/“Wintermärchen”: Vögeln, töten, saufen, streiten

“Wintermärchen”: Vögeln, töten, saufen, streiten

Wenn Tommi und Becky Sex haben, klatscht ihre Haut laut
aufeinander und Becky sagt: “Au”, dann: “Mach ma fester!” Auf dem Regal im
Wohnzimmer der beiden steht ein Schriftzug aus Plastik: “Home”, aber Kühlschrank,
Schränke, Wände sind leer, nackt, kahl. So wie die Bäume draußen, wie die
Parkplätze, Gewerbegebiete, Schrebergärten, in denen sie herumirren. Manchmal
gehen sie zum Schießen in den Wald. Auf dem Rückweg streiten sie dann darüber,
welchen Passanten sie abknallen könnten. Er darf
halt nicht deutsch aussehen.

Becky (Ricarda Seifried), Tommi (Thomas Schubert) und Maik (Jean-Luc Bubert), der später dazustößt, sind selbst ernannte
rechtsnationale Terroristen, und die Welt, in der sie leben, ist ein Stück
Scheiße. Man sollte das so deutlich sagen, weil Jan Bonny sich mit seinem
zweiten Film Wintermärchen jede erdenkliche Mühe gibt, die Angebote zur
Glorifizierung und Überhöhung auszuschlagen, die der mächtige Apparat Kino so macht. Gewalt und Terrorismus können auf der Leinwand verdammt sexy
aussehen, wie Beispiele von Bonnie und Clyde bis zu Der Baader Meinhof
Komplex
vor Augen führen.

Nichts davon in Wintermärchen. Jan Bonny hat einen
Film über den NSU gedreht, ohne erklären und erst recht ohne dem
völkisch-ideologischen Gefasel einer rechten Terrorzelle Raum und Bedeutung
geben zu wollen. Er entwirft einen Kosmos aus Niedertracht und ziellosem
Taumeln, aus Frust, Angst und gekeifter Verzweiflung, weil sich das eigene
Leben so verdammt leer anfühlt. Vor allem regiert hier die Hässlichkeit in
allen Schattierungen, sie quillt förmlich aus den stumpfen, grau-braunen
Bildern. Die Frage ist, ob das als erzählerisches Konzept einen Film von zwei
Stunden Laufzeit trägt.

Bonny nahm Wintermärchen in Angriff, nachdem er den NSU-Prozess
in München besucht hatte und das Gefühl bekam, die Monstrosität der Taten und
ihrer Täter sei bisher nicht ausreichend künstlerisch gefasst worden. Für sein
Drehbuch behielt er lediglich die Grundkonstellation der realen Vorgänge bei: zwei Männer und eine Frau, die
sich zum Ziel setzen, nicht deutsch aussehende Menschen zu töten. Ansonsten
haben Becky, Tommi und Maik keine Ähnlichkeit mit Beate Zschäpe, Uwe Mundlos
und Uwe Böhnhardt, weder äußerlich noch durch ihre Handlungen.

Die Erzählung beginnt unvermittelt, die Figuren bekommen kaum
Konturen oder Hintergrund. Becky und Tommi scheinen sich schon im Untergrund zu
wähnen, zumindest benehmen sie sich konspirativ, sammeln nach einer Schießübung
leere Patronenhülsen ein, leben im Raum Köln in einer fast leeren Wohnung. Die
beiden verbindet mehr Hass als Liebe, sie streiten, schreien sich an, Becky
schlägt Tommi. Wenn niemand sie sieht, bricht sie in Tränen aus. Und Tommi, der
mal studieren wollte, sich aber nicht getraut hat, hängt im Park herum, biedert
sich einem Jugendlichen an, der verprügelt wurde, und als der die Flucht
ergreift, ruft er ihm hinterher: “Ich bin keiner von den Bösen!”

Beim Zuprosten brüllen sie “Deutschland!”

Als ohne Erklärung der bärtige, ältere Maik dazustößt, nimmt
die zerstörerische Dynamik an Fahrt auf. Narzissmus und Minderwertigkeitskomplexe entladen sich in üblem Sex und schließlich auch in Gewalt. Die ersten Menschen sterben. Darauf folgen Suff, noch mehr Sex,
noch mehr Gewalt. Ein Zyklus aus Blut, Schweiß und stupender Sinnlosigkeit ist
in Gang gesetzt und keine Ideologie in Sicht, die, wie menschenverachtend auch
immer, dem Morden zumindest den Anschein von kranker Bedeutung zu geben
vermöchte. Beim Zuprosten brüllen sie “Deutschland!”, ansonsten sind keine
Nazisprüche zu hören und keine Hakenkreuze oder Runenschrift zu sehen. Die drei kariolen einfach ungebremst Richtung zähneklapperndem Irrsinn.

Jan Bonny ist in seinem Debütfilm Gegenüber (2007) schon einmal
seinen Protagonisten mittels Handkamera unangenehm nah zu Leibe gerückt. Damals
ging es um eine Frau, die regelmäßig ihren Mann verprügelt, und stilistische Mittel dieses
Horrorkammerspiels finden sich auch in Wintermärchen. Die Kamera ist immer ganz dicht dabei, beim Vögeln, Töten, Saufen
und Streiten. Sie überträgt die irrlichternde Hysterie der Protagonisten fast körperlich auf den nach Distanz ringenden Zuschauer. Vor allem die
zahlreichen Szenen mit kopulierenden Körpern in wechselnden Paarungen – Becky
mit Tommi, Becky mit Maik, Tommi mit Maik und schließlich alle gemeinsam – würde
man sich gern ersparen.

Hier beginnen auch die Probleme dieses Films. Schon klar,
dass Bonny die entsetzliche Monotonie zeigen und spüren lassen will, die dem
Handeln seiner drei Hauptfiguren zugrunde liegt. Aber er zeigt die
endlosen Sexszenen so ausdauernd, dass sie zur bloßen Pose erstarren, irgendwann ermüden sie nur noch. Wenn die drei sich am Ende permanent in den Laken wälzen, ist der vermeintliche Schockeffekt längst
erschlafft. Sex und Gewalt, ja, haben wir verstanden. Dass sich in ihrer Welt
alles nur um sie selbst dreht, auch. Lange vor dem letzten Akt. 

Schwieriger noch ist das schiefe Bild, das durch die Andeutung
entsteht, die drei Mörder bildeten eine Terrorzelle, die Teil eines größeren
Netzwerks ist. Zwei Szenen erwecken diesen Eindruck, und sie bringen den Versuch
Bonnys ins Wanken, seine fiktive NSU-Version nicht erklären oder in
politische oder gesellschaftliche Zusammenhänge stellen zu wollen. Vor allem
werten sie das Tun der Terroristen auf. Plötzlich erscheinen sie als Teil
einer zielgerichteten Aktion, einer heimlichen Agenda. Das steht im krassen
Widerspruch zur eigentlichen Aussage des Films – und auch zum realen NSU, der
nach allen bisherigen Erkenntnissen zwar auf Unterstützer zählen konnte, aber
nicht Teil eines größeren rechtsradikalen Terrornetzwerks war.

Eines ist richtig: So wie der bis heute nicht zur Gänze
aufgeklärte NSU-Komplex eine Zumutung ist, sollte auch ein Film darüber eine
Zumutung sein dürfen. Es ist gut, dass der braven, um Ausgleich bemühten
ARD-Trilogie Mitten in Deutschland: NSU ein exzessives künstlerisches
Experiment an die Seite gestellt wird. Wintermärchen ist wie ein
eitriger Pickel, der ausgedrückt wird. Es tut weh und sollte sorgfältig geschehen. Letztlich aber bleibt auch dieser Film ratlos
angesichts der Bösartigkeit menschlichen Handelns.

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