdens 30. Geburtstag, feierten sie eine improvisierte
Geburtstagsparty, jemand brachte einen Kuchen vorbei, sie sangen ein Lied für
ihn.

Ein paar Tage später teilte Snowden ihr mit, er werde
heute verschwinden. “Er umarmte mich und gab mir 200 US-Dollar”, erinnert sich
Vanessa Rodel. “Ich umarmte ihn und sagte ihm, er solle auf sich aufpassen.” 

An jenem Tag verließ Snowden Hongkong, er hatte einen
Flug nach Ecuador über Moskau gebucht. Aber in der russischen Hauptstadt verweigerten
ihm die Behörden die Weiterreise, die US-Regierung hatte seinen Reisepass
kurzerhand ungültig gestempelt. Nach tagelangen Verhandlungen erhielt Snowden in
Russland Asyl. Bis heute lebt er im Großraum Moskau.

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