Das Wort Bevormundung leitet sich überhaupt nicht unmittelbar vom Munde ab, sondern vom althochdeutschen foramunto, was so viel heißt wie Rechtsvertreter oder Rechtsbeistand. Dennoch passt es seit 2013 hervorragend in den Kontext Ernährung: Damals wurde eine alte Forderung der Grünen aufgespießt, in Schulen und Kantinen einen fleischfreien Tag einzuführen. Alle Hinweise der Befürworter, man könne und wolle diesen Tag gar nicht gesetzlich festzurren, fruchteten fortan nicht mehr. Der Veggie-Day machte die Grünen für seine Gegner zur Partei der Bevormundung und auch sanftestes Nudging aus ihrer Richtung wird seither mit Warnungen vor einer Ökodiktatur quittiert.
Insofern ist es nur fair, wenn hiermit – apropos Nudging – aus der Summe der wachsweichen Empfehlungen von Bundesernährungsministerin Julia Klöckner die jüngste herausgegriffen und in eine Reihe mit dem unseligen vegetarischen Donnerstag gestellt wird. Denn was ist die Idee, Kindern in Restaurants per Empfehlung an die Gastwirte gesundes Essen vorschreiben zu wollen, anderes als eine Bevormundung? Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen wie eine Beilagenkarotte aus der Dose: Eine Ministerin, die sich an keinen Missstand der Ernährungsindustrie mit härteren Mitteln als vorab verwässerten Tierwohlsiegeln herantraut, will ausgerechnet den Kleinsten die Chicken-Nuggets vom Kinderteller Donald Duck fegen, den Ketchup vom Pumuckl, vielleicht sogar die zu Tode frittierten Fischstäbchen vom Nemo.
Wenn es irgendwo überhaupt keine Veränderung braucht, dann ja wohl bei Kindertellern in der Gaststätte! Laut dem aktuellen Ernährungsreport von Klöckners eigenem Ministerium geht nur knapp jeder fünfte Deutsche (19 Prozent) mindestens einmal pro Woche in ein Restaurant. Bedenkt man, dass Kinder beim Businesslunch oder abends in lustiger Runde eher selten gesehen werden, kann man nur zu einem Schluss kommen: Für ihre Ernährung ist Restaurantessen nachrangig.
Es stimmt, Kinder sollten bestenfalls zu robusten und vielfältigen Essern erzogen werden – und nichts nervt mehr, als ihnen statt Couscous-Salat immer nur Nutellabrote oder Nudeln mit nix anbieten zu können. Aber wer nun ausgerechnet den Restaurantbesuch mit irgendwelchen ambitionierten Ernährungsplänen überfrachtet, verkennt seine fragile Bedeutung im familiären Kontext.
Wenn er gelingt, gibt es nichts Schöneres. Man war mal gemeinsam draußen, die Kinder haben sich in einer Umgebung, die wenig kindgerecht ist, als geduldige Beisitzer, vielleicht gar als gefällige Gesprächspartner bewährt. Man geht beschwingt nach Hause und denkt: Langsam wird es wieder, das normale Leben jenseits von Windeln und Geschrei.
Wenn der Restaurantbesuch aber misslingt, ist es die Hölle. Die Menschen am Nebentisch sind mit Recht genervt, die Familie am Ende entzweit, die Eltern in Agonie. Man geht schweigend nach Hause und denkt: Welche Ansammlung von falschen Entscheidungen hat mich nur in dieser Hölle enden lassen?
Ein konservativer Kinderteller kann hier helfen, denn die Formel “hohe Energiedichte, geringe Nährwertdichte” lässt sich locker übersetzen in “geringe Gemüsedichte, hohe Zufriedenheitsdichte”. Der Kinderteller ist der Trumpf, den man nicht einmal auf die grob karierte Tischdecke werfen muss, um von ihm zu profitieren. Es reicht, ihn auf der Hand zu haben, während man die Kinder im verständnisvollen Interview daraufhin befühlt, ob heute nicht auch mal etwas Ausgefalleneres möglich wäre – Gnocchi in Salbeisoße etwa, oder auch mal eine gemischte Platte mit Meeresfrüchten.
Man sollte Kinder nicht unterschätzen. Wer einigermaßen vorurteilsfreie durchs Leben führt, kann mit der guten alten Einmal-probieren-Regel schon Zweijährigen die nuancenreiche Welt der Blauschimmelkäse eröffnen. Man sollte die Nerven von Eltern aber auch nicht überschätzen und nicht aus dem Blick verlieren, dass der Restaurantbesuch ein ganzheitlich positives Erlebnis sein sollte, von dem Essen nur ein Teil ist, wenn auch ein entscheidender.
Bleibt zum Schluss die Produzentenseite: Wo ein guter Koch mit Ehre wirkt, wird man auch heute keine völlig aus dem guten Rahmen fallenden Kinderteller bekommen. Wo ein Pfuscher aus minderwertigen Rohstoffen Ratsherrenpfannen zusammenzimmert, ist auch in Zukunft keine kindgerechte Ratatouille zu erwarten. Und die generationengerechteste Variante des Kindertellers bedarf ohnehin keiner besonderen Empfehlung: Der zumeist kostenlose Räuberteller aka Räuber Hotzenplotz (leerer Teller, Messer, Gabel) sorgt schließlich seit Jahrzehnten dafür, dass Kinder sich auswärts so gut oder schlecht ernähren wie ihre Eltern.
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