Synchronizität nennt man es, wenn mindestens zwei miteinander verbundene Ereignisse zufällig zur gleichen Zeit geschehen. Manchmal entsteht daraus ein interessanter Zusammenhang. So wie heute, am 5. März 2019, als ein Politiker in Frankreich seinen Wahlkampf startet und der andere in Ungarn seine europäische Parteizugehörigkeit aufs Spiel setzt.
Es sind nur noch 79 Tage bis zur Wahl des Europäischen Parlaments, der gemeinsamen Volksvertretung aller EU-Bürgerinnen und -Bürger. Und im Wahlkampf für dieses Parlament werden die Ideen dieser zwei Politiker aufeinanderprallen wie zwei Hochgeschwindigkeitszüge, die aus unterschiedlichen Richtungen kommen.
Emmanuel Macron ist der eine dieser beiden Männer, Viktor Orbán der andere. Der Franzose hat vor zwei Jahren quasi aus dem Nichts erst die Präsidentschaftswahl und danach mit seiner proeuropäischen Partei En Marche die Mehrheit in der Nationalversammlung, dem französischen Parlament, gewonnen. Durch einige innenpolitische Feuer musste Macron seitdem gehen, entzündet meist durch Protestierende mit gelben Westen. Seine Ideen für eine bessere europäische Zukunft hat er dabei nicht aufgegeben.
Schon als Macron erstmals den Europäischen Rat betrat, brachte er ein Versprechen mit: die Erneuerung der EU. Zu groß, zu kompliziert, nicht sozial genug, zu langsam, zu undemokratisch – in diese Kritik gegen die EU stimmen seit Jahren viele ein. Doch nur wenige taten etwas dagegen. Der von Macron angekündigte Wandel soll grundlegend sein. Eine EU-Armee, einen europäischen Sicherheitsrat, einen Euro-Finanzminister, einen europäischen Mindestlohn, eine EU-Arbeitslosenversicherung, ein EU-Terrorabwehrzentrum, eine EU-Asylbehörde und ein neuer EU-Außengrenzschutz. Um nur einige von den vielen Ideen des vom geeinten Europa überzeugten Franzosen zu nennen.
Nun wendet sich Macron mit einem neuen Aufruf an alle EU-Bürger. Denn ohne die geht es nicht. Macrons Vorschläge, die in mehreren Sprachen in vielen europäischen Medien veröffentlicht wurden, sind PR in eigener Sache. Renewing Europe lautet die Überschrift seines Plans. Es ist zugleich eine Kampfansage an die Orbáns der EU. Macron möchte mit seiner Partei En Marche Ende Mai ins Europäische Parlament einziehen, nicht nur durch die Unterstützung von französischen Wählerinnen und Wählern. Seine Kampagne soll EU-weit gehört werden. Dass er über den Wahltag hinausdenkt, zeigt die wichtigste seiner Forderungen: Macrons Ziel ist es, Ende dieses Jahres einen großen EU-Konvent mit den Vertretern der EU-Institutionen und der EU-Staaten einzuberufen.
Auf dieser Europakonferenz soll eine Weiterentwicklung der EU-Verträge beraten werden. Diesen essenziellen Schritt hatte man in der EU bislang gescheut. 2005 hatten sich die Niederländer und Franzosen per Referendum gegen eine neue EU-Verfassung entschieden. Deshalb hat sich der scheidende Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in den vergangenen Jahren mit Vorschlägen für grundlegende Änderungen an der EU-Architektur zurückgehalten. Auch Angela Merkel, die zwar gern ihre proeuropäischen Absichten verkündet, aber als Kanzlerin den großen europapolitischen Wurf bisher nicht wagte, unterstützte Macron hierbei bislang nicht ausreichend. Jetzt ist es Zeit, dies nachzuholen.
Grundsätzlich gibt es zwei Optionen: Entweder führen die Herausforderungen durch Migration und den Brexit zur Renationalisierung der Länder Europas. Dann werden alte Grenzzäune im Sinne Orbáns wieder dauerhaft aufgebaut, und die EU wird in ihre Einzelteile zerlegt. Oder der Schengenraum der EU strahlt wieder als Symbol für die Freiheit aller EU-Bürgerinnen und die europäische Integration geht weiter. Entweder. Oder. Seit Jahren wird diese Entscheidung aufgeschoben. Macron plädiert dafür, sich ihr in 2019 zu stellen.
Wer die EU-Verträge ändert, schafft neues Recht. Dafür sind in einigen EU-Ländern Volksbefragungen notwendig. Das wiederum betrifft dann auch Viktor Orbán. Ausgerechnet an dem Tag, an dem Macron seinen Aufruf zur Erneuerung der EU publiziert, zeichnet sich ab, dass Orbáns Fidesz-Partei wohl noch vor der Wahl zum Europäischen Parlament aus der Europäischen Volkspartei (EVP) geschmissen werden könnte: Synchronizität. Am 20. März wird im Vorstand der Europäischen Volkspartei über den Fidesz-Ausschluss abgestimmt, und es sieht nicht gut aus für Orbán.
Zur EVP gehören auch die deutsche CDU und CSU. Lange haben die deutschen Christdemokraten Orbán gewähren lassen, egal ob seine Regierung EU-Gelder veruntreute oder Universitäten in Budapest das Leben erschwerte. Doch jetzt hat Orbán es mit seinen antisemitischen Anti-EU-Kampagnen, unter anderem gegen George Soros und Jean-Claude Juncker, zu weit getrieben. Der Nationalist Orbán wird sich höchstwahrscheinlich bald eine neue europäische Partei für Fidesz suchen müssen.
Es wird eine Partei sein, die für das Gegenteil von Macrons europäischer En-Marche-Bewegung steht.
Hits: 55