„Hallo, ich bin Lea. Ich habe meine Schwangerschaft abgebrochen.“ Ganz so fangen die meisten meiner Gespräche natürlich nicht an, auf kurz oder lang erzähle ich aber jedem Menschen, den ich kennenlerne, von meiner ungewollten Schwangerschaft vor einigen Jahren und dem darauffolgenden gewollten Abbruch.
Ich war 25 und mein Freund und ich waren kurz davor auf ein Musikfestival zu fahren. Wir packten die letzten Sachen zusammen und holten uns im Imbiss um die Ecke noch schnell etwas zu Essen. Ich hatte unbeschreiblichen Hunger, obwohl ich schon gefrühstückt und zweimal zu Mittag gegessen hatte – es war 15 Uhr. Seit ein paar Tagen hatte ich Bauchschmerzen, die zwar unangenehm waren, über die ich mir aber keine besonderen Gedanken machte und an diesem Tag erzählte ich meinem Freund von ihnen. „Nicht, dass du schwanger bist“, scherzte er. Ich winkte ab. „Ja klar, haha.“ „Nee im Ernst, du isst auch so viel in letzter Zeit. Mach lieber einen Test.“ Mein Freund hatte zu diesem Zeitpunkt bereits ein Kind und ich tat seine Sorgen als Paranoia ab. Ich kaufte dennoch den Test – nur um ihm zu beweisen, dass er falsch lag.
In der Vergangenheit hatte ich bereits zwei Schwangerschaftstests gemacht und war mir auch dieses Mal über den Ausgang klar. Deshalb holte ich routiniert das kleine Stäbchen aus der Plastikverpackung, nahm die Schutzkappe ab und pinkelte auf die saugfähige Spitze. Ich schob den Verschluss zurück auf das Stäbchen, legte den Test auf die Waschmaschine – und mein Herz blieb stehen. Bereits nach dieser kurzen Zeit waren eindeutig zwei Striche im Sichtfenster zu erkennen. Zwei Striche, wo nur einer sein durfte. Zwei Striche, die bedeuteten, dass sich mein Leben, das Leben meines Freundes und eventuell das Leben einer noch nicht einmal geborenen Person auf das Krasseste verändern würde. Meine Augen füllten sich mit Tränen.
Zwei Striche, wo nur einer sein durfte.
Ich hatte mir schon oft ausgemalt, wie der Moment aussehen würde, wenn ich feststellte, dass ich schwanger war. Tränen waren da auch, aber es waren Tränen des Glücks. Eine innige Umarmung meines Freundes, ein sanftes Streicheln meines Arms und ein Lächeln, das sagte: Wir schaffen das! Innerhalb von Sekunden war mir jetzt allerdings klar – die Realität, in der ich mich befand, hatte nichts mit meiner einstigen Vorstellung zu tun. Wie in einem schlechten Film rutschte ich auf die Fliesen, mein Rücken an die Waschmaschine gelehnt, der Test in meiner Hand. Das Zwitschern der Vögel, welches an diesem ungewöhnlich warmen Frühsommertag durch das Badezimmerfenster drang, brüllte mir in die Ohren. Das einfallende Sonnenlicht schien die Haut auf meinem Arm zu verbrennen. Alles, was Minuten zuvor noch schön gewesen war, war nun schrecklich.
Wie betäubt verließ ich das Badezimmer, mein Blick traf den meines Freundes und er wusste sofort Bescheid. Wir sprachen viel, ich weinte viel. Für ihn war klar, er will das Kind nicht. Nicht so, nicht jetzt. Letztendlich war es aber natürlich meine Entscheidung. Von meiner Familie erhielt ich alle erdenkliche Unterstützung. Ich hätte das Kind auf jeden Fall bekommen können. Es war keine Risikoschwangerschaft, ich war in keiner ausweglosen finanziellen Situation, ich war nicht minderjährig. Und dennoch kam da immer wieder dieser Gedanke, der letztendlich alles entscheiden sollte: Ich will nicht alleinerziehend sein.
Meine Frauenärztin war im Urlaub und so telefonierte ich mich durch halb Hamburg. Ich wusste schließlich nicht, wie lange ich schon schwanger war und konnte auf keinen Fall warten, bis sie zurück war. Obwohl ich mein Weinen nach dem fünften erfolglosen Anruf nicht mehr unterdrücken konnte, sagten mir die meisten direkt, sie hätten keine Kapazitäten. Eine Sprechstundenhilfe vertröstete mich sogar mit den Worten: „Herzlichen Glückwunsch! Der Termin eilt ja nun auch erst mal nicht. Bis ihr Arzt zurück ist, nehmen sie Folsäure – das ist gut für die Entwicklung ihres Babys.“ Ich hätte am liebsten geschrien, dass ich ja vielleicht gar nicht möchte, dass das Baby sich entwickelt, aber da hatte sie schon aufgelegt.
Am Nachmittag erbarmte sich meiner endlich eine Praxis. Die Ärztin machte einen Ultraschall und zeigte mir die Herztöne des Babys. Und da war es auf einmal – dieses Gefühl, von dem alle werdenden Mütter sprechen und das doch irgendwie unbeschreiblich ist: Da ist etwas Lebendiges in mir. Etwas, das aus mir selbst entstanden ist und ich kann es sehen. Ganz klein, aber doch offensichtlich da. Ich spürte sofort eine intensive Verbindung zu dem, was in mir war und dennoch verfestigte sich meine Meinung in den nächsten Tagen immer mehr. Der Gedanke, der am Anfang nur ein diffuses Gefühl gewesen war, wurde immer lauter: Ich will, dass mein Kind zwei Eltern hat. Ich will, dass es von uns beiden mit unfassbar großer Liebe willkommen geheißen wird. Allein kann ich diese nicht aufbringen. Und ich habe andere Pläne. Ich möchte arbeiten, erfolgreich sein, Geld verdienen.
Viele sagen, es gibt nicht den richtigen Zeitpunkt ein Kind zu kriegen. Das mag sein. Aber ganz sicher gibt es einen falschen. Und für mich war er genau jetzt.
Viele sagen, es gibt nicht den richtigen Zeitpunkt ein Kind zu kriegen. Aber ganz sicher gibt es einen falschen.
Während des Entscheidungsprozesses fühlte ich mich so allein wie nie zuvor. Ich wusste nicht, mit wem ich sprechen konnte, war überzeugt, niemand würde mich verstehen. Die wenigen Leute, mit denen ich sprach, reagierten toll, bei der Entscheidung helfen konnten sie aber natürlich nicht. Denn wirklich: Niemand konnte nachempfinden, wie ich mich fühlte. Niemand in meinem Umfeld hatte so etwas erlebt, oder zumindest wusste ich von niemandem. Ich recherchierte also im Internet.
Eine fatale Entscheidung, von der ich jeder Frau abraten möchte, zumindest im akuten Entscheidungsprozess. Denn es ist schier unmöglich seriöse Seiten zu finden, die neutral über einen Abbruch informieren. Nicht zuletzt wegen §219a. Viel leichter ist es, auf Seiten zu geraten, die Frauen, die ihre Schwangerschaft abbrechen wollen, mit der Hölle drohen, die mit Fotos getöteter Föten aufrütteln wollen, die einem versichern, nach der Entscheidung für einen Mord seines Lebens nicht mehr froh zu werden.
Bin ich eine Mörderin? Werde ich als Strafe nie wieder Kinder bekommen können?
Egal wie aufgeklärt man ist, solche Sachen gehen nicht spurlos an einem vorüber. Und auch in mir waren diese Gedanken: Bin ich eine Mörderin? Werde ich als Strafe nie wieder Kinder bekommen können? Und gleichzeitig dieser permanente Schmerz des Abschieds. Ich sprach mit meinem Kind, sah mir das Ultraschallbild wieder und wieder an. Ich hatte das Gefühl, ganz genau wissen zu müssen, wogegen ich mich entschied. Ich überlegte, mit wem ich mich austauschen könnte. Wie eine Ertrinkende suchte ich nach irgendeinem Halt, einem Strohhalm, der mich in dem Strudel aus Gedanken, Ängsten und Vorwürfen über Wasser halten konnte.
Ich fand ihn leider erst nach dem Abbruch. Ich wusste durch Gerüchte von der Freundin einer Freundin, die vor einem Jahr ihre Schwangerschaft abgebrochen hatte und rief sie an. Wir trafen uns und erst im Nachhinein konnte ich all die Fragen stellen, die mir niemand beantwortet hatte: Bereust du die Entscheidung? Denkst du manchmal noch an das ungeborene Kind? Bist du traurig? Für welche Methode hast du dich entschieden?
Genau aus diesem Grund erzähle ich von meinem Schwangerschaftsabbruch. Ich will meine Erfahrungen weitergeben. Ich will Ängste nehmen und Hoffnung spenden – damit Frauen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, sich vielleicht nicht ganz so allein fühlen, wie ich mich damals gefühlt habe. Noch immer sind Schwangerschaftsabbrüche ein Tabuthema und ich habe auch schon einige schlechte Erfahrungen mit meiner Offenheit gemacht. Dies ist auch der Grund, weshalb ich diesen Artikel unter Pseudonym schreibe. Obwohl die Gesellschaft offener geworden ist und es eine aktive Bewegung gegen den §219a gibt, sind die Frauen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch enscheiden, in den Augen vieler Menschen noch immer stigmatisiert.
Ich traue mich nicht, meinen Namen in den Weiten des Internets so konkret mit diesem Thema zu verbinden. Noch nicht. Dennoch hoffe ich, dass dieser Erfahrungsbericht einen Beitrag dazu leisten kann, dass wir in Zukunft offener und auch offensiver mit diesem so existenziellen Thema umgehen können.
Hits: 45